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«Die Leute vom Labor rieten uns, von mechanischen Einwirkungen auszugehen«, sagte October.»Da hat man ja schon alles mögliche probiert. Elektroschocks zum Beispiel. Es gab Jockeys, die haben Batterien in ihren Sattel oder ihre Peitsche eingebaut, um die Pferde mit Stromstößen in den Sieg zu treiben. Der Schweiß der Pferde war dabei ein vorzüglicher Leiter. Wir haben diese Dinge wirklich eingehend geprüft und sind der festen Überzeugung, daß keiner der betreffenden Jockeys unübliche technische Hilfsmittel benutzt hat.«

«Wir haben unsere Aufzeichnungen, die Laborberichte, zahlreiche Zeitungsausschnitte und überhaupt alles, was uns irgendwie sachdienlich schien, gesammelt«, sagte Macclesfield und wies auf einen Stapel von drei Aktendeckeln, die neben mir auf dem Tisch lagen.

«Und Sie haben vier Tage Zeit, das durchzulesen und darüber nachzudenken«, fügte October mit einem flüchtigen Lächeln hinzu.»Ein Zimmer ist hier für Sie hergerichtet; mein Diener wird für Sie dasein. Ich kann leider nicht bleiben, ich muß heute abend nach Yorkshire zurück.«

Beckett sah auf seine Armbanduhr und erhob sich langsam.»Zeit für mich, Edward. «Zu mir sagte er mit einem Blick, der so klar und lebhaft war wie sein Körper hinfällig:»Sie packen das. Aber machen Sie Dampf dahinter, ja? Die Zeit läuft gegen uns.«

Es kam mir vor, als sei October erleichtert. Sicher war ich mir dessen erst, als Macclesfield mir wieder die Hand gab und schnarrte:»Jetzt, wo Sie da sind, scheint mir der ganze Plan auch durchführbar zu sein… Mr. Roke, ich wünsche Ihnen gutes Gelingen.«

October brachte die beiden zur Haustür, kam wieder herauf und sah mich in dem purpurroten Zimmer an.

«Zu meiner Freude darf ich sagen, daß sie sehr angetan von Ihnen sind, Mr. Roke.«

Oben in dem luxuriösen Gästezimmer mit dunkelgrünem Teppichboden und Messingbett, wo ich die nächsten vier Nächte schlafen sollte, stellte ich fest, daß der Diener meine wenigen mitgebrachten Sachen ausgepackt und säuberlich in die Fächer eines schweren edwardianischen Kleiderschranks geräumt hatte. Auf dem Boden neben meiner lederbesetzten Leinenreisetasche stand ein billiger Kunstfaserkoffer mit angerosteten Schlössern. Amüsiert untersuchte ich seinen Inhalt. Obenauf lag ein dickes, zugeklebtes Kuvert mit meinem Namen. Ich riß es auf und fand ein Bündel Fünfpfundnoten darin, vierzig insgesamt — und auf einem beiliegenden Zettel stand:»Gutes Geld für schlechte Zeiten. «Ich lachte laut.

Auch sonst hatte October an alles gedacht, von der Unterwäsche bis zum Waschzeug, von Stiefeletten bis zum Regencape, von Jeans bis zu Schlafanzügen.

Im Ausschnitt einer schwarzen Lederjacke steckte ein zweiter Zettel von ihm.

«Die Jacke ergänzt die Koteletten. Beides zusammen wird Ihre Erscheinung nachhaltig verändern. So laufen hier die schrägen Vögel herum. Viel Glück.«

Ich sah mir die Stiefeletten an. Sie waren gebraucht und ungeputzt, paßten aber, wie ich feststellte, erstaunlich gut. Ich zog sie aus und probierte ein Paar superspitze schwarze Straßenschuhe an. Ein schrecklicher Anblick, aber auch sie paßten, und ich behielt sie an, um meine Füße (und Augen) an sie zu gewöhnen.

Die drei Aktendeckel, die ich, als October nach Yorkshire abgefahren war, mit nach oben genommen hatte, lagen auf einem Tischchen neben einem kleinen Sessel, und mit dem Gefühl, daß keine Zeit mehr zu verlieren sei, setzte ich mich hin, nahm mir den ersten vor und machte mich ans Lesen.

Da ich kein einziges Wort ausließ, brauchte ich zwei Tage, um den gesamten Inhalt der Mappen durchzuackern. Und doch starrte ich am Ende auf den Teppichboden, ohne eine brauchbare Idee im Kopf zu haben. Da waren hand-und maschinengeschriebene Protokolle von den amtlichen Befragungen der Trainer, Jockeys, Futtermeister, Pfleger, Hufbeschlagschmiede und Tierärzte, die mit den elf mutmaßlich gedopten Pferden zu tun gehabt hatten. Da war der langatmige Bericht einer Detektei, die» in entspannter Umgebung «zahlreiche Jockeys befragt und nichts dabei herausbekommen hatte. Ein Buchmacher berichtete zehn Seiten lang ausführlich über die auf die betroffenen Pferde abgeschlossenen Wetten, faßte aber im letzten Satz bündig zusammen:»Wir haben keinen Hinweis auf Einzelpersonen oder Gruppen, die regelmäßig an diesen Pferden verdient hätten, und kommen daher zu dem Schluß, daß solche Einzelpersonen oder Gruppen nur am Totalisator gewettet haben können. «Weiter unten in der Mappe fand ich einen Brief der Toto GmbH, der besagte, daß keiner ihrer Kreditkunden alle betroffenen Pferde gewettet habe, daß aber die Barwetten auf der Rennbahn freilich nicht zu überprüfen seien.

Die zweite Mappe enthielt Laborberichte über elf analysierte Urin- und Speichelproben. Der erste Bericht bezog sich auf ein Pferd namens Charcoal und war anderthalb Jahre alt. Der letzte galt einem erst im September, als October in Australien war, kontrollierten Pferd namens Rudyard.

Unter jedem einzelnen Bericht stand in säuberlicher Handschrift das Wort» negativ«.

Die Presse hatte haarscharf am Verleumdungsparagraphen vorbeigeschrieben. Die Zeitungsausschnitte in Mappe Nummer drei enthielten Sätze wie» Charcoal schlug eine gänzlich ungewohnte Gangart ein «und» Sieger Rudyard wirkte im Absattelring mächtig erregt ob seines Erfolges«.

Über Charcoal und die drei Pferde nach ihm gab es noch relativ wenig zu lesen, doch dann hatte jemand ein Medienbüro beauftragt: Die letzten sieben Fälle waren durch Ausschnitte aus mehreren Tages-, Abend-, Lokal- und Rennsportzeitungen dokumentiert.

Unten in Mappe drei fand ich noch einen mittelgroßen gelben Umschlag. Er trug den Vermerk:»Ausgehändigt von der Sportredaktion des Daily Scope am 10. Juni«. Ich begriff, daß es sich um die Ausschnitte handeln mußte, die der unglückliche Journalist Stapleton gesammelt hatte, und öffnete den Umschlag gespannt.

Zu meiner großen Enttäuschung — denn ich hätte wirklich etwas Hilfe gebrauchen können — handelte es sich aber bis auf drei nur um Ausschnitte, die ich schon kannte.

Einer von den drei neuen war ein Kurzporträt der Besitzerin von Charcoal, der zweite ein Bericht über ein (nicht zu den elf gehörendes) Pferd, das am dritten Juni in Cart-mel, Lancashire, im Führring durchgedreht war und eine Frau tödlich verletzt hatte, der dritte ein langer Artikel aus einer Rennsport-Wochenzeitung über berühmte Dopingfälle, wie sie aufgedeckt und wie sie geahndet wurden. Ich las und las und kam auch damit nicht weiter.

Nach so viel unergiebiger Konzentration lief ich den ganzen nächsten Tag in London umher, atmete mit einem berauschenden Gefühl der Befreiung die dicke Großstadtluft, fragte immer wieder nach dem Weg und hörte den Auskunftgebenden gut zu.

Von meinem Akzent hatte sich October vielleicht zuviel erhofft, denn noch vor Mittag erkannte man mich zweimal als Australier. Meine Eltern waren bis zu ihrem Tod ganz Engländer geblieben, aber ich hatte es mit neun Jahren für ratsam gehalten, in der Schule nicht» anders «zu sein, und mir die Sprechweise meiner neuen Heimat angeeignet. Ich konnte sie nicht mehr ablegen, selbst wenn ich es gewollt hätte; sollte mein Englisch also wie Cockney klingen, mußte ich offensichtlich noch daran arbeiten.

Ich wanderte weiter nach Osten, schaute, fragte, hörte zu. Allmählich kam ich zu dem Schluß, daß es gehen könnte, wenn ich nicht ganz so schneidig sprach und den Wortendungen Luft ließ. Ich übte den ganzen Nachmittag, und schließlich gelang es mir sogar, ein paar Vokale abzuwandeln. Niemand fragte mehr, woher ich kam — für mich ein Zeichen des Erfolgs —, und als ich mich zu guter Letzt bei einem Straßenhändler erkundigte, wo die Busse nach Westen abfahren, konnte ich im Akzent zwischen meiner Frage und seiner Antwort keinen großen Unterschied mehr hören.

Ich kaufte mir einen Geldgürtel aus starkem Leinen mit Reißverschluß. Er ließ sich unterm Hemd flach auf der Taille tragen, sogar mit den zweihundert Pfund, und vielleicht würde ich einmal froh sein, dieses Geld griffbereit zu haben.