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»Fahr fort«, knurrte Gakhan. Seine Klauenhände zitterten.

Schluchzend gab der Hauptmann eilig Beschreibungen von den zwei anderen Gefangenen, die Worte sprudelten nur so heraus.

»Ein Kender«, wiederholte Gakhan, der immer aufgeregter wurde. »Fahr fort! Ein alter Mann, weißer Bart...« Er hielt verwirrt inne.

Der alte Zauberkundige? Sicherlich hätten sie niemals zugelassen, daß dieser klapprige alte Narr sie auf solch einer wichtigen und gefährlichen Mission begleitet, Wenn nicht, wer dann?

Jemand, den sie unterwegs aufgelesen hatten?

»Erzähl mir mehr über den alten Mann«, befahl Gakhan.

Der Hauptmann wühlte verzweifelt in seinem alkoholdurchweichten und schmerzbetäubten Gehirn. Der alte Mann... weißer Bart...

»Gebückt?«

»Nein... großgewachsen, breite Schultern... blaue Augen. Komische Augen...« Der Hauptmann stand am Rande einer Ohnmacht. Gakhan packte den Mann mit einer Klauenhand und quetschte seinen Hals.

»Was ist mit den Augen?«

Ängstlich starrte der Hauptmann den Drakonier an, der ihn langsam erwürgte. Er babbelte etwas.

»Jung... zu jung!« wiederholte Gakhan jubelnd. Jetzt wußte er Bescheid. »Wo sind sie?«Der Hauptmann keuchte ein Wort, dann schleuderte Gakhan ihn krachend auf den Boden.

Die Fronten klärten sich. Gakhan fühlte sich wie im siebten Himmel. Ein Gedanke flatterte in seinem Gehirn wie die Flügel eines Drachen, als er und seine Begleiter das Zelt verließen und auf die Verliese unter dem Palast zueilten.

Berem... Berem... Berem!

7

Der Tempel der Königin der Finsternis

»Tolpan!«

»Aua... laß mich...«

»Ich weiß, Tolpan. Es tut mir leid, aber du mußt aufwachen. Bitte, Tolpan!«

Eine Spur von Angst und Dringlichkeit in der Stimme durchbrach die Schmerzenswogen im Kopf des Kenders. Ein Teil von ihm sprang auf und ab und schrie ihn an, wachzuwerden. Aber ein anderer Teil zog ihn in die Dunkelheit zurück, was besser war, als dem Schmerz entgegenzutreten, von dem er wußte, daß er auf ihn wartete, zum Sprung bereit...

91»Tolpan... Tolpan...« Eine Hand tätschelte seine Wange.

Die flüsternde Stimme klang angespannt und ängstlich. Der Kender erkannte plötzlich, daß es keine andere Möglichkeit gab. Er mußte aufwachen. Zudem schrie der Auf-und-abspring-Teil in seinem Gehirn, daß er etwas verpassen könnte!

»Den Göttern sei Dank!« Tika atmete schwer, als Tolpan seine Augen weit öffnete und sie anstarrte. »Wie geht es dir?«

»Schrecklich«, antwortete Tolpan mit belegter Stimme und versuchte, sich aufzurichten. Wie er es vorausgesehen hatte, sprang der Schmerz ihn an und schlug auf ihn ein. Stöhnend faßte er nach seinem Kopf.

»Ich weiß... es tut mir leid«, sagte Tika wieder und streichelte sanft über sein Haar.

»Du meinst es sicher gut, Tika«, sagte Tolpan jämmerlich, »aber würdest du bitte damit aufhören! Mir ist, als ob Zwergenhämmer auf mich einschlügen.«

Tika zog eilig ihre Hand zurück. Der Kender sah sich um, so gut es mit einem Auge möglich war. Das andere war so angeschwollen, daß er es kaum öffnen konnte. »Wo sind wir?«

»In den Verliesen unter dem Tempel«, antwortete Tika. Tolpan, der neben ihr saß, konnte sie vor Angst und Kälte zittern spüren. Doch als er sich umsah, verstand er es. Der Anblick ließ ihn auch erschauern. Wehmütig erinnerte er sich an die gute alte Zeit, als er die Bedeutung des Wortes Angst nicht gekannt hatte. Eigentlich müßte er ein prickelndes Gefühl der Aufregung verspüren. Er befand sich trotz allem an einem Ort, an dem er niemals zuvor gewesen war und wo es wahrscheinlich eine Menge faszinierender Dinge zu erforschen gab.

Aber hier weilte der Tod, erkannte Tolpan: Tod und Leiden.

Er hatte schon zu viele sterben, zu viele leiden sehen. Seine Gedanken wanderten zu Flint, zu Sturm und zu Laurana... Irgend etwas hatte sich in Tolpan verändert. Er würde niemals wieder so sein wie andere Kender. Durch die Trauer hatte er allmählich die Angst kennengelernt – Angst um andere. Genau in diesem Moment kam er zu der Überzeugung, daß er lieber sterben würde, als jemanden zu verlieren, den er liebte. Du hast dich für den dunklen Weg entschieden, aber du hast den Mut, auf ihm zu gehen, hatte Fizban gesagt.

Stimmte das, fragte sich Tolpan. Seufzend vergrub er seinen Kopf in seinen Händen.

»Nein, Tolpan!« rief Tika und schüttelte ihn. »Tu uns das nicht an! Wir brauchen dich!«

Mühsam hob Tolpan seinen Kopf. »Mir geht es gut«, sagte er benommen. »Wo sind Caramon und Berem?«

»Dort drüben.« Tika zeigte zum anderen Ende der Zelle.

»Die Wachen haben uns in eine Zelle gesteckt, bis sie jemanden gefunden haben, der über uns entscheidet. Caramon war einfach toll«, fügte sie mit einem stolzen Lächeln und einem liebevollen Blick auf den großen Mann hinzu, der sich offensichtlich mürrisch in eine Ecke, soweit wie möglich von seinen »Gefangenen« entfernt, verkrümelt hatte. Dann wurde Tikas Gesicht ängstlich. Sie rückte näher zu Tolpan. »Aber ich mache mir Sorgen um Berem! Ich glaube, er wird verrückt!«

Tolpan sah schnell zu Berem. Der Mann saß auf dem kalten, schmutzigen Steinboden, sein Blick abwesend, der Kopf erhoben, als ob er etwas hören würde. Der falsche weiße Bart, den Tika aus Ziegenhaaren gemacht hatte, war zerrissen und verdreckt. Er würde gleich abfallen, stellte Tolpan beunruhigt fest und sah schnell zur Zellentür.

Die Verliese waren ein Labyrinth aus Korridoren, die durch den soliden Fels unter dem Tempel gebrochen worden waren.

Sie schienen von einem zentralen Wachraum aus in alle Richtungen abzuzweigen, einem kleinen, runden, offenen Raum am Fuße einer schmalen Wendeltreppe, die direkt zur untersten Ebene des Tempels führte. Im Wachraum saß ein großer Hobgoblin an einem abgenutzten Tisch und kaute gelassen ein Stück Brot. Ein Schlüsselbund, das an einem Nagel über seinem Kopf hing, wies ihn als den Obergefängniswärter aus. Er ignorierte die Gefährten; wahrscheinlich konnte er sie bei dem spärlichen Licht sowieso nicht deutlich erkennen, vermutete Tolpan, da ihre Zelle ungefähr hundert Schritte weit entfernt an einem düsteren Korridor lag. Tolpan kroch zur Zellentür und spähte in die andere Richtung des Korridors. Er befeuchtete einen Finger und hielt ihn in die Luft. Dieser Weg führte in nördlicher Richtung, fand er heraus. Qualmende, übelriechende Fackeln flackerten in der dumpfen Luft. Etwas weiter weg war eine große Zelle, überfüllt mit Drakoniern und Goblins, die ihren Rausch ausschliefen.

Hinter dieser Zelle am Ende des Korridors befand sich eine massive, nur angelehnte Eisentür. Tolpan lauschte aufmerksam und konnte Geräusche hören, die von der Tür kamen: Stimmen, leises Stöhnen. Das ist ein weiterer Bereich des Verlieses, entschied Tolpan aufgrund früherer Erfahrungen. Der Gefängniswärter ließ vermutlich die Tür geöffnet, um seine Runden zu machen und Störungen mitzukriegen.

»Du hast recht, Tika«, flüsterte Tolpan. »Wir sind wohl in eine Art Untersuchungszelle eingesperrt, bis sie Anweisungen erhalten.« Tika nickte. Caramon konnte die Wachen zwar nicht völlig täuschen, zwang sie aber zumindest, zweimal nachzudenken und nicht übereilig zu handeln.

»Ich werde mit Berem reden«, sagte Tolpan.

»Nein, Tolpan«, Tika blickte unbehaglich zu dem Mann. »Ich glaube nicht...«

Aber Tolpan hörte nicht zu. Er warf dem Gefängniswärter einen letzten Blick zu, ignorierte Tikas leise Einwände und kroch auf Berem zu, um seinen falschen Bart wieder zu befestigen. Er hatte ihn fast erreicht und streckte seine kleine Hand aus, als dieser plötzlich aufbrüllte und auf den Kender zusprang.

Erschrocken kreischend wich Tolpan zurück. Aber Berem sah ihn überhaupt nicht. Wirres schreiend sprang er über Tolpan hinweg und warf sich mit seinem Körper gegen die Zellentür.

Caramon war jetzt auf den Füßen – wie auch der Hobgoblin.

Der Krieger warf dem auf dem Boden liegenden Kender einen strengen Blick zu.

»Was hast du mit ihm angestellt?« knurrte Caramon.