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Rowayns Karte war ein Schatz! Alles Mögliche war darauf verzeichnet, auch Erzgruben, Handelsrouten oder die geheimen Siedlungen der Erzschmiede, in denen die hochwertigen Eisenwaffen für das Heer Luwiens hergestellt wurden. Und dort, wo der Platz es erlaubt hatte, waren sogar Nachbarreiche eingezeichnet. So war ein Teil des nördlichen Aram zu sehen, bis hin zur großen Kupfermine Um el-Amand, in deren Nähe sich das von den Devanthar bewachte Dunkle Tal befand – auch dieser Ort fehlte auf Rowayns Karte nicht.

Es war tief in der Nacht, als Talawain das Haus des Himmels fand. Es lag in einer schroffen Bergkette weit im Norden von Luwien, nicht fern der Grenze zu Ischkuza. Ein siebenstrahliger, goldener Stern verriet, dass es einen großen Albenstern in dem Tal gab. Aber diesen Weg würde er nicht nehmen können, dachte Talawain.

Erschöpft ließ er sich auf das über und über mit Lehmbrocken bedeckte Lager seines toten Freundes sinken. Endlich war seine Suche zu Ende. Bis zur Kirschblüte in den Bergen würden noch viele Monde vergehen, hatte der Winter doch noch nicht begonnen.

Er würde die Karte kopieren, entschied Talawain. Das hinter dem Putz verborgene Land war das Lebenswerk von Rowayn gewesen. Er war gestorben, ohne sein Geheimnis weitergeben zu können. Er schuldete es ihm, dass dieses Wissen nicht verloren ging. Auch musste der Himmlische vom Götterfest erfahren, das zum nächsten Frühjahr in Selinunt stattfinden sollte. Doch wie sollte er es anstellen, dass die Himmelsschlange ihn wieder hierher zurückkehren ließ? Dem großen Drachen bedeutete Shaya nichts.

Zu aufgewühlt, um einzuschlafen, und zu erschöpft, um durch den Tunnel in seine Werkstatt zurückzukriechen, dachte er über seine Zukunft nach, und er entschied, etwas zu tun, wovon er schon lange geträumt hatte.

Der Held eines Winters

»Ein ums andere Mal schlug Arcumenna, der Laris von Truria, unsere tapferen Krieger, denn er führte Krieg, wie sein Unsterblicher Herrscher Städte baute. Eine Mauer von Schilden war seine erste Schlachtreihe, dahinter standen Tausende Bogenschützen, die dunkle Wolken des Todes auf die Tapferen der Wälder niedergehen ließen. Auf den Flanken des Schildwalls die Streitwagen, bereit vorzustoßen, wenn der Angriff im Pfeilsturm zerbrach. Arcumenna besiegte Heere, die seinen Truppen um das Dreifache überlegen waren, denn für die Männer Drusnas ist der Krieg eine Sache der Ehre. Ein Duell, in dem der bessere Schwertkämpfer siegt. Doch Ehre ist ein schlechter Schild gegen Pfeile. Bei jedem Kampf starben Hunderte von uns, noch bevor ihre Schwerter und Äxte die Schilde der Feinde berührt hatten. Drusna verlor seine Helden und weite Landstriche, und zuletzt verlor es auch den Mut zu kämpfen, denn die tapfersten jungen Männer waren längst auf unzähligen Schlachtfeldern verblutet. So wurde ein Friede geschlossen, den der Unsterbliche Ansur diktierte.

Ein Friede sollte das Ende des Sterbens bedeuten. Der Friede aber, den die Valesier Drusna auferlegten, war nicht von dieser Art. Sie plünderten die Vorräte, sodass in jenem Winter auch im entlegensten Dorf der Wälder Hunger Einzug hielt. Und bevor der Frühling kam, waren erneut viele zu den Ahnen gegangen, obwohl die Waffen ruhten. Als aber der zweite Hungerwinter drohte, da erhob sich einer, der Volodi von Drei Eichen genannt wurde. Und er stahl den Valesiern das Vieh, das sie gestohlen hatten, und er erschlug ihre Krieger, wo immer er sie fand. Seine Beute aber verschenkte er freimütig, und bald schon hatte sich ein ganzes Heer um sein Banner versammelt.

Als aber der erste Schnee fiel, verschwand Volodi, als sei er nur ein Geist des Herbstes gewesen und dahingegangen wie die goldenen Blätter der Eichen. Der Unsterbliche Iwar aber hatte neuen Mut gefasst, denn endlich war ein Mann gekommen, der den Drusniern zeigte, dass sie noch siegen konnten. Und Iwar stellte sich gegen die Vasallen des Unsterblichen Ansur, die wie Fürsten in Drusna regierten und das Land bis aufs Blut ausbeuteten, damit ihr Herrscher seine Weiße Stadt bauen konnte. Iwar hob den Bann auf, der gegen Volodi gesprochen war und der den größten Helden Drusnas zu einem Gesetzlosen gemacht hatte. Und obwohl es mitten im Winter war, schickte er seine Boten in alle Winde, auf dass sie Volodi suchten und dem Volk verkündeten, dass ihr Held künftig der Hauptmann der Leibwache im Königspalast sei und der erste Berater Iwars. Jeder in den Wäldern sollte erfahren, dass eine neue Zeit angebrochen war.

Niemand ahnte zu jener Zeit, dass die Valesier längst ihre Schlingen ausgelegt hatten und beschlossen war, dass der, den ihre Schwerter nicht niederzustrecken vermochten, in Selinunt sterben sollte. Die Nacht vor dem Opferfest, zu dem sich alle Unsterblichen versammeln wollten, sollte Volodis letzte Nacht werden (…)«

Das Buch der Wälder – Die Chronik der Könige Drusnas, Bd. I: Von den Anfängen bis zum Jahr des Flammenden Himmels. Kapitel XCII, S. 776 ff., verwahrt in der Bibliothek des Heiligen Guillaume in Aniscans.

Ein Freundschaftsbesuch

Arcumenna war sich der hasserfüllten Blicke, die jedem seiner Schritte folgten, nur zu bewusst. Und er war dankbar, dass ihm der Unsterbliche Ansur eine Eskorte seiner Palastwache mitgegeben hatte. Zu viele Valesier waren in den letzten Wochen in Drusna gemeuchelt worden, und Arcumenna wollte nicht Teil dieser Namensliste werden, an deren Anfang der verdiente Laris Alba stand.

Die genagelten Sohlen seiner Stiefel knallten im Gleichschritt mit denen seiner Leibwachen, als sie die schmutzige Halle des Langhauses durchquerten, das der Unsterbliche Iwar einen Palast nannte. Das Einzige, was die Halle von den dreckigen, wanzenverseuchten Katen seiner Untertanen unterschied, war ihre Größe und die verschwenderische Ausstattung mit Gold. So waren die wuchtigen Eichsäulen, auf denen die Dachbalken ruhten, mit Goldblech beschlagen. Man musste schon ein Barbar sein, um zu glauben, dass die reichliche Verwendung von Gold jedes Gebäude veredelte. Wie anders war da das Weiße Selinunt, das sein Herrscher, der Unsterbliche Ansur, errichten ließ. Nur wenige Wochen noch und die Stadt wäre vollendet. Der Stein gewordene Traum eines großen Herrschers.

Sie hielten vor der apfelgrünen Tür am Ende der Halle. Zwei bullige Drusnier mit ungepflegten Bärten lehnten dort auf schweren doppelköpfigen Äxten. Allein ihr Anblick ließ Arcumenna die Galle überlaufen. Was sie hier taten, war herumzulümmeln, statt Wache zu stehen. Und der Linke der beiden stank auch noch nach billigem Wein. Hier in Drusna war alles dreckig und heruntergekommen. Wie sehr er dieses Königreich hasste!

»Ich bin Arcumenna, der Laris von Truria, Gesandter des Unsterblichen Ansur von Valesia. Ich bringe wichtige Nachricht für euren Herrn, den Unsterblichen Iwar.«

»Iwar ist jetzt beschäftigt«, entgegnete abfällig grinsend der Kerl, der nach Wein stank. »Du wirst später wiederkommen müssen, Memma.«

»Das kann ich wohl tun, aber ist es weise, den Zorn von vielleicht gleich zwei Unsterblichen zu riskieren, nur weil du nicht kurz zu deinem Gebieter gehen magst, um in einer dringlichen Angelegenheit um einen Augenblick Zeit für mich zu bitten? Ich weiß nicht, wie es um den Langmut deines Herrschers bestellt ist, wackerer Recke mit dem Odem vergorener Trauben, aber der Unsterbliche Ansur pflegt seinen Untergebenen schon für geringere Ärgernisse den Kopf vor die Füße zu legen.«

Der Drusnier starrte ihn aus kleinen, blauen Äuglein an. Seine Wangen röteten sich, und eine steile Zornesfalte bildete sich zwischen den Brauen.«Hä? Was sagst du? Kannst du auch ordentlich reden?«

»Memma meint, Iwar könnte herumschreien, wenn wir ihn nicht zu unserem Herrscher bringen.«

»Aber …«

Der zweite Wachposten winkte abwiegelnd und öffnete das Tor. »Soll er sich nur mit Iwar herumschlagen.« Mit diesen Worten öffnete er die Tür. »Deine Leibwächter bleiben hier. Die brauchst du dort nicht. Wir sind hier doch unter Freunden.«