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Die Frau sah mich ernst durch ihren Kneifer an und nickte. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir glaubte, aber es sah so aus.

«Sagen Sie dem Arzt, daß sie mit Phenobarbital und Gin vergiftet worden ist. Vor ungefähr vierzig Minuten. Und bitte, bitte beeilen Sie sich. Gibt es einen Zweitschlüssel für die Tür?«

«Wenn einer steckt, läßt der sich nicht rausdrücken. Wir haben das bei anderer Gelegenheit bei anderen Zimmern schon versucht. Sie müssen die Tür aufbrechen. Ich rufe den Arzt. «Sie entfernte sich gemessenen Schrittes, immer noch unerhört ruhig, obwohl ein fragwürdiger Mensch mit blutender Stirn ihr gerade mitgeteilt hatte, daß eine ihrer Studentinnen mit einem Bein im Grab stand. Eine kampferprobte Universitätsdozentin.

Die viktorianischen Erbauer der Stätte hatten nicht vorgesehen, daß aufdringliche Kerle den Mädchen die Bude einrennen sollten. Da mir die Frau mit dem Kneifer aber zugetraut hatte, daß ich die Tür aufbrechen könnte, strengte ich mich an und trat sie schließlich mit dem Absatz ein. Das Holz barst am Türpfosten, und die Tür flog auf.

Der ganze Lärm hatte nicht eine einzige Studentin auf den Gang gelockt: Es war immer noch niemand da. Ich betrat Elinors Zimmer, knipste das Licht an und drückte die Tür hinter mir zu.

Sie lag ausgestreckt in tiefem Schlaf auf ihrem blauen Bett, das Gesicht umrahmt von dem silberblonden Haar, friedlich und schön. Sie hatte angefangen, sich auszuziehen, wohl deshalb auch die Tür abgeschlossen, und trug nur noch Slip, BH und ein schlichtes Unterkleid, alles weiß und mit Rosenknospen und rosa Bändern gemustert. Hübsch. So etwas hätte Belinda gefallen. Die leichte Bekleidung verstärkte jedoch den Eindruck ihrer Wehrlosigkeit. Und meine Sorge.

Das Kleid, das sie bei Humber getragen hatte, lag auf dem Boden. Ein Strumpf hing über einer Stuhllehne, der andere lag direkt unter ihrer schlaff herabbaumelnden Hand neben dem Bett. Ein frisches Paar Strümpfe war auf der Frisierkommode bereitgelegt, ein blaues Wollkleid hing auf einem Bügel am Kleiderschrank. Sie hatte sich für den Abend umziehen wollen.

Wenn ich sie mit dem Lärm der krachenden Tür nicht geweckt hatte, konnte ich sie wohl kaum wachrütteln, aber ich versuchte es. Sie regte sich nicht. Ihr Puls war normal, die Atmung gleichmäßig, ihr Teint zart wie immer. Sie sah nicht aus, als ob ihr etwas fehlte. Es machte mir angst.

Warum kam nicht endlich der Arzt? Die Tür hatte mich lange aufgehalten — oder ich hatte mich dumm angestellt, je nachdem —, es mußten jetzt zehn Minuten vergangen sein, seit die Frau mit dem Kneifer ihn rufen ging.

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, und ein gepflegter Mann mittleren Alters in einem grauen Anzug schaute ins Zimmer. Er war allein. In der einen Hand hielt er eine Tasche, in der anderen ein Feuerwehrbeil. Er kam herein, sah auf das zersplitterte Holz, lehnte die Tür an und legte das Beil auf Elinors Schreibtisch.

«Immerhin Zeit gespart«, meinte er knapp. Er musterte mich ohne Begeisterung und bedeutete mir, aus dem Weg zu gehen. Dann registrierte er das hochgerutschte Unterkleid Elinors und ihre langen, nackten Beine und fragte argwöhnisch:»Haben Sie sie angerührt?«

«Nein«, antwortete ich verärgert.»Ich habe sie am Arm gerüttelt und ihren Puls gefühlt. Sie lag so da, als ich hereinkam.«

Irgend etwas, und sei es nur meine offensichtliche Müdigkeit, veranlaßte ihn plötzlich, mich mit dem nüchternen Blick des Arztes zu betrachten.»In Ordnung«, sagte er und beugte sich über Elinor.

Ich wartete hinter ihm, während er sie untersuchte, und als er sich umdrehte, bemerkte ich, daß er das verrutschte Unterkleid züchtig zu den Knien herabgezogen hatte.

«Phenobarbital und Gin?«sagte er.»Sind Sie sicher?«

«Ja.«

«Absichtlich eingenommen?«

Er klappte seine Tasche auf.

«Unabsichtlich.«

«Sonst wimmelt es hier von Frauen«, sagte er unvermittelt.»Aber anscheinend sind sie alle auf irgendeiner Versammlung. «Noch ein prüfender Blick.»Ginge es, daß Sie mir helfen?«

«Ja.«

Er zögerte.»Wirklich?«

«Sagen Sie mir, was ich tun soll.«

«Gut. Bringen Sie mir eine große Kanne und einen Eimer oder eine große Schüssel. Ich kümmere mich erst um das Mädchen, Sie können mir nachher erzählen, wie das passiert ist.«

Er nahm eine Spritze aus der Tasche, zog sie auf und setzte Elinor eine Injektion in die Vene an der Ellbogenbeuge. Ich holte Kanne und Schüssel aus dem Einbauschrank.

«Sie waren schon mal hier«, meinte er mit wiedererwachendem Argwohn.

«Einmal«, sagte ich und fügte Elinor zuliebe hinzu:»Ich bin bei ihrem Vater angestellt. Nichts Persönliches.«

«Oh. Verstehe. «Er zog die Nadel heraus, nahm die Spritze auseinander und wusch sich rasch die Hände.

«Wie viele Tabletten hat sie genommen, wissen Sie das?«

«Keine Tabletten. Es war in Pulverform. Ein Teelöffel voll, wenn nicht mehr.«

Er sah bestürzt aus, sagte aber:»Wenn man so viel nimmt, schmeckt das bitter. Das hätte sie gemerkt.«

«Gin mit Campari schmeckt sowieso bitter.«

«Stimmt. Also gut. Ich pumpe ihr den Magen aus. Das meiste wird schon in der Blutbahn sein, aber bei der Menge… nun, wir wollen es versuchen.«

Er wies mich an, die Kanne mit lauwarmem Wasser zu füllen, während er vorsichtig einen dicken Schlauch in Elinors Schlund einführte. Zu meiner Überraschung legte er dann das Ohr an den Schlauch und erklärte kurz dazu, daß man bei einem bewußtlosen Patienten, der nicht schlucken könne, kontrollieren müsse, ob der Schlauch versehentlich in die Lunge geraten sei.»Wenn Sie den Atem hören, sind Sie falsch«, sagte er.

Er steckte einen Trichter in das herausstehende Ende des Schlauchs, ließ sich die Kanne geben und goß behutsam das Wasser ein. Erst nachdem eine für mich unglaubliche Menge davon im Schlauch verschwunden war, hörte er auf, gab mir den Krug zurück und bat mich, die Schüssel zu ihm hin zu schieben. Dann nahm er den Trichter ab und hielt das Schlauchende plötzlich über den Bettrand hinweg in die Schüssel.

Das Wasser schoß, zusammen mit Elinors Mageninhalt, wieder heraus.

«Hm«, meinte er ruhig.»Sie hat vorher gegessen. Kuchen anscheinend. Immerhin.«

Er war um einiges gelassener als ich.

«Kommt sie durch?«Meine Stimme klang gepreßt.

Er sah mich kurz an und zog den Schlauch heraus.

«Sie hat das Zeug knapp eine Stunde vor meiner Ankunft getrunken?«

«Ungefähr fünfzig Minuten vorher.«

«Und sie hatte was im Magen. Ja, das wird schon, bei ihrer Konstitution. Ich habe ihr Megimid gespritzt, ein hochwirksames Gegenmittel. In etwa einer Stunde dürfte sie aufwachen. Eine Nacht im Krankenhaus, und sie hat’s überstanden. Dann ist sie wieder voll da.«

Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht.

«Es kommt sehr auf die Zeit an«, meinte er ruhig.»Wenn sie hier stundenlang gelegen hätte… ein Teelöffel, das sind zwei Gramm, wenn nicht mehr. «Er schüttelte den Kopf.

«Das hätte ihr Tod sein können.«

Er entnahm eine Probe des Mageninhalts fürs Labor und deckte die Schüssel mit einem Handtuch zu.

«Wie sind Sie denn zu der Wunde am Kopf gekommen?«fragte er plötzlich.

«Bei einer Rauferei.«»Sie muß genäht werden. Soll ich das machen?«

«Ja, gern.«

«Sobald Miss Tarren auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Dr. Pritchard wollte einen Krankenwagen rufen. Der müßte bald da sein.«

«Dr. Pritchard?«

«Die Dozentin, die mich verständigt hat. Meine Praxis ist gleich um die Ecke. Sie rief an und sagte, ein blutverschmierter, ungestümer junger Mann behaupte, Miss Tarren sei vergiftet worden, und ich möchte doch bitte mal nach ihr sehen. «Er lächelte flüchtig.»Sie haben mir noch nicht erzählt, wie das alles passiert ist.«