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Gonvalon hatte gehört, dass das Lager, in dem sich die Unsterblichen zurzeit versammelten, einige Meilen entfernt am Fluss lag. Erst morgen würden sie in einer großen Parade in die Stadt einziehen. Vor den Toren der Stadt waren auch die Palastgarden versammelt. Diesen Ort sollten sie auf jeden Fall meiden. Und sobald sie herausgefunden hatten, wo sich morgen Götter und Unsterbliche trafen, würden sie auch Selinunt verlassen. Er wollte allein mit Nandalee sein. Ein letztes Mal.

Eine Schar Krieger, ganz in Gold und Weiß, ritt vorüber. Einer von ihnen stieß erneut in sein Horn. Es war ein langer feierlicher Ton, begleitet vom scharfen, metallischen Klang der Hufeisen auf den Marmorplatten, mit denen die Prachtstraße ausgelegt war. Funken stoben unter den Hufen auf. Die Krieger sahen sich grimmig um, und gleich drei von ihnen wurden zur selben Zeit auf sie aufmerksam. Sie ließen ihre Pferde wenden und kamen langsam auf sie zu.

Gonvalon ahnte, woran es lag. Sie beide waren die einzigen Bewaffneten weit und breit, auch wenn die Sehnen von ihren Bögen gezogen waren und die Waffen an Riemen über ihrer Schulter hingen.

»Was tut ihr hier?« Abscheu lag in der Stimme des Reiters. Ein eckiger, blonder Bart verlieh seinem Gesicht einen harten Zug. Seine Augen blieben im Schatten seines Bronzehelms verborgen, auf dem lange, weiße Federn wippten.

»Wir schauen uns die schöne Stadt an.« Nandalee schaffte es, vollkommen arglos zu klingen. Wer sie sah und hörte, wäre niemals auf die Idee gekommen, dass er vor einer Mörderin stand, die alle drei Krieger, die sie gerade beäugten, binnen sechs Herzschlägen töten könnte.

»Ist doch nicht verboten, oder?«, fügte Gonvalon nicht minder arglos hinzu.

Der Krieger schüttelte angesichts so viel Dummheit den Kopf. »Ihr macht euch jetzt davon. Und wenn ihr morgen hierherkommen wollt, dann seid ihr gewaschen und ordentlich angezogen. Gestalten wie euch beide wird der Unsterbliche Ansur in der Weißen Stadt nicht dulden. Ihr seid …«

Helle Fanfarenstöße ertönten von einem nahe gelegenen Dach, und am Ende der Prachtstraße erschienen sechs Streitwagen. Die beiden vordersten waren mit Gold beschlagen, die Wagenlenker in Weiß und Purpur gekleidet. Hinter ihnen ragte je ein goldenes Feldzeichen auf. Ein Adler mit weit ausgebreiteten Schwingen und eine geflügelte Sonnenscheibe.

»Wir sollten gehen, sofort!«, sagte Gonvalon drängend. Warum waren die beiden Unsterblichen heute schon hier! Sie hätten erst morgen kommen dürfen. Wo Unsterbliche waren, mochten auch Devanthar nicht fern sein. Es war ein großer Fehler gewesen, sich nicht unauffälliger zu kleiden. Aber wer hätte ahnen können, welche Gesetze hier herrschten. In jeder anderen Stadt Daias waren die Straßen voller abgerissener Gestalten, wie sie es waren, ja, viele sahen noch schlimmer aus. Dort wären sie einfach in der Menge untergegangen.

Nandalee hielt ihn zurück. »Lass uns sehen, wohin sie wollen. Sie werden uns zu dem Ort führen, den wir suchen. Erkennst du auch den Mann unter der Flügelsonne?«

Natürlich erkannte er den Kriegerkönig mit dem mächtigen schwarzen Bart. Schließlich waren sie Aaron, dem Unsterblichen von Aram, schon zweimal begegnet, wenngleich er dabei nie so festlich gewandet gewesen war wie heute. Er und der andere Unsterbliche fuhren keine fünf Schritt entfernt auf ihren Streitwagen vorüber. Gonvalon senkte den Kopf, um nicht erkannt zu werden. Eilig folgte Nandalee seinem Beispiel, doch beide Herrscher hatten kurz in ihre Richtung gesehen.

Die Unsterblichen hielten auf jenes Gebäude zu, das Gonvalon schon vorhin aufgefallen war. Rund, mit einer goldenen Kuppel, die von zwanzig Schritt hohen Marmorsäulen getragen wurde, überragte es alle umstehenden Bauten. Ein regelrechter Säulenwald trug das Dach und versperrte den Blick auf die inneren Bereiche. Gonvalon schätzte, dass der Bau hundert Schritt durchmaß. Er hatte zwar größere Paläste und Tempel in der Stadt gesehen, doch nur dieses eine Bauwerk war rund.

»Wer ist das? Und wohin gehen die da?«, fragte Nandalee den Krieger, der sie immer noch argwöhnisch beäugte. Gonvalon seufzte stumm. Sie hätten sich sofort aus dem Staub machen sollen. Er wusste, dass sie sich unwissend stellte, um die letzte Bestätigung zu bekommen, dass dies dort vorne der Versammlungsort für morgen war, aber sie sollten jetzt nicht mehr hier sein. Nicht unter den Augen der Unsterblichen. Es gab höchstens eine Handvoll Menschenkinder, die sie wiedererkennen konnten, und ausgerechnet eines von ihnen tauchte jetzt auf! Verfluchtes Pech!

»Ihr erkennt euren eigenen Herrscher nicht?«, antwortete der Krieger auf Nandalees Fragen. »Links seht ihr Ansur, den Unsterblichen von Valesia, und neben ihm fährt Aaron, Unsterblicher von Aram.« Der Berittene sagte das mit einer Ergriffenheit, als seien sie leibhaftige Götter, die nicht zu erkennen ein Sakrileg darstellte.

Die Herrscher zügelten ihre Rösser, stiegen von den Streitwagen und erklommen die Stufen zum Rundbau.

»Dies ist die Halle der Unsterblichen«, fuhr der Reiter stolz fort. »Der Ort, an dem morgen zur Mittagsstunde Menschen und Götter einen Pakt schließen werden, um jene Daimonen zu besiegen, die so viel Unheil über unsere Welt gebracht haben. Und nun macht euch davon. Und vergesst nicht, was ihr gesehen habt. Ich glaube nicht, dass ihr jemals wieder zwei Unsterblichen so nahe sein werdet.«

»Danke, Herr«, sagte Gonvalon unterwürfig, um das Gespräch zu beenden, und zog Nandalee mit sich. »Lass uns so schnell es geht verschwinden«, zischte er, sobald der Reiter außer Hörweite war. »Dort, in die Seitenstraße, schnell.«

»Aaron hat uns sicher nicht erkannt.« Nandalee war völlig ruhig. Für seinen Geschmack war sie zu entspannt. Sie durften nicht den Argwohn der Unsterblichen erwecken. Nicht heute! Sie wusste ja nicht, worum es ging.

»Wir haben auf Nangog Helme getragen, als wir an Aaron vorübergegangen sind. Er erinnert sich nicht an uns.«

»Und in der Kristallhöhle?«, wandte Gonvalon ein. »Da hatten wir keine Helme auf. Und du hast einem seiner Leibwächter den Arm abgehackt. So jemanden vergisst man nicht. Er ist keine fünf Schritt an uns vorbei, und er hat in unsere Richtung geblickt!«

Halb verborgen in einem Säulengang am Eingang der Seitenstraße warf Gonvalon einen letzten Blick auf die beiden Herrscher, die auf der obersten Stufe vor der Halle der Unsterblichen stehen geblieben waren. Der Elf hatte das Gefühl, dass ihm Ansur über die weite Entfernung hinweg genau in die Augen sah. Eben schon, als sie auf den Streitwagen vorübergefahren waren, hatte der Herrscher ihn und Nandalee mit hasserfüllten Blicken bedacht.

Ansur war ein schlanker, nicht allzu großer Mann mit schmalem Gesicht. Sein schwarzes Haar war von reichlich Silber durchzogen, doch seine grauen Augen brannten in der Leidenschaft der Jugend. Neben diesen Augen war sein auffälligstes Merkmal ein gewölbtes, schwarzes Muttermal dicht über der Oberlippe. Es hätte das Gesicht eines Gelehrten sein können, wäre da nicht dieser Blick gewesen. Dies war ein Mann, der über Leichen ging, wenn es galt, seinen Willen durchzusetzen.

Und sie hatten seinen Zorn auf sich gezogen.

Der Plan der Götter

Artax bemerkte, wie Ansur zu den beiden abgerissenen Gestalten sah, die auch ihm eben auf ihrem Weg zur Halle der Unsterblichen aufgefallen waren »Stimmt etwas nicht, mein Freund.«

»Die beiden sollten nicht hier sein.«

Es lag ein Zorn in Ansurs Stimme, den Artax als unangemessen empfand. Angegafft zu werden war doch alltäglich. Ihm war der bartlose Jäger mit dem langen blonden Haar, der zuletzt den Kopf gesenkt hatte, seltsam vertraut vorgekommen. In seiner Erscheinung hatte er ihn ein wenig an Datames erinnert, auch wenn das Gesicht ein anderes gewesen war.

Ansur winkte eine der Wachen vom Fuß der Treppe hinauf. »Dort hinten …« Er stockte. Die Gestalten waren verschwunden. »Dort hinten waren zwei Vagabunden in Lumpen. Nimm dir ein paar Männer, suche sie und sorge dafür, dass sie nie wieder auf die Idee kommen, Selinunt zu betreten.«