«Jerry, ich höre hier auf«, sagte ich.»Man kann ja nicht bleiben, wenn Mr. Adams mit Prügeln anfängt. Also muß ich weg. Aber an die Eisenbahn denke ich. Versprochen.«
Der Abend verplätscherte wie so viele andere, und wir stiegen die Leiter zu unseren unbequemen Betten hinauf, wo ich im Dunkeln auf dem Rücken lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und mir vorstellte, wie Humbers Stock am nächsten Morgen wieder irgendwo auf meinen Knochen landete. Fast wie ein Zahnarzttermin, dachte ich kläglich — man malt es sich schlimmer aus, als es ist. Ich seufzte und schlief ein.
Operation Rauswurf ging wie erwartet am nächsten Tag weiter: Als ich Dobbin nach der Morgenarbeit mit dem zweiten Lot absattelte, trat Humber hinter mir in die Box und zog mir den Stock übers Kreuz.
Ich ließ den Sattel fallen — er landete auf einem Haufen frischem Pferdemist — und fuhr herum.
«Was hab ich denn gemacht, Sir?«sagte ich gekränkt. Er sollte kein ganz so leichtes Spiel haben, aber die Antwort kam prompt.
«Cass hat mir gesagt, daß Sie vorigen Samstagnachmittag zu spät zur Arbeit gekommen sind. Und heben Sie den Sattel auf. Was schmeißen Sie den einfach in den Dreck?«
Er stand breitbeinig vor mir und maß mit den Augen die Entfernung ab.
Na schön, dachte ich. Einen noch, dann ist Schluß.
Ich drehte mich um und hob den Sattel auf. Als ich damit hochkam, schlug er mich erneut ins Kreuz, nur wesentlich fester diesmal. Ein Atemstoß entwich mir durch die Zähne.
Ich warf den Sattel wieder in den Dreck und schrie ihn an:»Das reicht! Ich hör hier auf! Aber sofort!«
«Bitte sehr«, sagte er kalt, mit merklicher Zufriedenheit.
«Gehen Sie packen. Ihre Papiere können Sie im Büro abholen. «Er drehte sich auf dem Absatz um und hinkte langsam davon, Mission erfolgreich beendet.
Was für ein Eisschrank, dachte ich. Gefühllos, geschlechtslos, berechnend. Unmöglich, sich ihn verliebt, geliebt, mitleidig, traurig oder in irgendeiner Weise ängstlich vorzustellen.
Ich machte einen Buckel, verzog das Gesicht und beschloß, Dobbins Sattel im Dreck liegenzulassen. Paßt, dachte ich. Meiner Rolle getreu bis zum bitteren Ende.
Kapitel 15
Ich nahm die Plastikplane vom Motorrad und fuhr ohne Eile zum Hof hinaus. Die Jungs waren geschlossen mit dem dritten Lot unterwegs und mußten, wenn sie wiederkamen, noch mal ran; als mir gerade durch den Kopf ging, wie sie zu fünft mit dreißig Pferden fertigwerden wollten, kam mir ein Junge mit Frettchenaugen und umgehängtem Seesack entgegen, der langsam in Richtung Humber latschte. Neues Treibgut. Hätte er geahnt, auf was er sich einließ, wäre er noch langsamer gegangen.
Ich fuhr nach Clavering, einer tristen Grubenstadt mit schäbigen Rücken an Rücken stehenden Reihenhäusern rund um ein mit Chrom und Glas aufgemotztes Einkaufszentrum und rief in Octobers Londoner Wohnung an.
Terence meldete sich. Lord October sei in Deutschland, sagte er, wo seine Firma eine neue Fabrik eröffne.
«Wann kommt er zurück?«
«Samstag morgen, nehme ich an. Er ist am Sonntag weg und wollte acht Tage bleiben.«
«Verbringt er das Wochenende in Slaw?«
«Wahrscheinlich. Der Rückflug geht nach Manchester, für London hat er mir keine Anweisungen hinterlassen.«
«Könnten Sie mir die Telefonnummern von Colonel Beckett und Sir Stuart Macclesfield heraussuchen?«
«Augenblick. «Ich hörte ihn blättern, dann gab er mir die Anschriften und Telefonnummern durch. Ich schrieb mit und dankte ihm.
«Ihre Kleider sind noch hier, Sir«, sagte er.
«Ich weiß«, sagte ich grinsend.»Die hole ich auch bald mal ab.«
Wir legten auf, und ich rief bei Beckett an. Eine stocktrockene Stimme sagte mir, Colonel Beckett sei nicht zu Hause, werde aber um neun in seinem Club essen und sei dann dort zu erreichen. Sir Stuart Macclesfield, so erfuhr ich, kurierte in einem Sanatorium eine Lungenentzündung aus. Ich hatte gehofft, Hilfe für die Beobachtung von Humbers Stall zu bekommen, damit wir Kanderstegs Weg verfolgen konnten, wenn er in den Transporter verfrachtet wurde. Aber wie es aussah, hatte ich nur mich, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Ortspolizei meine Geschichte glauben oder mir gar Leute zur Verfügung stellen würde.
Ausgerüstet mit einer Decke und einem guten, aus einem Leihhaus stammenden Fernglas, versorgt mit Schweinefleischpastete, Schokolade, einer Flasche Mineralwasser und ein paar Bogen Kanzleipapier, fuhr ich mit dem Motorrad wieder nach Posset und nahm am Ortsausgang die Straße, die oberhalb des Tals, in dem Humbers Stall lag, verlief. An der auf meiner Erkundungsfahrt markierten Stelle schob ich die Maschine ein paar Meter ins Gebüsch und suchte mir einen Platz unterhalb der Horizontlinie, so daß ich für Vorbeifahrende schwer auszumachen war, aber mit dem Fernglas direkt in Humbers Hof schauen konnte. Es war ein Uhr, und dort unten tat sich nichts.
Ich nahm den Koffer vom Gepäckträger, um ihn als Sitz zu benutzen, und richtete mich auf eine lange Wache ein. Selbst wenn ich Beckett um neun telefonisch erreichte, würde er vor morgen früh kaum Verstärkung herbeizaubern können.
In der Zwischenzeit konnte ich einen ausführlichen Bericht abfassen und die Gelegenheit nutzen, auf Dinge einzugehen, die ich in meinen schnell am Postschalter hingekritzelten Briefen ausgeklammert hatte. Ich nahm das Kanzleipapier hervor und schrieb mit Unterbrechungen fast den ganzen Nachmittag, ohne die Beobachtung durchs Fernglas zu vernachlässigen. Doch bei Humber lief nichts als der normale Stallbetrieb.
Ich begann.
An den Earl of October, Sir Stuart Macclesfield, Colonel Roderick Beckett
Sehr geehrte Herren,im folgenden fasse ich die bisherigen Ergebnisse — beobachtete Fakten und sich daraus ergebende Schlüsse — meiner in Ihrem Auftrag durchgeführten Ermittlungen zusammen.
Paul James Adams und Hedley Humber erzielen gemeinsam seit ungefähr vier Jahren, seit Adams das Schloß in Tellbridge, Northumberland, gekauft hat und dort wohnt, mit unlauteren Mitteln Rennerfolge.
Adams ist (soweit ich das als Laie beurteilen kann) eine psychopathische Persönlichkeit, ein Mensch, der leidenschaftlich seine Gelüste auslebt und seine Ziele verfolgt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen oder mögliche Folgen für die eigene Person zu bedenken. Er wirkt überdurchschnittlich intelligent, und er hat bei dem Gespann das Sagen. Psychopathen neigen meines Wissens oft zu riskanten Betrügereien; vielleicht wäre ein Blick in seine Lebensgeschichte aufschlußreich.
Humber hört zwar auf Adams, ist aber nicht ganz so verantwortungslos. Er ist kalt und stets beherrscht. Ich habe ihn nie wirklich wütend erlebt (er setzt Zorn als Waffe ein), und alles, was er tut, wirkt überlegt und berechnet. Während Adams möglicherweise psychisch gestört ist, scheint mir Humber einfach bösartig zu sein. Vielleicht hält sein vergleichsweise gesunder Verstand Adams in Schranken, so daß sie nicht schon früher aufgefallen sind.
Adams ’ und Humbers Methode basiert darauf, daß Pferde durch Assoziation lernen und Geräusche mit Geschehen in Verbindung bringen. Wie Pawlows Hunde auf das Klingelzeichen hören, weil es für sie heißt, daß es Fressen gibt, wissen Pferde, wenn der Futterwagen über den Hof rollt, genau, daß ihr Futter kommt.
Ist ein Pferd daran gewöhnt, daß auf ein bestimmtes Geräusch hin etwas Bestimmtes geschieht, dann rechnet es unwillkürlich mit diesem Geschehen, sobald es das Geräusch hört. Es reagiert auf das Geräusch in Erwartung des Geschehens.
Müßte es dieses Geschehen fürchten — gäbe es etwa nach dem Rattern des Futterwagens stets Prügel statt Futter —, dann würde das Pferd sehr bald das Geräusch als böses Vorzeichen fürchten lernen.
Das Reizmittel, das Adams und Humber verwenden, ist Furcht. Die verdrehten Augen, der starre Blick, die Schweißausbrüche der scheinbar >gedopten< Pferde nach ihrem Sieg lassen den Schluß zu, daß sie sich in einem Zustand großer Angst befunden haben.