»Sie kommen, Tolpan!« rief Tika und schloß ihre schwitzenden Hände fester um das Schwert. Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Was machst du denn? Worauf wartest du?«
Tolpan konnte nicht antworten. Er konnte die Drakonier jetzt hören, sie lachten mit ihren groben Stimmen, nahmen sich Zeit, ihre Opfer zu erreichen, da sie wußten, daß sie nicht entkommen konnten. Sie bogen um die Ecke, und Tolpan hörte, daß ihr Lachen noch lauter wurde, als sie Tika mit dem Schwert sahen.
»Ich... ich glaube, ich schaffe es nicht, Tika!« wimmerte Tolpan, entsetzt auf das Schloß starrend.
»Tolpan«, sagte Tika schnell und grimmig, trat zurück, ummit ihm zu reden, ohne die Feinde aus den Augen zu lassen, »wir können nicht zulassen, daß sie uns gefangennehmen! Sie wissen über Berem Bescheid! Sie werden versuchen, uns zum Reden zu bringen, was wir über ihn wissen, Tolpan! Und du weißt, was sie mit uns machen, um uns zum Reden zu bringen...«
»Du hast recht!« sagte Tolpan kläglich. »Ich versuche es.«
Du hast den Mut, auf diesem Weg zu gehen..., hatte Fizban gesagt. Er holte tief Luft und zog einen dünnen Draht aus dem Beutel. Trotz allem, sagte er streng zu seinen zitternden Händen, für einen Kender ist der Tod doch das größte aller Abenteuer. Und dann ist Flint dort draußen, ganz allein. Wahrscheinlich in alle möglichen Probleme verstrickt... Seine Hände waren jetzt ganz ruhig. Tolpan schob den Draht sorgfältig in das Schloß und machte sich an die Arbeit.
Plötzlich hörte er hinter sich rohes Gebrüll; er hörte Tika schreien und Stahl gegen Stahl schlagen.
Tolpan wagte einen schnellen Blick. Tika hatte niemals die Schwertkunst erlernt, aber sie war eine erfahrene Wirtshausraufboldin. Sie hackte und schlitzte mit der Klinge, trat und stieß und biß und schlug. Die Wut und Heftigkeit ihres Angriffs ließ die Drakonier ein Stück zurückweichen. Alle waren verletzt und bluteten; einer krümmte sich in seinem grünen Blut auf dem Boden, sein Arm hing herab.
Aber sie wird sie nicht mehr lange aufhalten können. Tolpan wandte sich wieder seiner Arbeit zu, aber jetzt zitterten seine Hände, das Werkzeug entglitt ihm. Der Trick bestand darin, das Schloß zu sprengen, ohne daß die Falle zuschnappte. Er konnte die Falle sehen – eine winzige Nadel, die von einer gewundenen Sprungfeder gehalten wurde.
Hör auf, befahl er sich. War das für einen Kender eine Art zu handeln? Er führte den Draht wieder sorgfältig ein, seine Hände waren wieder ruhig. Plötzlich, als er es fast geschafft hatte, wurde er angestoßen.
»He«, rief er gereizt zu Tika und drehte sich um. »Paß ein bißchen auf...« Er hielt inne. Der Traum! Er hatte genau die selben Worte gesagt. Und wie in dem Traum sah er Tika zu seinen Füßen liegen, Blut floß in ihren roten Locken.
»Nein!« kreischte Tolpan vor Wut. Der Draht rutschte, seine Hand traf das Schloß.
Es klickte, als sich das Schloß öffnete. Und mit dem Klicken kam ein anderes Geräusch, ein knirschendes, kaum hörbares Geräusch. Die Falle war zugeschnappt.
Mit aufgerissenen Augen starrte Tolpan auf den winzigen Blutfleck an seinem Finger, dann auf die kleine goldene Nadel, die aus dem Schloß ragte. Die Drakonier hatten ihn jetzt bei den Schultern gepackt. Tolpan ignorierte sie. Es spielte sowieso keine Rolle mehr. Er spürte einen stechenden Schmerz im Finger, und bald würde sich der Schmerz über seinen Arm und dann auf seinen ganzen Körper ausbreiten.
Wenn er mein Herz erreicht, werde ich nichts mehr spüren, dachte er verträumt. Ich werde überhaupt nichts mehr spüren.
Dann hörte er Hörner, schmetternde Hörner, Messinghörner. Er hatte solche Hörner schon einmal gehört. Wo? Ach ja.
Es war in Tarsis gewesen, kurz bevor die Drachen angegriffen hatten.
Und dann waren die Drakonier plötzlich verschwunden – sie hatten ihn losgelassen und waren hektisch in den Korridor zurückgelaufen.
»Muß eine Art Generalalarm sein«, dachte Tolpan, der mit Interesse verfolgte, daß seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten. Er glitt auf den Boden neben Tika. Er streckte eine zitternde Hand aus und streichelte sanft ihre schönen roten Locken, die jetzt mit Blut verschmiert waren. Ihr Gesicht war weiß, ihre Augen geschlossen.
»Es tut mir leid, Tika«, sagte Tolpan mit zugeschnürter Kehle. Der Schmerz breitete sich schnell aus, seine Finger und Füße waren bereits starr. Er konnte sie nicht mehr bewegen.
»Es tut mir leid, Caramon. Ich habe es versucht, wirklich versucht...« Leise weinend lehnte sich Tolpan an die Tür und wartete auf die Dunkelheit. Tanis konnte sich nicht bewegen, und einen Moment lang, als er Lauranas herzzerreißendes Schluchzen hörte, hatte er auch nicht das Bedürfnis, sich zu bewegen. Statt dessen betete er zu einem gnädigen Gott, ihn zu erschlagen, während er vor der Dunklen Königin kniete. Aber die Götter erfüllten ihm nicht seinen Wunsch. Der Schatten hob sich, als sich die Aufmerksamkeit der Königin von ihm weg bewegte. Tanis taumelte auf die Füße, sein Gesicht vor Scham gerötet. Er konnte Laurana nicht ansehen, er wagte nicht einmal, Kitiaras Augen zu begegnen, da er sich ihres Spotts sicher war.
Aber Kitiara hatte Wichtigeres im Sinn. Dies war der Augenblick ihres Ruhms. Alles lief nach Plan. Sie streckte ihre Hand aus und fing Tanis mit ihrem kräftigen Griff ab, als dieser vortreten wollte, Laurana zu begleiten. Kühl schob sie ihn zur Seite und stellte sich vor ihn.
»Schließlich wünsche ich einen meiner Diener zu belohnen, der mir bei der Gefangennahme der Elfenfrau geholfen hat.
Fürst Soth bat um die Seele dieser Lauralanthalasa, damit er seine Rache an der Elfenfrau, die vor langer Zeit den Fluch auf ihn geworfen hat, nehmen kann. Wenn er schon verdammt ist, in ewiger Dunkelheit zu leben, dann bittet er, daß diese Elfenfrau sein Leben im Tod mit ihm teilt.«
»Nein!« Laurana hob ihren Kopf, Furcht und Entsetzen durchbohrten ihre betäubten Sinne. »Nein«, wiederholte sie mit ersterbender Stimme.
Sie trat einen Schritt zurück und sah sich panisch nach Fluchtmöglichkeiten um, aber es gab keine. Unter ihr waren die Drakonier, die erwartungsvoll zu ihr hinaufsahen. Vor Verzweiflung würgend, blickte sie noch einmal zu Tanis. Sein Gesicht wirkte düster und gefährlich; er sah sie nicht an, sondern starrte mit brennenden Augen zu der menschlichen Frau. Laurana bedauerte bereits ihren erbärmlichen Ausbruch und beschloß, lieber zu sterben, als weiter Schwäche zu zeigen. Sie richtete sich stolz auf, hob ihren Kopf, gewann ihre Beherrschung wieder.
Tanis sah Laurana nicht. Kitiaras Worte rasten wie sein Blut durch seinen Kopf, vernebelten seinen Blick und seine Gedanken. Wütend tat er zu Kitiara. »Du hast mich betrogen!« würgte er hervor. »Das war nicht Teil unserer Abmachung!«
»Sei ruhig!« befahl Kit mit ruhiger Stimme. »Oder du wirst alles vermasseln!«
»Was...«
»Halt den Mund!« schnappte Kitiara böse.
Dein Geschenk erfreut uns, Fürstin Kitiara. Wir gewähren dir deine Wünsche. Die Seele der Elfenfrau wird Fürst Soth gegeben, und wir nehmen den Halb-Elfen in unsere Dienste. In Anerkennung dessen wird er sein Schwert zu Füßen von Lord Ariakus niederlegen.
»Nun mach schon!« befahl Kitiara kühl, ihre Augen ruhten auf Tanis. Die Augen aller Anwesenden im Saal ruhten auf dem Halb-Elfen.
Seine Gedanken verschwammen. »Was?« murmelte er. »Davon hast du mir nichts erzählt! Was soll ich tun?«
»Geh zur Plattform und lege dein Schwert zu Ariakus' Füßen nieder«, antwortete Kitiara schnell und begleitete ihn zum Rand der Plattform. »Er wird es aufheben und dir zurückgeben, dann bist du ein Offizier der Drachenarmee. Es ist nur ein Ritual. Aber dadurch gewinne ich Zeit.«
»Zeit wofür? Was hast du geplant?« fragte Tanis barsch. Er griff ihren Arm. »Du hättest es mir sagen sollen...«
»Je weniger du weißt, desto besser, Tanis.« Kitiara lächelte bezaubernd, für jene, die sie beobachteten. Es gab nervöses Gelächter, grobe Witze über das, was wie die Trennung von Liebenden aussah. Aber Tanis sah kein Lächeln in Kits braunen Augen. »Vergiß nicht, wer neben mir auf dieser Plattform steht«, flüsterte Kitiara. Ihren Schwertknauf streichelnd, warf Kit Laurana einen bedeutungsvollen Blick zu. »Mach keine Dummheiten.« Sie drehte sich um und ging wieder zurück und stellte sich neben Laurana.