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Er schluckte seinen Ärger herunter und strebte mit weit ausholenden Schritten seinem Zelt entgegen, als er aus den Augenwinkeln sah, wie er von einer Gruppe in Scharlachrot gekleideter Höflinge angestarrt wurde. Sie hatten ihm bislang Respekt gezollt. Verwundert sah der Hofmeister sich um. Alle starrten ihn an. Was ging hier vor sich? Unwillkürlich tastete er nach seinem mit bunten Mustern bestickten Stirnband. Lugten etwa seine spitzen Ohren darunter hervor? … Nein, das war es nicht. Er konnte den kalten Hass förmlich spüren, der ihm entgegenschlug. Hatte das etwa mit den Drohungen Mataans zu tun?

Talawain beschleunigte seine Schritte weiter. Fast hatte er sein Zelt erreicht. Er wollte fort von diesem Starren. Er würde seine Diener herbeirufen, die Hofschreiber … Sollten sie ihm sagen, was geschehen war.

»Schlächter!«, rief eine heisere Stimme hinter ihm.

Der Elf hob die Plane am Eingang seines Zeltes. Ein schwerer, süßlicher Geruch schlug ihm entgegen. Auf dem Hocker am Arbeitstisch saß der Unsterbliche. Er blickte auf, als Talawain eintrat. Tiefe, dunkle Ringe hatten sich unter Aarons Augen gegraben. Er schien seit gestern Morgen um ein ganzes Jahrzehnt gealtert zu sein.

»Was ist geschehen?«

»Das möchte ich von dir wissen, Hofmeister«, entgegnete der Unsterbliche bitter. »Was ist hier letzte Nacht vorgefallen? Ist das deine Art, den Sieg zu feiern? Hast du das Grauen des Schlachtfeldes mit dir hierhergebracht? Hast du Geschmack am Morden gefunden?«

»Ich verstehe nicht …«

Aaron richtete sich auf. Heißer Zorn flammte in seinen Augen. »Ich auch nicht!« Er deutete auf das Bett hinter dem Arbeitstisch. »Erklär mir das! Was ist in dich gefahren, Datames?«

Der Hofmeister blickte zu der Schlafstelle. Große Blutflecken prangten auf dem seidenen Tuch, unter dem sich ein zusammengekrümmter Körper abzeichnete.

»Das …« Er trat um den Tisch herum und zog die Decke zurück. Fliegen stoben auf und eilten dem bunten Zelthimmel entgegen. Er brauchte einen Herzschlag, um in dem zerschundenen Körper Kazumi wiederzuerkennen. Sie war über und über mit verkrustetem Blut bedeckt. Zwischen den Laken entdeckte er abgetrennte Finger und ein Ohr. Ihre Nase … Talawain ließ die Seidendecke fallen und taumelte vom Bett zurück. Er griff Halt suchend nach der Tischkante und stieß gegen einen Stapel von Tontafeln, die zu Boden stürzten.

Ihm war übel. Er schloss die Augen. Er durfte jetzt nicht den Kopf verlieren. »Das war ich nicht. Ich …« Der Mörder war zurückgekehrt! Natürlich. Die Jaguarmänner bewachten das Lager nicht länger. Er hätte das voraussehen müssen. Hätte Kazumi davor bewahren müssen, dass sie dasselbe Schicksal ereilte wie Ashira.

»Ich …«, setzte er erneut an und war doch unfähig, einen Satz hervorzubringen.

»Das ist der Datames, der mir vertraut ist«, sagte Aaron müde. »Welcher Daimon hat dich gestern Nacht geritten?«

»Ich war das nicht.«

»Mehr als ein Dutzend Männer hat dich blutbesudelt vor dem Morgengrauen das Zelt verlassen sehen.«

Talawain war wie vom Schlag gerührt. Er öffnete den Mund und sagte dann doch nichts. Wieder schloss er die Augen. Versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Zu verstehen … Er öffnete sein Verborgenes Auge. Der Handspiegel! Er strahlte wie ein Stern in der Nacht. Ein Zauber war um ihn gewoben. Etwas wurde verhüllt. Ein Menschensohn würde es nicht sehen können. Talawain trat zu dem Spiegel, nahm ihn auf. In der Fläche aus poliertem Silber erschien das Antlitz Ištas. Sie lächelte spöttisch.

Niemand würde ihm glauben, wenn er behauptete, die Devanthar sei hierhergekommen, um eine Konkubine zu ermorden. Sie hatte ihn gewarnt, damals, als sie ihm den Kopf Ashiras und den eines seiner Späher in einer kleinen Truhe geschickt hatte. Er erinnerte sich an die kleine Tontafel, die bei den Häuptern gelegen hatte. Keines der Worte darauf hatte er vergessen:

Auf das Land ohne Wiederkehr setze ich dich, auf dass Erdstaub und Steine deine Speise seien und du in Dunkelheit sitzest, wohin kein Licht kommt und wo nie das Lied eines Vogels deine Ohren erfreuen wird.

Ich selbst werde dich führen durch die sieben Tore zum Land ohne Wiederkehr.

»Was starrst du in den Spiegel?«, herrschte Aaron ihn an. »Suchst auch du jetzt nach dem Mann, der gestern noch mein ehrenhafter Hofmeister war? Wo ist er geblieben, Datames?« Der Unsterbliche stieß einen schweren Seufzer aus.

»Und niemand hat etwas gehört«, murmelte der Elf.

»Der Knebel steckt noch in ihrem Mund. Man hat sie draußen stöhnen hören. Die Wachen haben gedacht, dass du sie hart herannimmst. Aber das hier … Mataan möchte, dass ich dich pfählen lasse, damit du genauso leidest wie sie. Die Geschichte macht schon im ganzen Lager die Runde. Du kannst nicht mehr länger mein Hofmeister sein.« Aaron sah traurig zu ihm auf. »Nach all den Jahren … Ich verstehe das nicht. Erkläre es mir! Und sag mir, was ich mit dir tun soll. Was ist der angemessene Lohn für so eine Tat?«

»Seht mich an, Herr! Bin ich ein Mörder?«

»Das Zelt wurde die ganze Nacht über bewacht. Außer dir und dem Mädchen war niemand hier. Das lässt nicht viel Auswahl …«

»Schließt die Augen, und lasst allein Euer Herz entscheiden. Ein Herz ist schwerer zu blenden als Augen und Verstand.«

»Verdammt, Datames! Komm mir nicht mit solch philosophischen Floskeln. Ich bin König eines riesigen Reichs. Ich kann nicht mein Herz zum Gesetzbuch machen. Damit wären der Willkür Tür und Tor geöffnet. Das wird nicht meine Art zu herrschen sein. Liefere mir irgendeinen Grund, dich zu verschonen. Irgendetwas! Ich will dich nicht auf der Spitze eines Pfahls aufgespießt sehen. Ich brauche dich, Datames. Keiner kennt dieses Reich und seine Verwaltung so wie du. Dich zu verlieren, ist fast so schlimm, als hätte ich gestern die Schlacht verloren.«

Talawain sah den Unsterblichen überrascht an. Aram war zu abhängig von ihm geworden. Indem er immer mehr Machtbefugnisse an sich gezogen hatte, hatte er Aaron und sein Reich verwundbar gemacht. »Ihr seid der Wahrheit über das, was gestern Nacht geschah, sehr nahe gekommen, Herr.«

»Dann erzähle mir, was noch fehlt. Ich will das hier verstehen. Will begreifen, wie ein Mann mein engster Berater werden konnte, den ich doch offensichtlich so wenig kenne.«

Talawain zögerte. Wenn er Aaron helfen wollte, dann musste der Herrscher die Wahrheit erfahren. Auch auf die Gefahr hin, dass er sie nicht glauben würde. Wie sollte er auch akzeptieren, dass Geschöpfe, die von den Menschen als Götter verehrt wurden, sich zu so etwas hinreißen ließen. Der Elf verstand es selbst nicht. Den Devanthar standen so viele Wege offen. Warum hatte Išta sich für diesen entschieden?

»Wir sind uns einig, dass diese Tat dem Königreich schaden wird?«, begann er vorsichtig.

Der Unsterbliche nickte.

»Wer hätte einen Nutzen davon, Aram zu schaden, Herr? Ich?«

Aaron massierte mit Daumen und Zeigefinger seine Augenlider. Er schien am Ende seiner Kräfte zu sein. Die Schlacht und dann noch der lange Weg in dieses Dorf, Belbek, um den toten Bauern Narek zurück zu seiner Familie zu bringen. Wie lange hatte er nicht mehr geschlafen? Dreißig Stunden? Vierzig? Talawain bezweifelte, dass der Herrscher in der Nacht vor der Schlacht Ruhe gefunden hatte. Ausschweifende Erklärungen waren jetzt nicht angebracht. Er sollte schnell zum Wesentlichen kommen.

»Ihr habt Išta gestern im Licht der Sonne eine schwere Niederlage bereitet. In der Nacht kehrte sie zurück, um Euch auf einem anderen Schlachtfeld zu bekämpfen. Sie war es, die meine Gestalt annahm, hierherkam und mordete, damit Euch keine andere Wahl bleiben würde, als mich für das zu richten, was ich nicht getan habe.«

Aaron blickte zu ihm auf. Das Gesicht des Herrschers war bleich und abgezehrt. Sein üppiger schwarzer Bart zerzaust. Das lange, geölte Haar fiel ihm in schweren Locken auf die Schultern. »Das ergibt Sinn«, sagte er müde. »Aber sag mir, wo warst du in der letzten Nacht, wenn du nicht hier warst? Mataan hat mir eine sehr seltsame Geschichte erzählt.«