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Feiner, weißer Kies spritzte unter den Hufen, als er seinen Hengst zügelte und in eine langsamere Gangart fallen ließ. Im Säulengang des linken Flügels des Anwesens erschienen zwei Silene – bocksbeinige Tunichtgute mit wilden Bärten und waldgrünen Augen, in denen der Schalk glänzte. Einer der beiden eilte auf den Kiesweg und griff nach den Zügeln des Rappen. »Du erlaubst, dass ich dein Pferd unterstelle, Herr?«

Talawain musste unwillkürlich lächeln. Ihn Herr zu nennen und gleichzeitig zu duzen, war außergewöhnlich subtil für einen Silen. Das musste der Einfluss seines Vaters sein, der zweifellos diesen beiden Raufbolden ebenso seinen Willen aufgezwungen hatte, wie der Natur auf der Lichtung, die sein Heim umgab. Die beiden hatten noch nicht im Dienst seines Vaters gestanden, als er das letzte Mal hier gewesen war. Das musste vor … vierzehn Jahren gewesen sein. Ja, so lange war es her, dachte er bestürzt. Die Zeit war wie im Flug vergangen.

»Reib ihn trocken, und gib ihm etwas Hafer zu fressen«, befahl Talawain und schwang sich aus dem Sattel. Er trat in den Säulengang und winkte dem zweiten Silen. »Bring mich zu Fürst Solaiyn.«

Der Bocksmann maß ihn mit düsterem Blick. »Ich glaube, der Fürst ist nicht in der Stimmung, Fremde zu empfangen. Er hat sich zurückgezogen. Bittsteller empfängt er erst morgen wieder.«

»Melde ihm seinen Sohn Talawain als Bittsteller, vielleicht ist er dann gnädiger gestimmt.«

Der Silen zog die buschigen Augenbrauen zusammen und musterte ihn argwöhnisch. »Du bist nicht tot?«

Talawain blickte lächelnd an sich hinab. »Offensichtlich nicht.«

»Aber alle …« Der Silen stockte, rang einen Moment mit sich und fuhr dann fort: »Gewiss wird dein Vater dich empfangen, junger Herr.« Er wandte sich um und eilte mit klappernden Hufen zum südlichen Flügel. Dort öffnete er die Tür zu einem langen Korridor und hielt inne. »Du findest deinen Vater in der kleinen Bibliothek hinter dem Tanzsaal. Um diese Tageszeit ist er immer dort und blickt hinaus aufs Meer. Vielleicht ist es besser, wenn du gleich selbst zu ihm gehst, junger Herr. Mir würde er womöglich nicht glauben, wenn ich von deiner Ankunft berichte.«

Wie es schien, war sein Vater noch tyrannischer geworden, dass der Silen ihn so sehr fürchtete. Der bocksbeinige Diener verbeugte sich und Talawain betrat den Korridor. Fast dreißig Schritt maß der lichtdurchflutete Gang, der sich entlang des ganzen Südflügels des Hauses erstreckte. In Wandnischen waren Statuen aufgestellt, Arbeiten der erlesensten Bildhauer Arkadiens. Talawain entdeckte zwei neue Standbilder, die seit seinem letzten Besuch hinzugekommen waren. Eines zeigte einen gebückten Athleten, der seine Beinmuskeln dehnte. Das zweite einen Jäger mit gesenktem Bogen, der in die Ferne spähte. Beides waren nackte Männer.

Schmunzelnd erinnerte er sich an die Kommentare seiner beiden kleineren Schwestern über die nackten Männer. Wie sie mit errötenden Wangen gekichert hatten. Als Kinder hatten sie hier manchmal heimlich Verstecken gespielt und sich dabei hinter die Sockel der Standbilder gezwängt. Dabei hatte sein jüngerer Bruder einmal aus Versehen den Finger eines marmornen Kobolds abgebrochen. Ihr Vater Solaiyn hatte ihn zur Strafe dafür drei Tage ohne Licht in die Familiengruft gesperrt. Alles Bitten und Flehen hatte ihn davon nicht abbringen können. Als Asfahal seine Strafe abgesessen hatte, war er verändert gewesen. Noch am selben Tag hatte er einer der geliebten Statuen ihres Vaters mutwillig eine Hand abgehackt. Danach hatte er ein Pferd gestohlen und das Haus für immer verlassen. Er war erst siebzehn gewesen. Ein Kind noch, denn Elfen verließen üblicherweise erst irgendwann in den Fünfzigern ihre Familie, um ihre eigenen Wege zu gehen.

Talawain beschleunigte seine Schritte. Plötzlich waren die Erinnerungen, die in ihm aufstiegen, unangenehm. Er hatte so vieles verdrängt. Über zehn Jahre hatte er nicht mehr an seinen Vater und seine Geschwister gedacht. Und nun kam er, weil er einen Gefallen erbitten wollte, den ihm niemand sonst gewähren würde. Er strich über das Kartenrohr aus zähem Leder, das er wie einen Köcher auf dem Rücken trug.

Als er die Tür zur kleinen Bibliothek erreichte, öffnete er, ohne anzuklopfen. Sein Vater stand mit vor der Brust verschränkten Armen an einem der großen Fenster, die auf das Meer blickten. Er wandte sich nicht um, obwohl er ganz sicher gehört hatte, dass jemand den Raum betreten hatte. Sein schulterlanges, silberblondes Haar wurde von einem schmucklosen, goldenen Stirnreif zurückgehalten. Er trug einen langen, gerade geschnittenen Hausmantel aus feinem, flaschengrünem Tuch, der genauso aussah wie jene Mäntel, an die Talawain sich aus seiner Kindheit erinnerte.

»Ich freue mich, Euch bei guter Gesundheit zu sehen«, sagte Talawain förmlich. Ein herzlicher Umgangston war nicht die Sache seines Vaters.

Solaiyn wandte sich langsam zu ihm um. Seine linke Braue hob sich ein wenig. Ob das Überraschung oder Missbilligung ausdrückte, vermochte Talawain nicht zu beurteilen.

»Wie ich sehe, hast du deinen eigenen Tod verpasst, mein Sohn.« Er nickte sanft, und der Anflug eines Lächelns spielte um seine blassen Lippen. »Erfreulich.«

Das Gefühl, das das Wort ausdrücken sollte, fand keinen Widerhall im Tonfall Solaiyns.

Das Gesicht seines Vaters war schmaler geworden, seit sie sich zuletzt begegnet waren. Sehr deutlich zeichneten sich seine hohen Wangenknochen auf der marmorweißen Haut ab. Asfahal hatte früher immer gesagt, Vater sehe selbst aus wie eine seiner Statuen, nur dass sein Herz noch härter als Stein sei.

»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was Ihr mit meinem verpassten Tod meint, Vater.«

»Du bist also gerade erst zurückgekehrt«, stellte Solaiyn ohne weitere Erklärung nüchtern fest. »Eure übermütigen Sticheleien sind mit einem vernichtenden Schlag beantwortet worden.«

»Wovon sprichst du?«

»Vom Unheil, das die Elfen der Blauen Halle heraufbeschworen haben!« Er war jetzt in denselben Tonfall verfallen, in dem er Asfahal einst verkündet hatte, dass er ihn in die Familiengruft sperren würde. »Weil ihr sie gereizt habt, haben die Devanthar die letzte Grenze überschritten. Sie sind nach Albenmark gekommen und haben die Blaue Halle vernichtet! All die Narren, mit denen du dich verschworen hast, sind tot. Selbst der Himmlische wurde von den Devanthar ermordet. Und so, wie ich hörte, haben sie auch gründlich mit den Spitzeln aufgeräumt, die ihr törichterweise in eurem Wahn, ihr könntet vor den Devanthar verborgen bleiben, nach Daia geschickt habt.«

Talawain hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Er taumelte einen Schritt zurück und musste sich an einem der Bücherregale abstützen. »Das kann nicht sein …«, stammelte er. Und doch erklärte es alles. »Der Himmlische …«

»Er wurde in euren unterirdischen Gewölben unter einem Gebirge aus Felsgestein begraben«, fuhr sein Vater gnadenlos fort. »Deine Himmelsschlangen leiden unter Größenwahn. Nur weil die Alben es ihnen überlassen haben, sich um die Geschäfte der Schöpfung zu kümmern, sind sie noch lange keine Götter wie die Devanthar. Das ist ganz so, als würde sich mein Türwächter plötzlich für den Erbauer und Herrscher dieses Palastes halten, nur weil ich den Schlüssel dazu seiner Obhut überlassen habe.«

Talawain hob beschwörend die Hände. »Lasst es, Vater. Hört auf! Viele gute Freunde von mir sind tot. Verschont mich mit Eurem Sarkasmus. Ich will nicht …« Seine Stimme brach. Die Blaue Halle zerstört! Er konnte sich das einfach nicht vorstellen. Sie waren die Augen und Ohren der Himmelsschlangen gewesen. Wie hatte ihnen entgehen können, dass die Devanthar auf ihre Vernichtung sannen! Hatte sein Vater etwa recht? Waren sie zu eitel und selbstgefällig geworden, um die Gefahren zu bemerken, die sie durch ihre Taten heraufbeschworen hatten?