«Was meinst du, Hedley?«fragte Adams.
Humber zuckte die Achseln.»Unverändert.«
«Abschreiben?«
«Sieht so aus. «Humber hörte sich deprimiert an.
«Verdammt ärgerlich«, fuhr Adams auf. Er sah mich an.
«Machen Sie sich immer noch mit Tranquilizern Mut?«
«Ja, Sir.«
Er lachte gehässig. Er fand das sehr komisch. Dann verfinsterte sich seine Miene, und er sagte brutal zu Humber:»Es bringt ja doch nichts. Also weg mit ihm.«
Humber wandte sich ab und sagte:»Gut, das wird morgen erledigt.«
Sie gingen zur nächsten Box. Ich schaute Mickey an. Ich hatte für ihn getan, was ich konnte, aber es war hoffnungslos; er war von Anfang an nicht zu retten gewesen. Nach vierzehn Tagen innerem Chaos, dauernder Betäubung und Futterverweigerung war er in einem erbärmlichen Zustand, und ein weniger gefühlloser Mensch als Humber hätte seinem Leiden längst ein Ende gesetzt.
Ich machte es ihm für seine letzte Nacht bequem und wich einmal mehr seinen zuschnappenden Zähnen aus. Nicht, daß ich es bedauert hätte, ihn loszuwerden, denn vierzehn Tage mit einem durchgeknallten Pferd sind jedem genug; aber wenn er am nächsten Tag getötet werden sollte, mußte ich mein Experiment sofort anstellen.
Das kam mir zu plötzlich. Während ich mein Putzzeug wegräumte und über den Hof zur Küche ging, überlegte ich, ob es nicht wenigstens einen guten Grund gab, damit zu warten.
Die Gründe flogen mir zu, bis ich an der unangenehmen Erkenntnis nicht mehr vorbeikam, daß ich zum erstenmal seit meiner Kinderzeit gehörig Angst hatte.
Ich konnte October bitten, das Experiment mit Six-Ply zu machen, dachte ich. Oder mit einem der anderen Pferde. Ich mußte es nicht selber tun. Anders war es viel gescheiter. Der Graf riskierte dabei überhaupt nichts, während ich, wenn Humber mich erwischte, so gut wie tot war; am besten also, man überließ es October.
Da merkte ich dann, daß ich kneifen wollte, und es gefiel mir nicht. Ich brauchte fast den ganzen Abend, um mich zu entschließen, die Probe selbst zu machen. Bei Mickey. Am nächsten Morgen. Sicher wäre es einfacher gewesen, das Ganze auf October abzuwälzen, aber was hätte mein Gewissen dazu gesagt? Warum war ich von zu Hause weggegangen, wenn nicht, um meinen Mann zu stehen?
Als ich am nächsten Morgen mit dem Eimer zum Büro ging, um die letzte Dosis Phenobarbital für Mickey abzuholen, war kaum noch etwas in der Flasche. Cass drehte sie um und klopfte sie am Eimer aus, damit kein Gran des weißen Pulvers verlorenging.
«Das war’s dann«, meinte er, als er den Stöpsel auf die leere Flasche setzte.»Schade, sonst hätten wir dem armen Vieh ausnahmsweise die doppelte Dosis gegönnt. Nun mach schon«, fügte er scharf hinzu.»Kein Grund, hier mit Leichenbittermiene rumzuhängen. Dich erschießt heute nachmittag ja keiner.«
Das hoffte ich auch.
Ich schwenkte den Eimer unterm Wasserhahn, bis sich das Phenobarbital auflöste, und kippte es weg. Dann füllte ich klares Wasser nach und ging damit zu Mickey.
Er konnte nicht mehr. Die Knochen traten noch deutlicher unter dem Fell hervor, der Kopf hing zwischen den Schultern herab. Die Augen hatten immer noch einen wirren, wilden Ausdruck, aber es ging so rapide bergab mit ihm, daß er kaum noch Kraft hatte, jemanden anzugreifen. Er machte nicht einmal den Versuch, mich zu beißen, als ich den Eimer vor ihn hinstellte, sondern ging mit dem Maul hinein und soff halbherzig ein paar Schlucke.
Ich ließ ihn allein und holte ein neues Halfter aus dem Korb in der Sattelkammer. Das war streng verboten; nur Cass durfte neues Zeug ausgeben. Ich ging mit dem Halfter zu Mickey und legte es ihm um, nachdem ich das in den vierzehn Tagen seiner Krankheit durch ständiges Zerren strapazierte alte heruntergenommen und unter einem Strohhaufen versteckt hatte. Ich löste die Anbindekette vom alten Halfter und befestigte sie am Ring des neuen. Dann klopfte ich Mickey den Hals, was ihm nicht gefiel, verließ die Box und sperrte nur die untere Hälfte der Tür zu.
Wir ritten mit dem ersten, dann mit dem zweiten Lot aus, und ich nahm an, daß Mickeys auf Entzug gesetzte Gehirnzellen inzwischen langsam aus ihrem Dämmer erwachten.
Als ich mit Dobbin zum Stall zurückkam, blickte ich von draußen zu Mickey hinein. Sein Kopf pendelte hin und her, und er wirkte sehr unruhig. Armer Kerl, dachte ich. Armer Kerl. Und für ein paar Sekunden würde ich ihn noch mehr quälen müssen.
Humber stand an der Tür seines Büros und sprach mit Cass. Die ihre Pferde versorgenden Pfleger eilten hin und her, Eimer klapperten, Stimmen ertönten; der übliche Stallärm. Eine bessere Gelegenheit würde ich nicht bekommen.
Ich führte Dobbin über den Hof zu seiner Box. Auf halbem Weg nahm ich die Pfeife aus dem Geldgürtel und zog die Kappe ab, dann, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß ich nicht beobachtet wurde, drehte ich den Kopf, setzte die Pfeife an und blies kräftig hinein. Es gab nur einen dünnen Ton, so hoch, daß ich ihn zwischen dem Geklapper von Dobbins Schritten kaum hören konnte.
Was darauf folgte, war gräßlich.
Mickey schrie vor Entsetzen.
Seine Hufe droschen gegen den Boden, die Wände, und er riß an der klirrenden Anbindekette.
Schnell brachte ich Dobbin in seine Box, band ihn an, steckte die Pfeife in meinen Gürtel und lief zu Mickey. Alle waren auf dem Weg dahin. Humber hinkte rasch über den Hof.
Mickey schrie immer noch und schmetterte die Hufe gegen die Wand, als ich über die Schultern von Cecil und Lenny in die Box schaute. Das arme Tier stand auf den Hinterbeinen und schien eine Bresche in die Ziegelmauer schlagen zu wollen. Dann setzte er die Vorderbeine plötzlich auf und riß mit seiner ganzen versiegenden Kraft zurück.
«Achtung!«schrie Cecil, indem er instinktiv vor den wahnsinnig angespannten Muskeln der Hinterhand zurückwich, obwohl er draußen in Sicherheit war.
Mickeys Anbindekette war nicht lang. Es gab ein widerliches Knacken, als sie gespannt war, und seine Rückwärtsbewegung wurde mit einem Ruck unterbrochen. Er rutschte mit den Hinterbeinen nach vorn und fiel krachend auf die Seite. Die Beine zuckten steif. Sein Kopf, der noch in dem stabilen neuen Halfter steckte, hing verdreht an der straff gespannten Kette über dem Boden, und der unnatürliche Winkel sagte alles. Er hatte sich das Genick gebrochen. Eigentlich hatte ich das für ihn gehofft, damit seine Raserei ein schnelles Ende fand.
Die ganze Mannschaft war vor Mickeys Box versammelt. Humber, der nur kurz von draußen einen Blick auf das tote Pferd geworfen hatte, drehte sich um und schaute nachdenklich seine sechs abgerissenen Pfleger an. Der harte Ausdruck seiner zusammengekniffenen Augen ließ nicht zu, daß jemand Fragen stellte. Es blieb erst einmal still.
«In einer Reihe antreten«, sagte er plötzlich.
Die Jungs waren überrascht, doch sie stellten sich nebeneinander auf.
«Taschen ausleeren«, sagte Humber.
Verwundert gehorchten sie ihm. Cass ging von einem zum anderen, sah sich an, was vorgezeigt wurde, und zog die Hosentaschen ganz heraus, um sich zu vergewissern, daß sie leer waren. Als er zu mir kam, zeigte ich ihm ein schmutziges Taschentuch, ein paar Geldstücke und stülpte meine Taschen um. Er nahm mir das Taschentuch ab, schüttelte es aus und gab es mir zurück. Die Pfeife unter meinem Hosenbund war nur Zentimeter von seinen Fingern entfernt.
Ich spürte Humbers prüfenden Blick aus zwei Metern, doch während ich mich bemühte, ein unverfängliches, höchstens etwas verwirrtes Gesicht zu machen, stellte ich erstaunt fest, daß ich weder schwitzte noch in Fluchtbereitschaft die Muskeln anspannte. Angesichts der Gefahr war ich merkwürdig ruhig und klar im Kopf. Es wunderte mich, aber ich konnte es gebrauchen.
«Gesäßtasche?«fragte Cass.
«Nichts drin«, sagte ich und drehte mich halb zu ihm, damit er es sehen konnte.