«Alles klar. Jetzt du, Kenneth.«
Ich schob die Taschen wieder in die Hose und stopfte mein Zeug hinein. Kein Zittern in den Händen. Erstaunlich, dachte ich.
Humber wartete und wachte, bis auch Kenneths Taschen ergebnislos geleert waren; dann sah er Cass an und wies mit dem Kopf auf die Stallboxen. Cass durchstöberte die Boxen der Pferde, die wir gerade bewegt hatten. Er kam aus der letzten zurück und schüttelte den Kopf. Humber deutete stumm auf die Garage, in der sein Bentley stand. Cass verschwand, tauchte wieder auf und schüttelte erneut den Kopf. Schweigend hinkte Humber, auf den schweren Stock gestützt, zu seinem Büro.
Er konnte die Pfeife nicht gehört haben, und er argwöhnte auch nicht, daß einer von uns absichtlich gepfiffen hatte, um die Wirkung auf Mickey zu beobachten, sonst hätten wir uns nackt ausziehen müssen und wären von Kopf bis Fuß gefilzt worden. Er hielt Mickeys Tod immer noch für einen Unfall, und nachdem sich weder bei den Pflegern noch in den Boxen eine Pfeife gefunden hatte, würde er hoffentlich zu dem Schluß kommen, daß unser verlorener Haufen für Mickeys Hirnsturm nichts konnte. Wenn Adams das auch fand, war ich aus dem Schneider.
Am Nachmittag mußte ich den Wagen waschen. Humbers Hundepfeife war noch an ihrem Platz, fein säuberlich in einer Lederschlaufe zwischen Korkenzieher und Eiszange. Ich rührte sie nicht an.
Adams kam am nächsten Tag.
Mickey war vom Abdecker geholt worden, der seine Magerkeit bemäkelt hatte, und ich hatte unauffällig das neue Halfter wieder in die Sattelkammer gebracht und das alte an die Anbindekette gehängt. Nicht einmal Cass hatte den Tausch bemerkt.
Adams und Humber schlenderten zu Mickeys leerer Box und unterhielten sich, an die Halbtür gelehnt. Jerry steckte den Kopf aus der Nachbarbox, sah sie dort stehen und zog ihn schnell wieder ein. Ich ging wie üblich meiner Arbeit nach, holte Heu und Wasser für Dobbin und brachte den Mistsack weg.
«Roke«, rief Humber.»Kommen Sie her, aber dalli.«
Ich eilte hinüber.»Sir?«
«Sie haben die Box hier nicht saubergemacht.«
«Entschuldigung, Sir. Ich mach’s heute nachmittag.«
«Sie machen das vor dem Essen«, bestimmte er.
Er wußte genau, daß ich dann nichts zu essen bekommen würde. Ich warf ihm einen Blick zu. Er sah mich berechnend an, mit schmalen Augenschlitzen und geschürzten Lippen.
Ich blickte zu Boden.»Ja, Sir«, sagte ich brav. Verdammt, dachte ich bei mir, das ist zu früh. Ich war noch keine acht Wochen da und hatte mir noch mindestens drei ausgerechnet. Wenn er mich jetzt schon abschieben wollte, konnte ich meine Aufgabe nicht zu Ende führen.
«Als erstes«, schaltete sich Adams ein,»Können Sie mal den Eimer rausholen und ihn wegschaffen.«
Ich sah in die Box. Mickeys Eimer stand noch neben der Krippe. Ich öffnete die Tür, ging hinein, nahm den Eimer und blieb jäh stehen.
Adams war mir nachgekommen. Er hatte Humbers Gehstock in der Hand, und er lächelte.
Ich ließ den Eimer fallen und wich in eine Ecke zurück. Er lachte.
«Heute keine Tranquilizer, was, Roke?«
Ich schwieg.
Er holte aus, und der Stockknauf landete auf meinen Rippen. Ein harter, gezielter Schlag. Als er wieder den Arm hob, schlüpfte ich darunter durch und stürzte aus der Box. Sein brüllendes Lachen hallte mir nach.
Ich lief, bis ich aus seinem Blickfeld war, ging dann im Schritt weiter und rieb mir den Brustkorb. Das würde einen ziemlichen blauen Fleck geben, und allzu viele davon wollte ich mir nicht einfangen. Wahrscheinlich konnte ich noch froh sein, daß sie mich auf dem üblichen Weg loszuwerden gedachten und nicht im Sturzflug mit einem brennenden Auto.
Den ganzen langen Nachmittag überlegte ich mit leerem Magen, was zu tun sei. Sollte ich gleich gehen und mich damit abfinden, daß das Ganze nicht zu Ende gebracht war, oder die paar Tage nutzen, die ich noch bleiben konnte, ohne Humbers Argwohn zu erregen? Wobei sich die bedrückende Frage stellte, was drei oder vier Tage bringen sollten, wenn acht Wochen mir nicht genügt hatten.
Ausgerechnet Jerry nahm mir die Entscheidung ab.
Nach dem Abendessen (gebackene Bohnen auf Brot, sparsam portioniert) saßen wir am Tisch, Jerrys Comic aufgeschlagen vor uns. Seit Charlie gegangen war, hatten wir kein Radio mehr, und die Abende waren langweiliger denn je. Lenny und Kenneth knobelten auf dem Fußboden. Cecil betrank sich irgendwo. Bert saß in seiner stillen Welt neben Jerry auf der Bank und sah zu, wie die Würfel über den Boden rollten.
Die Backofentür stand offen, und sämtliche Kochplatten am Elektroherd waren aufgedreht — Lennys schlauer Einfall zur Verstärkung der kargen Wärme des Ölofens, den Humber widerwillig zur Verfügung gestellt hatte. Bei der nächsten Stromrechnung würde damit wieder Schluß sein, aber vorerst hatten wir es warm.
Das schmutzige Geschirr stapelte sich im Spülstein. Spinnweben hingen wie Girlanden zwischen den Ziegelwänden und der Decke. Eine nackte Glühbirne gab Licht. Auf dem Tisch hatte jemand Tee verschüttet, und die Eselsohren von Jerrys Comic hatten ihn aufgesaugt.
Ich seufzte. Da setzte man mir die Pistole auf die Brust, und ich zauderte, dieses Schmuddeldasein hinter mir zu lassen!
Jerry sah von seinem Heft auf, ließ aber den Finger als Merkzeichen auf der Seite.
«Dan?«
«Mhm?«
«Hat Mr. Adams dich geschlagen?«
«Ja.«
«Das habe ich mir gedacht. «Er nickte ein paarmal und widmete sich wieder seinem Heft.
Mir fiel plötzlich ein, daß er in der Box neben der von Mickey gewesen war, bevor Adams und Humber mich gerufen hatten.
«Jerry«, sagte ich langsam,»hast du Mr. Adams und Mr. Humber reden hören, als du bei Mr. Adams’ schwarzem Hunter drin warst?«
«Ja«, antwortete er, ohne aufzusehen.
«Was haben sie gesagt?«
«Als du weggelaufen bist, hat Mr. Adams gelacht und dem Chef gesagt, du würdest das nicht lange aushalten. Aushalten«, wiederholte er verständnislos,»aushalten.«
«Und was haben sie vorher gesagt? Als sie dahin kamen und du den Kopf rausgesteckt und sie gesehen hast?«
Das beunruhigte ihn. Er setzte sich aufrecht und vergaß, den Finger im Heft zu lassen.
«Der Chef durfte nicht merken, daß ich noch da drin war. Ich hätte mit dem Hunter längst fertig sein sollen.«
«Ja. Hast du Schwein gehabt. Sie haben dich nicht erwischt.«
Er grinste und schüttelte den Kopf.
«Was haben sie gesagt?«hakte ich nach.
«Sie waren sauer wegen Mickey. Sie sagten, sie würden gleich mit dem nächsten anfangen.«
«Was heißt, mit dem nächsten?«
«Weiß ich nicht.«
«Haben sie sonst noch was gesagt?«
Er verzog das schmale Kindergesicht. Er wollte mich zufriedenstellen, und ich sah ihm an, daß er angestrengt nachdachte.
«Mr. Adams hat gesagt, du bist zu lange bei Mickey gewesen, und der Chef hat gesagt, ja, das ist zu… das ist zu… zu riskant, ja, und daß du weg mußt, und Mr. Adams hat gesagt, ja, sieh zu, daß er die Kurve kratzt, und sobald er weg ist, fangen wir mit dem nächsten an. «Stolz, daß er das so auf die Reihe bekommen hatte, riß er die Augen auf.
«Sag das noch mal«, bat ich ihn.»Nur das letzte.«
Jerry hatte durch die Comic-Vorlesestunden viel Übung darin, Gehörtes auswendig zu lernen.
Gehorsam wiederholte er:»Mr. Adams sagte, sieh zu, daß er die Kurve kratzt, und sobald er weg ist, fangen wir mit dem nächsten an.«
«Was wünschst du dir mehr als alles andere auf der Welt?«fragte ich.
Er war überrascht, wurde nachdenklich, und schließlich nahm sein Gesicht einen verträumten Ausdruck an.
«Also?«
«Eine Eisenbahn«, sagte er.»Eine zum Aufziehen. Du weißt schon. Mit Gleisen und allem. Und einem Signal.«
Er verstummte andächtig.
«Kriegst du von mir«, sagte ich.»Sobald ich kann.«
Er staunte mit offenem Mund.