Es war seine Schuld, der Preis, den er zahlen mußte. Er würde seine Seele auf den Altar dieser Frau legen, so wie ein anderer eine Handvoll Silber auf ein Kissen legt. Das schuldete er Laurana. Sie hatte genug wegen ihm gelitten. Sein Tod würde sie nicht befreien, aber vielleicht sein Leben.
Langsam legte Tanis seine Hand an sein Herz und verbeugte sich.
»Meine Fürstin«, sagte er.
Kitiara ging in ihr Privatgemach, sie befand sich in Unruhe. Sie fühlte ihr Blut durch die Venen pulsieren. Aufregung, Begierde, das glorreiche Hochgefühl des Sieges machten sie trunkener als der Wein. Dennoch hatte sie unterschwellig einen nagenden Zweifel, der um so irritierender war, da er das Hochgefühl flach und schal werden ließ. Wütend versuchte sie, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, aber er war da, als sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnete.
Die Diener hatten sie nicht so früh erwartet. Die Fackeln waren noch nicht angezündet; das Feuer war vorbereitet, brannte aber noch nicht. Wütend griff sie nach der Glockenschnur. Das würde sie zum Rennen bringen! Aber da schloß sich plötzlich eine kälte und fleischlose Hand um ihr Handgelenk.
Diese Berührung vermittelte ihr ein brennendes Kältegefühl, das durch ihre Knochen und ihr Blut lief, bis es fast ihr Herz gefror. Kitiara keuchte vor Schmerz, wollte sich losreißen, aber die Hand hielt sie fest.»Du hast doch unseren Handel nicht vergessen?«
»Nein, natürlich nicht!« antwortete Kitiara. Sie versuchte, die Angst aus ihrer Stimme herauszuhalten, und befahl streng: »Laß mich los!«
Die Hand lockerte langsam ihren Griff. Kitiara riß eilig ihren Arm weg und rieb die Haut, die selbst in dieser kurzen Zeit bläulich angelaufen war. »Die Elfenfrau wird dir gehören, natürlich erst, wenn die Königin mit ihr fertig ist.«
»Natürlich. Anders will ich sie auch nicht. Mit einer lebenden Frau kann ich nichts anfangen – nicht so, wie du etwas mit einem lebenden Mann anfangen kannst...« Die Stimme der dunklen Gestalt klang unangenehm bei diesen Worten.
Kitiara warf dem bleichen Gesicht einen verächtlichen Blick zu; seine flackernden Augen schwebten körperlos über der schwarzen Rüstung des Ritters.
»Sei kein Narr, Soth«, sagte sie, während sie hastig am Glokkenseil zog. Sie empfand ein Bedürfnis nach Licht. »Ich bin in der Lage, die Vergnügungen des Fleisches von den Vergnügungen des Geschäfts zu trennen – etwas, wozu du nicht in der Lage warst, nach allem, was ich hier über dein Leben weiß.«
»Was für Pläne hast du denn mit dem Halb-Elfen?« fragte Fürst Soth, seine Stimme schien wie gewöhnlich von tief unten zu kommen.
»Er wird mir gehören, ganz und gar«, sagte Kitiara, während sie vorsichtig ihr schmerzendes Handgelenk rieb.
Diener eilten mit zögernden Seitenblicken auf die Finstere Herrin herbei, ihre berüchtigten Zornesausbrüche fürchtend.
Aber Kitiara, die mit ihren Gedanken beschäftigt war, ignorierte sie. Fürst Soth verschmolz mit den Schatten, wie immer, wenn die Kerzen angezündet waren.
»Der einzige Weg, den Halb-Elfen zu besitzen, ist, ihn zusehen zu lassen, wie ich Laurana zerstöre«, fuhr Kitiara fort.
»Das ist kaum der Weg, um seine Liebe zu gewinnen«, gab Fürst Soth verächtlich zurück.
»Seine Liebe will ich nicht.« Kitiara, die ihre Handschuhe auszog und ihre Rüstung aufschnallte, lachte kurz auf. »Ich willihn! Solange sie lebt, werden seine Gedanken bei ihr und bei seiner noblen Opferbereitschaft sein. Nein, der einzige Weg, daß er völlig mir gehört, ist der, ihn unter den Absätzen meiner Stiefel zu zermalmen, bis er nichts weiter als eine formlose Masse ist. Dann wird er mir von Nutzen sein.«
»Nicht lange«, bemerkte Fürst Soth sarkastisch. »Der Tod wird ihn befreien.«
Kitiara zuckte die Achseln. Die Diener hatten ihre Aufgaben ausgeführt und verschwanden schnell. Die Finstere Herrin stand schweigend und nachdenklich im Licht, noch halb in ihrer Rüstung, den Drachenhelm in der Hand.
»Er hat mich angelogen«, sagte sie nach einem Moment.
Dann schleuderte sie den Helm auf den Tisch, wo er eine Porzellanvase zerschlug, und begann auf und ab zu laufen. »Er hat mich angelogen. Meine Brüder sind nicht im Blutmeer gestorben – zumindest einer von ihnen lebt, das weiß ich. Und auch er – Berem!« Gebieterisch riß Kitiara die Tür auf. »Gakhan!« schrie sie.
Ein Drakonier eilte in das Zimmer.
»Neuigkeiten? Habt ihr den Hauptmann schon gefunden?«
»Nein, Fürstin«, erwiderte der Drakonier. Es war der gleiche, der damals Tanis von dem Wirtshaus in Treibgut gefolgt war, der gleiche, der geholfen hatte, Laurana eine Falle zu stellen. »Er hat dienstfrei, Fürstin«, fügte die Kreatur hinzu, als ob dies alles erklären würde.
Kitiara verstand. »Durchsuch jedes Bierzelt und jedes Bordell, bis du ihn gefunden hast. Dann bringst du ihn hierher. Wenn es sein muß, auch in Ketten. Ich werde ihn verhören, wenn ich von der Versammlung der Fürsten zurück bin. Nein, warte...« Kitiara hielt inne, dann fügte sie hinzu. »Du wirst ihn verhören. Finde heraus, ob der Halb-Elf wirklich allein war, wie er sagt, oder ob andere bei ihm waren. Wenn das so ist...«
Der Drakonier verneigte sich. »Ihr werdet unverzüglich informiert werden, Fürstin.«
Kitiara entließ ihn mit einer Handbewegung. Der Drakonier verbeugte sich wieder, verließ das Zimmer und schloß die Türhinter sich. Einen Moment lang stand sie nachdenklich da, dann fuhr sie sich wütend mit einer Hand durch ihr lockiges Haar und riß die Gurte ihrer Rüstung auf.
»Du wirst mich heute abend begleiten«, sagte sie zu Fürst Soth, ohne auf die Erscheinung des toten Ritters zu sehen, der, wie sie annahm, immer noch hinter ihr stand. »Sei aufmerksam. Lord Ariakus wird über meine Absichten nicht erfreut sein.«
Sie warf den letzten Teil der Rüstung auf den Boden und zog ihre Ledertunika und die blaue Seidenhose aus. Sich in ihrer Nacktheit streckend und reckend, blickte sie über ihre Schulter, um Fürst Soths Reaktion auf ihre Worte zu sehen. Er war nicht da. Erstaunt blickte sie sich schnell im Zimmer um.
Der geisterhafte Ritter stand vor dem Drachenhelm, der auf dem Tisch neben der zerbrochenen Vase lag. Mit einer Bewegung seiner fleischlosen Hand ließ er die Scherben in der Luft vor sich schweben. Dort hielt er sie mit seiner Magie und wandte sich wieder Kitiara zu und musterte sie mit seinen flammenden orangenen Augen, als sie nackt vor ihm stand.
»Du bist trotz allem eine Frau, Kitiara«, sagte Fürst Soth langsam. »Du liebst...«
Der Ritter bewegte sich nicht und sprach auch nicht, aber die Scherben fielen auf den Boden. Mit seinem durchsichtigen Stiefel trat er auf sie, hinterließ aber keine Spuren.
»Und du bist verletzt«, sagte er leise zu Kitiara, als er näher zu ihr trat. »Mach dir nichts vor, Finstere Herrin. Zerquetsch ihn, so oft du willst, aber der Halb-Elf wird immer dein Herr sein – selbst im Tod.«
Fürst Soth verschmolz mit den Schatten im Zimmer. Kitiara stand lange Zeit da und starrte in das lodernde Kaminfeuer, als würde sie versuchen, ihr Schicksal in den Flammen zu lesen.
Gakhan lief eilig durch den Korridor im Palast der Königin, seine Klauenfüße klapperten über den Marmorboden. Die Gedanken des Drakoniers hielten mit seinem Gang Schritt. Es war ihm plötzlich eingefallen, wo der Hauptmann zu finden sein könnte. Als er zwei Drakonier aus Kitiaras Kommando am Ende des Korridors herumlungern sah, gab er ihnen Zeichen, ihm zu folgen. Sie gehorchten sofort. Obwohl Gakhan in der Drachenarmee keinen Rang bekleidete – nicht mehr -, war er offiziell als der militärische Berater der Finsteren Herrin bekannt. Inoffiziell war er als ihr persönlicher Mörder bekannt.
Gakhan stand seit langer Zeit in Kitiaras Diensten. Als die Königin der Finsternis und ihre Häscher Nachricht von der Entdeckung des blauen Kristallstabs erhielten, gab es nur wenige Drachenfürsten, die seinem Verschwinden eine Bedeutung beimaßen. Intensiv mit dem Krieg beschäftigt, der allmählich das Leben in den nördlichen Ländern Ansalons auslöschte, verdiente so etwas Triviales wie ein Stab mit Heilkräften nicht ihre Aufmerksamkeit. Es würde schon eine Menge Heilkunst vonnöten sein, um die Welt zu heilen, hatte Ariakus lachend im Kriegsrat bemerkt.