Humber, nicht der Beweglichste, blieb auf seinem Posten am Fenster und schlug zu, wann immer ich in Reichweite kam. In dem kleinen Büro geschah das nur zu oft.
Ich versuchte von Anfang an, ihnen die Knüppel zu entreißen, den kaputten Stuhl an mich zu bringen oder etwas Werfbares zu finden, aber das war überhaupt nicht gut für meine Finger, und an den Stuhl ließ Adams, der meine Absichten erriet, mich einfach nicht heran. Alles, was sich in dem kahlen Büro zum Werfen eignete, lag hinter Humber auf seinem Schreibtisch.
Weil es in der Nacht am Hang so kalt gewesen war, trug ich zwei Pullover unter der Jacke, die ein wenig schlagdämpfend wirkten, aber besonders Adams schlug mit Wucht, und jeder seiner Treffer rüttelte mich durch. Ich hatte auch daran gedacht, durchs geschlossene Fenster zu hechten, aber sie ließen mich da nicht ran, und ich mußte in Bewegung bleiben.
Verzweifelt ging ich von der Abwehr zum Angriff über und stürzte mich auf Humber. Ohne auf Adams zu achten, der prompt zwei fürchterliche Treffer landete, packte ich meinen ehemaligen Arbeitgeber beim Wickel, riß ihn, einen Fuß gegen den Schreibtisch stemmend, herum und schleuderte ihn durch den schmalen Raum. Er flog krachend in die Aktenschränke.
Auf dem Schreibtisch lag der grüne Briefbeschwerer aus Glas. Groß wie ein Kricketball. Er war gut zu greifen, und mit einer einzigen schnellen Bewegung hob ich ihn auf, drehte mich auf den Zehenspitzen herum und warf ihn nach Humber, der keine drei Meter entfernt noch um sein Gleichgewicht rang.
Ich traf ihn genau zwischen die Augen. Ein Volltreffer. Bewußtlos sank er in sich zusammen.
Ich war bei ihm, noch bevor er am Boden aufschlug, und griff nach der grünen Glaskugel, die als Waffe jedem Stock oder kaputten Stuhl überlegen war. Aber Adams schaltete zu schnell. Er holte aus.
Ich nahm irrtümlich an, ein weiterer Schlag wäre halb so schlimm, und streckte mich weiter nach dem Briefbeschwerer, obwohl ich wußte, daß Adams’ Stuhlbein unterwegs war. Aber diesmal nützte mir der Sturzhelm wenig, weil ich den Kopf gesenkt hielt. Adams traf mich unter dem Helmrand, hinter dem Ohr.
Benommen taumelte ich gegen die Wand und setzte mich hin, die Schultern an die Wand gelehnt und ein Bein unterm Körper angewinkelt. Ich wollte aufstehen, hatte aber einfach nicht die Kraft dazu. Mir schwindelte. Ich sah kaum etwas. Es sang mir in den Ohren.
Adams beugte sich über mich, öffnete den Gurt meines Sturzhelms und nahm ihn mir vom Kopf. Der hat doch was vor, dachte ich beduselt. Ich blickte auf. Er stand lächelnd da und schwang das Stuhlbein. Freute sich.
Im allerletzten Moment lichtete sich der Nebel in meinem Kopf ein wenig, und ich wußte, wenn ich nichts dagegen tat, würde dieser Schlag der letzte sein. Zum Ausweichen war keine Zeit. Ich riß den rechten Arm hoch, um meinen bloßen Kopf zu schützen, und das niedersausende Stück Holz krachte hinein.
Es war wie eine Explosion. Meine Hand fiel taub und kraftlos herunter.
Wieviel hatte ich noch? Zehn Sekunden. Höchstens. Ich war wütend. Das Vergnügen, mich umzubringen, sollte Adams auf keinen Fall haben. Er lächelte immer noch. Beobachtete mein Gesicht, während er ausholte, um mir den Gnadenstoß zu geben.
Nein, dachte ich, wozu hast du denn Beine? Willst du hier liegen, bis er dich ausradiert, statt dich zu wehren? Er stand rechts von mir. Mein linkes Bein war unter mir eingeknickt, und er achtete nicht weiter darauf, als ich es herauszog und über das andere legte. Ich brachte beide Beine hoch, eins vor, eins hinter seinen Füßen, dann schloß ich die Beinschere und rollte mich mit einem Ruck jäh auf die Seite.
Adams war völlig überrumpelt. Er verlor die Balance, ruderte wild mit den Armen und fiel krachend auf den Rük-ken. Hier kam mir sein Körpergewicht zustatten, denn es verstärkte den Aufprall, der ihm die Luft nahm, und erschwerte ihm das Aufstehen. Meine Rechte war zum Werfen nicht mehr zu gebrauchen. Ich rappelte mich hoch, packte die grüne Glaskugel mit links und schlug sie Adams über den Kopf, während er noch auf den Knien lag. Es schien keine große Wirkung zu haben. Er stand auf. Er ächzte.
Verzweifelt holte ich aus und schlug noch einmal zu. Ich traf ihn am Hinterkopf; er ging zu Boden und blieb liegen.
Benommen, mit flauem Magen, ließ ich mich neben ihn fallen, und meine Schmerzen holten mich ein, während das Blut aus der Wunde an meiner Stirn langsam auf den Boden tropfte.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß, zu Atem und zu Kräften zu kommen suchte, damit ich endlich abziehen konnte, aber allzu lange kann es nicht gewesen sein. Der Gedanke an Cass brachte mich schließlich auf die Beine. Jeder Dreikäsehoch hätte mich jetzt weggehauen, und der drahtige kleine Futtermeister erst recht.
Die beiden anderen lagen regungslos am Boden. Adams atmete schwer, beinah schnarchend. Humbers Atem ging ganz flach.
Ich fuhr mir mit der Linken übers Gesicht, und sie war blutverschmiert. Dein ganzes Gesicht muß voll Blut sein, dachte ich. So kannst du nicht durch die Gegend fahren. Ich taumelte in den Waschraum.
Im Spülbecken lagen halb geschmolzene Eiswürfel. Eis. Benommen guckte ich darauf. Eis im Kühlschrank. Klirrendes Eis in den Gläsern. Eis im Ausguß. Kühl und blutstillend. Ich nahm ein Stück Eis und sah in den Spiegel. Grausig. Ich drückte das Eis auf die Wunde und versuchte, wie man so schön sagt, mich zusammenzureißen. Mit geringem Erfolg.
Nach einer Weile ließ ich Wasser ins Becken laufen und wusch mir das Blut ab. Dabei stellte sich heraus, daß die Wunde nur ein paar Zentimeter lang, aber nicht tief war, auch wenn sie immer noch nachblutete. Ich suchte ein Handtuch.
Auf dem Tisch neben dem Arzneischrank stand eine offene kleine Flasche, daneben lag ein Teelöffel. Mein Blick glitt auf der Suche nach dem Handtuch darüber hinweg, stockte, kehrte zurück. Ich machte drei unsichere Schritte zum Tisch hin. Mit der Flasche hat es etwas auf sich, dachte ich, aber ich war nicht klar im Kopf.
Eine Flasche Phenobarbital in Pulverform, wie ich es Mickey vierzehn Tage lang verabreicht hatte. Nur Phenobarbital, weiter nichts. Ich seufzte.
Dann fiel mir ein, daß Mickey den letzten Rest aus der Flasche bekommen hatte. Sie hätte leer sein müssen. Ganz leer. Nicht voll. Die hier war noch bis zum Hals gefüllt, und die Wachsstückchen vom aufgebrochenen Siegel lagen ringsherum. Jemand hatte kürzlich eine neue Flasche Phenobarbital geöffnet und ihr ein paar Löffel entnommen.
Natürlich. Für Kandersteg. Ich fand ein Handtuch und trocknete mir das Gesicht. Dann kehrte ich ins Büro zurück und kniete neben Adams nieder, um den Büroschlüssel aus seiner Tasche zu holen. Er schnarchte nicht mehr.
Ich drehte ihn auf den Rücken.
Es läßt sich nicht in schönen Worten sagen: Er war tot.
Blutfäden waren ihm aus Ohren, Augen, Nase und Mund gelaufen. Ich betastete seinen Kopf an der Stelle, wo ich ihn getroffen hatte, und die eingedrückten Schädelknochen bewegten sich unter meinen Fingern.
Entsetzt und zitternd suchte ich in seinen Taschen und fand den Schlüssel. Dann stand ich auf und ging langsam zum Schreibtisch, um die Polizei anzurufen.
Das Telefon lag auf dem Boden, der Hörer neben der Gabel. Ich bückte mich und hob den Apparat unbeholfen mit der linken Hand auf, und alles schwamm vor den Augen. Wäre mir nur nicht so übel gewesen. Ich richtete mich auf und stellte das Telefon auf den Schreibtisch. Wieder lief Blut an meiner Braue herunter. Ich hatte nicht die Energie, es abzuwischen.
Draußen im Hof brannten ein paar Lampen, auch die in Kanderstegs Box. Die Tür stand weit offen, und das angebundene Pferd schlug wütend nach allen Seiten aus. Es machte keineswegs den Eindruck, als hätte es ein Beruhigungsmittel bekommen.