Stille trat ein; er ließ mich nachdenken. Auch ohne seine Gründe zu kennen, antwortete ich schließlich in dem Gefühl, daß Offenheit nicht schaden konnte.
«Ich habe eine Arbeit, die mich ausfüllen sollte, aber sie langweilt mich und höhlt mich aus.«
«Ein Fleischfresser, der von Milch und Honig lebt«, meinte er.
Ich lachte.»Vielleicht fehlt mir die Würze.«
«Was wären Sie geworden, wenn Ihre Eltern nicht verunglückt wären und Sie nicht für drei Geschwister hätten sorgen müssen?«
«Anwalt, glaube ich, aber. «Ich zögerte.
«Aber?«
«Nun, es hört sich etwas seltsam an, besonders nach den letzten Tagen, aber vielleicht auch… Polizeibeamter.«
«Ah«, sagte er leise,»das kommt hin. «Er lehnte den Kopf wieder an und lächelte.
«Vielleicht würden Sie ruhiger, wenn Sie heirateten«, meinte er.
«Dann wäre ich noch mehr gebunden«, sagte ich.»Hätte noch eine Familie zu versorgen. Kein Ende der Tretmühle.«
«So sehen Sie das. Ja, und Elinor?«
«Sie ist nett.«
«Aber nicht die große Liebe?«
Ich schüttelte den Kopf.
«Sie haben alles getan, um ihr das Leben zu retten«, hob er hervor.
«Sie war ja nur durch mich in Gefahr geraten.«
«Wobei Sie nicht wissen konnten, daß sie, weil sie sich unwiderstehlich, ehm… zu Ihnen hingezogen fühlt, extra dort vorbeikommt, um Sie noch mal zu sehen. Als Sie zurückgefahren sind, um sie bei Humber rauszuholen, hatten Sie die Ermittlungen doch schon ganz abgeschlossen, ohne entdeckt worden zu sein. Hab ich recht?«
«Kann man sagen.«
«Hat es Ihnen Spaß gemacht?«
«Spaß gemacht?«wiederholte ich erstaunt.
«Oh, ich meine nicht die Keilerei zum Schluß oder die viele mühselige Arbeit vorher, sondern«- er lächelte flüchtig —»sagen wir, die Jagd?«
«Sie meinen, ob ich ein geborener Jäger bin?«
«Sind Sie’s?«
«Ja.«
Es war still. Meine klare, direkte Antwort hallte nach.
«Hatten Sie Angst?«fragte er sachlich.
«Ja.«
«Hat Sie das behindert?«
Ich schüttelte den Kopf.
«Sie wußten, daß Adams und Humber Sie umbringen würden, wenn Ihre Tarnung auffliegt. Wie hat sich das Leben in ständiger Gefahr auf Sie ausgewirkt?«Seine Stimme war so klinisch neutral, daß ich ebenso distanziert antwortete.
«Ich habe mich vorgesehen.«
«Weiter nichts?«
«Also, wenn Sie meinen, ob ich dauernd nervlich angespannt gewesen bin, das war ich nicht.«
«Mhm. «Wieder schwieg er kurz.»Was ist Ihnen am schwersten gefallen?«
Ich kniff die Augen zusammen, grinste und flunkerte ihn an.»Mit den scheußlichen spitzen Schuhen herumzulaufen.«
Er nickte, als wäre meine Antwort durchaus aufschlußreich. Wahrscheinlich war sie es. Die spitzen Schuhe hatten zwar nicht an den Füßen gedrückt, aber meinen Stolz verletzt.
Und mein Stolz hatte auch nicht zugelassen, daß ich Elinor gegenüber bei meinem ersten Besuch an ihrem College den Dummkopf spielte. Da hatte ich ihr mit Mark Aurel ganz einfach imponieren wollen, und die Folgen waren verheerend gewesen. Ich mochte gar nicht daran denken, geschweige denn es zugeben.
Beckett fragte wie nebenbei:»Könnten Sie sich vorstellen, etwas in der Art noch mal zu machen?«
«An sich schon. Aber so nicht mehr.«
«Wie meinen Sie?«
«Nun… ich wußte zum Beispiel nicht genug. So war es lediglich Glück, daß Humber sein Büro immer offenließ, denn sonst wäre ich nicht hineingekommen. Ich weiß nicht, wie man Türen ohne Schlüssel aufkriegt. Eine Kamera wäre gut gewesen… dann hätte ich das blaue Geschäftsbuch seitenweise ablichten können und so weiter, aber ich verstehe so gut wie nichts vom Fotografieren. Und ich hatte mich im Leben noch nie geprügelt. Wäre ich im Kampf ohne Waffen ein bißchen geübt, hätte ich wahrscheinlich weder Adams umgebracht noch selbst so viel einstecken müssen. Davon abgesehen hatte ich keine Möglichkeit, Sie im Notfall schnell zu erreichen. Ich war hoffnungslos isoliert.«
«Verstehe. Trotz alledem haben Sie die Sache zu Ende gebracht.«
«Das war Glück. Nichts, womit man rechnen darf.«
«Stimmt. «Er lächelte.»Was werden Sie mit Ihren zwanzigtausend Pfund anfangen?«
«Ich, ehm… die kann Edward zum größten Teil behalten.«
«Wie bitte?«
«So viel Geld kann ich nicht annehmen. Ich wollte ja eigentlich nur mal von zu Hause weg. Das Riesengeld war sein Vorschlag, nicht meiner. Er dachte wohl, sonst würde ich’s nicht machen, aber das war ein Irrtum. Ich hätte es auch umsonst gemacht, wenn das gegangen wäre. Er soll mir nur die Kosten für den Aufenthalt erstatten. Das habe ich ihm gestern abend schon gesagt.«
Es war eine Weile still. Schließlich setzte sich Beckett auf und griff zum Telefon. Er wählte eine Nummer und wartete.
«Hier Beckett«, sagte er.»Es geht um Daniel Roke… ja, er ist hier. «Er zog eine Karte aus dem Jackett.»Was die heute früh angesprochenen Punkte betrifft — ich habe mich mit ihm unterhalten. Haben Sie Ihre Karte vor sich?«
Er lauschte einen Moment und lehnte sich wieder in den Sessel zurück. Sein Blick ruhte auf meinem Gesicht.
«Okay?«sagte er in den Hörer.»Eins bis vier geht klar.
Fünf hinreichend. Punkt sechs ist seine Schwachstelle… vor Elinor Tarren hat er die Rolle nicht konsequent gespielt. Sie fand ihn intelligent und guterzogen. Damit stand sie allerdings allein. Ja, nehme ich auch an, Imponiergehabe… offenbar nur, weil Elinor nicht allein hübsch, sondern auch klug ist, denn bei der jüngeren Schwester hat er den Schein gewahrt… Ja, sie war mit Sicherheit nicht nur von seinem Äußeren, sondern auch von seiner Intelligenz angetan… er sieht sehr gut aus, das ist ja manchmal günstig… ach was. Er hat weder im Club noch hier im Haus in den Spiegel gesehen… Nein, zugegeben hat er’s nicht gerade, aber ich denke, er weiß genau, daß er da gepatzt hat. Teuer bezahlt, ja. Kann sich wiederholen, kann auch nur Mangel an Erfahrung gewesen sein… das klärt am besten Ihre Miss Jones.«
Es gefiel mir zwar nicht, daß ich so kalt analysiert wurde, aber ich mußte entweder hinauslaufen oder es mir anhören. Er sah mich immer noch ausdruckslos an.
«Punkt sieben… normale Reaktion. Acht, ein bißchen zwanghaft, was Ihnen ja nur gelegen kommt. «Er blickte kurz auf die Karte in seiner Hand.»Neun… tja, er ist zwar in England geboren und aufgewachsen, aber Australier aus Neigung, und so leicht kuscht er vor keinem… Weiß ich nicht, das war nicht aus ihm rauszukriegen… Einen Märtyrerkornplex würde ich nicht mal im Ansatz sehen, weit entfernt davon… Aber irgendwo hakt’s doch bei allen… Das liegt ganz bei Ihnen. Punkt zehn? Das GGE. GG läuft nicht, dazu ist er entschieden zu stolz. Bei E würde er sich Rat holen. Ja, er ist noch hier. Keine Miene verzogen. Sie sagen es… okay, ich rufe Sie wieder an.«
Er legte auf. Ich wartete. Er ließ sich Zeit, und ich dachte nicht daran, unter seinem Blick zu zappeln.
«Nun?«sagte er schließlich.
«Wenn Sie meine Antwort hören wollen, die ist nein.«
«Weil Sie nicht möchten oder wegen Ihrer Geschwister?«
«Philip ist erst dreizehn.«
«Verstehe. «Er wedelte matt mit der Hand.»Trotzdem sollten Sie zumindest wissen, was Ihnen entgeht. Der Kollege, der mich heute morgen aufgehalten hat und mit dem ich gerade telefoniert habe, leitet eine Abteilung der Abwehr, die nicht nur im politischen Bereich, sondern auch in Wissenschaft und Industrie arbeitet — wo immer es brennt. Seine Truppe ist spezialisiert auf Einsätze wie den Ihren — verdecktes Ermitteln als Randfigur. Es ist erstaunlich, wie wenig selbst Agenten auf Diener und Handwerker achten. seine Leute haben schon große Erfolge erzielt. Sie werden oft auf angebliche Einwanderer oder fragwürdig erscheinende politische Flüchtlinge angesetzt, aber die beobachten sie nicht aus der Ferne, sondern indem sie täglich unter ihnen arbeiten. In letzter Zeit waren sie am Bau mehrerer geheimer Objekte beteiligt, bei denen so gut wie nichts geheim blieb; ganze Pläne von Geheimanlagen wurden ins Ausland verkauft, und es stellte sich heraus, daß Bauarbeiter einen Industriespionagering mit Informationen versorgt und die Anlage in jedem Stadium fotografiert haben.«