Die Redensart vom Erdboden, in dem man am liebsten versinken möchte, bekam eine ganz plastische Bedeutung für mich. Es verletzte den kläglichen Rest meiner persönlichen Würde, so vielen intelligenten und ansprechenden jungen Frauen als Gefangener vorgeführt zu werden. Die Zeugen waren im falschen Alter. Vom falschen Geschlecht. Ich hätte es leichter genommen, wenn sie Männer gewesen wären.
Nichts zu machen. Es war ein langer Weg von Elinors Zimmer durch die verzweigten Korridore, zwei Treppen hinunter zum Ausgang, und jeder unserer Schritte wurde von interessierten Mädchenaugen beobachtet.
So etwas vergißt man nicht, dachte ich unglücklich. Das ging zu tief. Oder konnte man sich sogar daran gewöhnen, in Handschellen herumgeführt zu werden? Beneidenswert der Unverbesserliche, den das dann nicht mehr kümmerte.
Immerhin brachte ich den Weg, sogar die Treppen, hinter mich, ohne zu stolpern, und das war schon ein kleiner Trost. Aber erst, als ich in den Streifenwagen gestoßen wurde, atmete ich auf.
Ich saß vorn, zwischen meinen beiden Bewachern. Der Dunkelhaarige fuhr.
«Puh«, sagte er und schob seine Mütze einen Tick nach hinten.»Was für eine Menge Frauen!«Er war unter ihren Blicken rot geworden, und ein wenig Schweiß stand ihm auf der Stirn.
«Ein harter Knochen ist das hier«, meinte der Rote und wischte sich mit einem weißen Taschentuch den Hals, während er mich, an die Tür gelehnt, betrachtete.»Der hat keine Miene verzogen.«
Die Lichter von Durham glitten vorbei. Ich sah geradeaus durch die Windschutzscheibe und dachte bei mir, wie wenig man doch an einem Gesicht ablesen konnte. Der ganze Weg war eine Tortur gewesen. Wahrscheinlich hatte man mir das nur deshalb nicht angesehen, weil ich seit Monaten darin geübt war, meine Gefühle und Gedanken zu verbergen. Die Macht der Gewohnheit. Zu Recht nahm ich an, daß diese Gewohnheit mir künftig noch öfter Kraft geben würde.
Auf der ganzen Fahrt dachte ich darüber nach, wie bös ich in die Klemme geraten war und wie schwierig es werden konnte, da wieder rauszukommen. Ich hatte Adams wirklich umgebracht. Da gab es kein Wenn und Aber. Und man würde mich nicht als ehrbaren Bürger betrachten, sondern als Totschläger, der mit allen Tricks versuchte, sich der Verantwortung für seine Tat zu entziehen. Man würde nach meiner äußeren Erscheinung gehen, die wirklich nicht viel hermachte. Mein Pech. Immerhin hatte ich acht Wochen bei Humber überstanden, weil ich wie Müll aussah. Die Maske, die Adams getäuscht hatte, würde auf die Polizei ebenso überzeugend wirken, ja wirkte jetzt schon so auf sie, wie die wachsamen, feindseligen Männer links und rechts von mir bewiesen.
Der Rothaarige ließ mich nicht aus den Augen.
«Sehr gesprächig ist er nicht«, sagte er nach einer langen Schweigepause.
«Hat viel nachzudenken«, spöttelte der Dunkle.
Die Blessuren, die Adams und Humber mir beigebracht hatten, machten sich weiterhin bemerkbar. Ich rutschte unbehaglich auf meinem Sitz, und die Handschellen klirrten. Die Unbeschwertheit, mit der ich in meinen neuen Kleidern nach Slaw gefahren war, schien weit, weit zurückzuliegen.
Die Lichter von Clavering tauchten auf. Der Dunkelhaarige warf mir einen zufriedenen Blick zu. Er hatte einen Fang gemacht. Seine Aufgabe erfüllt. Der Rothaarige brach erneut ein langes Schweigen, und auch aus seinen Worten klang Befriedigung.
«Der wird ein schönes Stück älter sein, wenn er wieder rauskommt.«
Das hoffte ich entschieden nicht, aber ich wußte nur zu gut, daß ich in Untersuchungshaft bleiben würde, bis ich schlüssig nachweisen konnte, daß ich in Notwehr gehandelt hatte. Ich war nicht umsonst Sohn eines Anwalts.
Die nächsten Stunden waren grauenhaft. Die Polizei von Clavering war ein zynischer Verein, abgebrüht im Kampf gegen die Kriminalität in einem Bergbaugebiet mit hoher Arbeitslosenquote. Samthandschuhe gab es für sie nicht. Als einzelne liebten sie vielleicht ihre Frauen und waren gute Väter, aber sie hoben sich Humor und Nachsicht für die Freizeit auf.
Sie hatten viel zu tun. Hektik und Gedränge auf der ganzen Linie. Immer noch in Handschellen, wurde ich unter Bewachung von einem Zimmer ins nächste gestoßen und angeblafft. Immer hieß es:»Nachher. Den nehmen wir uns später vor. Wir haben die ganze Nacht Zeit.«
Ich dachte sehnsüchtig an ein heißes Bad, ein weiches Bett und eine Handvoll Aspirin. Nichts davon bekam ich.
Irgendwann am Abend setzten sie mich in einem hellen, kahlen Zimmerchen auf einen Stuhl, und ich erzählte ihnen, warum ich bei Humber gewesen und wie es dazu gekommen war, daß ich Adams getötet hatte. Ich erzählte alles, was an dem Tag passiert war. Sie glaubten mir nicht, was man ihnen kaum verdenken konnte. Daß sie mich des Mordes beschuldigten, war Formsache. Ich protestierte. Es nützte nichts.
Sie stellten mir eine Menge Fragen. Ich beantwortete sie. Sie stellten sie wieder. Ich antwortete. Sie lösten einander mit dem Fragen ab, so daß immer ein frischer Mann am Drücker war, während ich zunehmend abbaute. Ich war froh, daß ich in diesem zermürbenden Dauerstreß kein Lügengespinst aufrechterhalten mußte, denn es war schon schwer genug, die Wahrheit klar im Kopf zu behalten, und sie warteten nur auf einen Fehler von mir.
«Jetzt erzählen Sie mal, was wirklich passiert ist.«
«Das habe ich Ihnen erzählt.«
«Agentenmärchen glauben wir nicht.«
«Telegrafieren Sie nach Australien, fordern Sie eine Kopie meines Arbeitsvertrags an. «Zum dritten Mal wiederholte ich die Adresse meines Anwalts, und zum vierten Mal unterließen sie es, sie zu notieren.
«Wer hat Sie angeblich engagiert?«
«Der Earl of October.«
«Den können wir dann ja sicher auch fragen.«
«Er ist bis Samstag in Deutschland.«
«So ein Pech. «Sie lächelten boshaft. Sie wußten von Cass, daß ich in Octobers Rennstall gearbeitet hatte. Cass hatte mich als liederlichen Stallmann geschildert, unehrlich, leicht einzuschüchtern und nicht der Hellste. Er hatte aus Überzeugung gesprochen, und er hatte sie überzeugt.
«Sie haben Ärger wegen der Tochter Seiner Lordschaft bekommen, nicht wahr?«
Cass, das verdammte Plappermaul, dachte ich grimmig.
«Und jetzt ziehen Sie seinen Namen da rein, um sich für Ihre Entlassung zu revanchieren, was?«
«So wie Sie sich bei Mr. Humber heute für Ihre Entlassung revanchiert haben?«
«Nein. Da bin ich weg, weil meine Aufgabe erledigt war.«
«Oder vielleicht dafür, daß er Sie geschlagen hat?«
«Nein.«
«Der Futtermeister meint, die Prügel seien verdient gewesen.«
«Adams und Humber haben Wettbetrug betrieben. Ich bin ihnen auf die Schliche gekommen, und sie haben versucht, mich umzubringen. «Mir kam es vor, als hätte ich das schon zehnmal gesagt, ohne auch nur den geringsten Eindruck zu machen.
«Sie haben ihnen die Schläge verübelt. Sie sind zurückgekommen, um sich zu revanchieren. Wir kennen das Spiel.«
«Nein.«
«Sie haben sich da reingesteigert, sind zurück und auf die beiden los. Das reinste Schlachtfeld. Überall Blut.«
«Es ist mein Blut.«
«Das können wir nachprüfen.«
«Bitte sehr. Es stammt von mir.«
«Von der kleinen Wunde da? Reden Sie keinen Stuß.«
«Sie ist genäht worden.«»Ach ja, das bringt uns wieder auf Lady Elinor Tarren. Lord Octobers Tochter. An der haben Sie sich vergriffen, was?«
«Nein.«
«Ihr ein Kind gemacht…«
«Nein. Fragen Sie den Arzt.«
«Deswegen hat sie Schlaftabletten genommen.«
«Nein. Adams hat sie vergiftet. «Schon zweimal hatte ich ihnen von der Flasche Phenobarbital erzählt, und die mußten sie auch gefunden haben, als sie bei Humber waren, aber sie gaben es nicht zu.
«Der Vater hat Ihnen gekündigt, weil Sie die Tochter verführt haben. Die konnte die Entehrung nicht ertragen. Sie hat Schlaftabletten geschluckt.«