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Nachtatems Schweif peitschte ins Wasser. Ein ärgerliches Schnauben entwich seinen Nüstern und ließ die nächststehenden Gazala in ihrem Murmeln verstummen. Aus der Trance gerissen, blickten sie ängstlich mit ihren blinden Augen zu ihm auf. Hin und wieder, wenn die Lust auf Blut und lebendes Fleisch zu übermächtig wurde, hatte er sich dazu hinreißen lassen, eine von ihnen zu schlagen. Sie waren kaum mehr als ein Happen. Nicht genug, um sein Verlangen wirklich zu stillen.

Er musste beherrschter sein, ermahnte er sich stumm, und versuchte das Bild Nandalees aus seinen Gedanken zu bannen. Sein Nestbruder, der Goldene, hatte sie in Gestalt Gonvalons genommen und vielleicht ein Kind mit ihr gezeugt. Nicht aus Lust, sondern um seinen abtrünnigen Fechtmeister zu bestrafen. Nandalee wusste nicht einmal von dieser Intrige. Manchmal waren es die Dinge, die man nicht wusste, die einen frei sein ließen. Er blickte über das weite Gewölbe, über die unablässig murmelnden Seherinnen, die ihm halfen, nach der besten Zukunft für seine Welt zu suchen. Vielleicht hatte er den falschen Weg beschritten. War es nicht gerade die Ungewissheit über die Zukunft, die ein Leben lebenswert machte? All das, was die Gazala ihm geflüstert hatten, hatte ihn nicht glücklicher gemacht. Im Gegenteil, mit jedem Jahr kämpfte er verbissener. Er hatte sich seinen Nestbrüdern entfremdet, und er beneidete eine junge Elfe, die frei als Jägerin durch die Savanne streifte und in der Nacht in den Armen ihres Geliebten liegen würde.

Die Himmelsschlange atmete tief ein. Er spürte, wie sich seine Lungen aufblähten, sich sein Rücken hob und das Feuer in ihm an Hitze gewann. Ließ er es frei, würden die Ketten zerschmelzen, die er sich selbst auferlegt hatte.

Ein langes Ausatmen, in dem er das Feuer freiließ, und auch er wäre befreit von dem endlosen Raunen über die Schrecken, die seine Welt erwarteten. Eine Welt, in der es für die Drachen keine Zukunft zu geben schien. Nein, so durfte er nicht denken! Er war der Erstgeschlüpfte! Von Geburt an dazu bestimmt, die Himmelsschlangen zu führen. Er würde kämpfen. Er war ein Drache! Wenn sie aus dieser Welt verschwinden sollten, dann würde dies nicht leise geschehen! Bis dahin würde er die Fesseln der Pflicht nicht abstreifen. Er würde ausharren und für die Alben streiten. Bis zuletzt.

Ein Gefühl, als berührten ihn tausend Hände zur gleichen Zeit, ließ die Himmelsschlange erzittern. Das magische Netz, das alles umspann, erbebte. Jede der Kraftlinien erzitterte wie eine Harfenseite, die zu stark angeschlagen worden war und zu reißen drohte. Ein Schauder durchlief Nachtatem. Ein großer Zauber war gewoben worden. Ein Zauber, wie ihn die Welt seit den Schöpfertagen nicht mehr gesehen hatte. Die Alben waren zurückgekehrt!

Rings umher war das unablässige Flüstern der Gazala verstummt. Angst spiegelte sich in ihren Gesichtern. Der Strom der Zeit schien angehalten zu haben. Selbst sie hatten nicht kommen sehen, was in diesem Augenblick geschah.

Die mächtigen Steine des Gewölbes knirschten. Feiner Staub rieselte von der Decke herab. Nachtatem spürte den Felsboden unter sich vibrieren. Die Erschütterung der magischen Welt setzte sich im Stofflichen fort. Ein Stein löste sich aus der Decke und schlug klatschend ins flache Wasser. Die blinden Blicke der Gazala waren auf ihn gerichtet.

Bleibt, meine Kinder, sprach er in ihren Gedanken und glitt von dem Felsen. Er spürte, wo der Zauber gewoben worden war. Tausende Meilen entfernt. Die Magie war ihm fremd, so lange schon hatte er die Zaubermacht der Alben nicht mehr gespürt. Ein seltsamer Schmerz berührte seine Seele. Ein Gefühl, wie er es zuletzt empfunden hatte, als der Purpurne von den Devanthar gemeuchelt worden war.

Ein Gedanke Nachtatems öffnete den nahen Albenstern. Fiebrige Erregung trieb ihn voran. Endlich würde er wieder vor seinen Schöpfern stehen!

Blutender Fels

Die roten Felsen hatten die Hitze des gleißend hellen Nachmittags in sich aufgenommen. Es war ein schwerer Aufstieg, auch wenn ihr Ziel nicht mehr fern war. Nandalee konnte die Wildrosen schon riechen.

»Dieser Ort ist für Elfen gemacht, die auf Pegasi reiten«, sagte Gonvalon hinter ihr.

»Und für Ziegen«, entgegnete Nandalee neckisch, während ihre Finger nach einem schmalen Spalt im Fels tasteten. Sie fand einen sicheren Griff und zog sich auf ein schmales Sims. Ihre Hände brannten, und ihre Fingernägel schmückten Halbmonde aus rotem Staub.

Gonvalon zog sich neben ihr auf den Felsvorsprung. Er kletterte mit beeindruckendem Geschick. Immer wieder überraschte er sie. Sie sollte sich wohl besser von ihren Vorurteilen gegenüber den Elfen trennen, die in Palästen fern der Natur aufgewachsen waren. Gonvalon hatte seine Jugend offensichtlich nicht allein mit Büchern und Kätzchen auf seinem Schoß verbracht. Der Schwertmeister grinste sie an, als könne er in ihren Gedanken lesen. »Du machst dich ganz gut als Ziege. Werde ich dich bei unserem nächsten Ausflug hierher überreden können, mit mir auf Nachtschwinge zu reiten?«

»Glaubst du nicht, dass es unter der Würde deines edlen Himmelsrosses ist, eine Ziege auf seinem Rücken zu tragen?«

Gonvalon näherte sich ihrem Gesicht bis auf wenige Zoll und flüsterte verschwörerisch: »Alle Hengste sind bestechlich. Wenn ich ihn danach für eine Woche zu den Stuten seiner Herde zurückkehren lasse, würde er seine Würde für einen kurzen Flug vergessen.«

»Und womit besticht man dich?«

»Ich habe gehört, dort oben gebe es einen verwunschenen See, in dem sich staubbedeckte Ziegen in unwiderstehliche Quellnymphen verwandeln. Um Zeuge dieses Wunders zu werden, täte ich fast alles.«

»Deine Gabe für Komplimente war es nicht, die dir den Ruf eingebracht hat, mit jeder deiner Schülerinnen eine Liebschaft zu haben.«

Gonvalon lachte schelmisch. »Stimmt. Solltest du es bis zum See schaffen, erinnerst du dich vielleicht, was meinen besonderen Charme ausmacht.« Mit diesen Worten drehte er sich um und kletterte weiter die Felswand hinauf.

Nandalee sah ihm nach. Jede seiner Bewegungen war voller Anmut. Bei ihm schien es, als sei dort hinaufzukommen kaum schwerer, als einen sanften Hügel zu erklimmen. Mit einem Seufzer schob sie den Eibenbogen zurecht. Die lange Waffe behinderte sie beim Klettern. Ebenso der Köcher. Trotzdem würde sie auch die nächste Einladung zurückweisen, auf Nachtschwinges Rücken zum See zu gelangen. Sie würde nur noch auf einem Pegasus reiten. Dem prächtigen Hengst mit der Blesse auf der Stirn. Sie wusste auch schon, wie sie ihn nennen würde: Sternauge!

Sie tastete gerade mit zum Zerreißen gestreckten Armen nach einem sicheren Griff, als der Fels unter ihren Händen zu vibrieren begann. Über ihr ertönte das unselige Klackern von Steinen, die in weiten Sprüngen den Steilhang hinabstürzten. Nandalee drückte sich dicht an den Fels. Immer näher kam das Getöse einer Steinlawine. In fliegender Eile hetzte die Elfe das abschüssige Sims entlang, auf dem sie und Gonvalon eben noch gerastet hatte. Rings herum schlugen Steine auf.

Nandalee warf sich nach vorn und fand im letzten Augenblick Deckung unter einem Überhang. Als sie wieder aufsah, bemerkte sie etwa hundert Schritt links von ihr einen weiten Spalt in der Steilwand, aus dem ein dünnes Rinnsal über den Fels sickerte. Erneut bebte der Berg, und eine dichte Wolke roten Staubs quoll aus dem Spalt hervor. Ein wahrer Hagelschlag kleinerer Steine folgte und verwandelte das Wasser in blutroten Schlamm, der in zähen Schlieren den Fels hinabtroff.

»Nandalee?«, rief Gonvalon. Keinen Herzschlag später war er an ihrer Seite, kniete bei ihr und berührte sie sacht. »Bist du unverletzt?«

Sie nickte benommen und blickte unverwandt auf die Klamm. Es schien, als sei das Felsgestein verwundet worden und blute aus. Einen Wimpernschlag lang quälte sie eine Vision. Ein Bild von Elfen, die unter stürzenden Gesteinsmassen begraben wurden. »Was ist geschehen?«