«Philip«, sagte ich,»ist erst dreizehn.«
«Man stürzt sich nicht Hals über Kopf in so ein Leben. Sie sagen ja selbst, daß Ihnen die Ausbildung fehlt. Sie würden mindestens ein Jahr lang in verschiedenen Sparten geschult, bevor Sie zum Einsatz kämen.«
«Es geht nicht«, sagte ich.
«Zwischen den Einsätzen bekommen die Leute immer Urlaub. Dauert ein Einsatz wie bei Ihnen jetzt gerade vier
Monate, dann gibt es rund sechs Wochen frei. Sie arbeiten nach Möglichkeit höchstens neun Monate im Jahr. In den Schulferien könnten Sie oft zu Hause sein.«
«Wenn ich nicht immer da bin, kann ich die Schule nicht bezahlen und der Hof geht flöten.«
«Die britische Regierung würde Ihnen zwar weniger zahlen, als Sie jetzt verdienen«, räumte er ein,»aber es gibt doch immerhin auch Gestütsverwalter.«
Ich öffnete den Mund und schloß ihn wieder.
«Denken Sie darüber nach«, sagte er sanft.»Ich muß noch mit einem anderen Kollegen sprechen. In einer Stunde bin ich wieder da.«
Er stemmte sich aus dem Sessel und ging langsam aus dem Zimmer.
Die Tauben vorm Fenster schlugen friedlich mit den Flügeln. Ich dachte daran, wie ich über Jahre das Gestüt aufgebaut und was ich daraus gemacht hatte. Ich war noch relativ jung, und bis ich fünfzig war, konnte mein Gestüt durchaus zu den führenden Australiens zählen, und damit würden Ansehen, Wohlstand und Einfluß einhergehen.
Was Beckett mir anbot, war ein einsames Leben voll undankbarer Aufgaben und trister Quartiere, ein Leben in ständiger Gefahr, das leicht mit einer Kugel im Kopf enden konnte.
Vernünftig gesehen, gab es nur eins: Belinda, Helen und Philip brauchten nach wie vor ein richtiges Zuhause und einen Ersatzvater, der für sie da war. Außerdem würde kein vernünftiger Mensch sein gutgehendes Geschäft einem Verwalter übergeben, nur um so etwas wie ein Ausputzer für die kleineren Sorgen der Welt zu werden — höher ließ sich das nicht einstufen.
Aber Vernunft hin, Vernunft her… Ein kleiner Anstoß hatte mich bereits dazu gebracht, meine Familie sich selbst zu überlassen, denn da hatte Beckett recht, ich taugte nicht zum Märtyrer, und mein gesundes Geschäft hatte mich schon einmal in die tiefste Depression getrieben.
Ich wußte jetzt, wer ich war und was ich leisten konnte.
Mir fiel ein, wie ich fast den Mut verloren und dann doch weitergemacht hatte. Mir fiel ein, wie ich Elinors Hundepfeife in der Hand gehalten und mit einem direkt spürbaren Schlag die Wahrheit erkannt hatte. Mir fiel die Genugtuung ein, die ich in Kanderstegs versengtem Pferch empfunden hatte, weil ich wußte, Adams und Humber waren überführt und aus dem Spiel. So glücklich hatte mich der Verkauf eines Pferdes noch nie gestimmt.
Die Stunde verging. Die Tauben beschmutzten das Fenster und flogen davon. Colonel Beckett kam zurück.
«Also?«sagte er.»Ja oder nein?«
«Ja.«
Er lachte laut.»Einfach so? Ohne Fragen, ohne Vorbehalte?«
«Ohne Vorbehalte. Aber ich brauche Zeit, um daheim alles zu regeln.«
«Selbstverständlich. «Er griff zum Telefon.»Mein Kollege wird Sie sprechen wollen, bevor Sie nach Hause fliegen. «Er legte die Finger auf die Wählscheibe.»Ich melde Sie an.«
«Eine Frage hätte ich.«
«Ja?«
«Was ist das GGE von Punkt zehn?«
Er lächelte heimlich, und mir wurde klar, daß er die Frage hatte hören wollen; ich sollte also auch die Antwort hören. Wirklich hinterhältig. Meine Nasenflügel bebten im
Duft einer ganz neuen Welt. Einer Welt, die für mich geschaffen war.
«Ob man Sie mit Geld, Gewalt oder Erpressung dazu bringen kann, die Seite zu wechseln«, sagte er beiläufig.
Er wählte die Nummer und veränderte damit mein Leben.