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Er stand auf.

Das wirst du lassen!, ertönte eine machtvolle Stimme in seinen Gedanken. Wir werden ihn irgendwann rächen, wie es sich gehört, doch hier ist nicht der Ort und nicht die Stunde, es zu tun.

Volodi ließ die Hand sinken, die nach dem Schwert hatte greifen wollen.

»So geht es nicht«, warf der Große Bär nun in die Runde. »Wir brauchen einen siebten Unsterblichen, um die Abstimmung entscheiden zu können. So wie meine Schwester Išta noch in der Stunde von Muwattas Tod den größten Krieger Luwiens zu dessen Nachfolger berief, will auch ich es halten. Volodi von Drei Eichen, du sollst von nun an die Geschicke Drusnas lenken. Das Volk sieht zu dir auf. Dein Name ist seit diesem Winter in aller Munde. Du wirst Drusnas Schicksal wenden.«

Volodi sah den Bären fassungslos an.

Mach den Mund zu, verdammt. Das sieht nicht gut aus. Und glaube ja nicht, dass du mit mir über diese Entscheidung verhandeln könntest!

»Nun wird dein Wort den Ausschlag geben, was am morgigen Tag geschieht.« Aaron hatte sich direkt an ihn gewandt. In seinen Augen las Volodi, wie glücklich er über die Entscheidung des Großen Bären war.

»Äh, was …« Nun sahen ihn alle an. Und er hatte nicht zugehört. Er wusste nicht einmal, worüber sie abstimmten.

Der Unsterbliche Aaron hat einen recht vernünftigen Vorschlag gemacht, wie das morgige Fest verlaufen soll. Ansur ist dagegen, weil es seine Pläne für die feierliche Einweihung von Selinunt durcheinanderbringt. Dieses Früchtchen von Zapote benutzt sein Hirn nicht und stimmt mit Ansur, weil er seit dem kleinen Zwischenfall in der Tempelstadt auf Aarons Verderben sinnt. Er hat übrigens die Hoffnung nicht aufgegeben, dich doch noch irgendwann der Gefiederten Schlange zu opfern. Dieses tätowierte Ungeheuer, der Unsterbliche von den Schwimmenden Inseln, stimmt mit den Zapote, weil sie Verbündete sind. Madyas, der Unsterbliche von Ischkuza, unterstützt Aaron nur deshalb, weil er lieber in Zelten als in festen Häusern Feste feiert. Einzig Labarna geht es um die Sache. Er unterstützt Aaron, weil er findet, dass es der richtige Weg ist. Deine Stimme wird nun den Ausschlag geben, Volodi. Ist es nicht erstaunlich, wie wenig Vernunft bei der ersten Entscheidung, die ihr sieben Herrscher gemeinsam trefft, eine Rolle spielt?

Volodi blickte zu dem arroganten Herrscher Valesias. Er hatte Drusna gedemütigt und Iwar ermordet. Jetzt hatte er Gelegenheit, ein wenig Rache für Iwar und Drusna zu nehmen. »Ich, ähm …« Er hatte keine Schwierigkeiten, vor einem ganzen Heer von Halsabscheidern zu sprechen und ihnen mit lauter Stimme Befehle für die Schlacht zuzurufen. Aber das hier war anders. Vor den Unsterblichen und den Göttern zu sprechen … Er wünschte sich, er hätte einen Schluck Wein, um seine Kehle anzufeuchten. Wie sie ihn alle ansahen … Verdammt! Er musste das hinter sich bringen.

»Also ich stimme im Namen Drusnas mit dem Unsterblichen Aaron, denn seine Gründe sind von Gewicht.« Er hatte zwar nicht zugehört, was Aaron vorgeschlagen hatte, aber wie es schien, spielten gute Argumente und Vernunft ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, wenn über das Schicksal der Welt entschieden wurde. Und wenn er ganz ehrlich war, dachte auch er gerade mehr an Quetzalli als an die Zukunft Daias. Wie sie es wohl aufnehmen würde? Er grinste. Jedenfalls würde sie nie wieder in einem drusnischen Winter frieren. Nicht im Palast eines Unsterblichen!

Der Abschied einer Prinzessin

Die Mutter der Mütter hatte ihr einen Baldriantrunk angeboten, damit sie in ihrer letzten Nacht besser in den Schlaf fand.

Kara war zu nett, um dieses Kloster führen zu können. Shaya machte sich Sorgen um das weitere Schicksal der jungen Priesterin. Die alte Tabitha war ganz sicher besser geeignet gewesen, um die Hinrichtung von Prinzessinnen zu vollstrecken. Hoffentlich beschritt der Unsterbliche Labarna neue Wege. Sie hatte bei ihrem Gespräch das Gefühl gehabt, dass das Ritual der Himmlischen Hochzeit auch ihm nicht gefiel. Doch vom Hof ihres Vaters wusste sie, dass es zum Fundament von Herrschaft gehörte, an alten Traditionen festzuhalten.

Shaya lächelte über sich selbst. Da saß sie nun auf ihrem Bett, gefesselt mit einer schweren goldenen Kette, deren Manschette ihr den Winter über das Fußgelenk blutig gescheuert hatte, und machte sich Sorgen um das weitere Schicksal ihrer Kerkermeisterin.

Ein scharrendes Geräusch ließ sie aufblicken. Von außen wurde der Fensterladen geöffnet, und eine schlanke Gestalt schlüpfte leise in ihr Zimmer. Nur die kleine Flamme einer Öllampe erhellte den Raum. Aber ihre Augen waren an das schwache Licht gewöhnt. Ganz deutlich sah sie den nächtlichen Besucher. Es war ein junger Mann mit schulterlangem, blondem Haar. Er trug sein Schwert auf den Rücken geschnallt, so wie es die Piraten, die Aaron zu seiner Leibwache gemacht hatte, gerne taten.

Aaron … Er hatte sie also nicht vergessen. Aber sie konnte nicht mit diesem Fremden gehen. Ihre Flucht würde Aaron vernichten. Für sie beide gab es keine Hoffnung. Ihr Schicksal war es, morgen mit durchschnittener Kehle zu sterben und auf einem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Und doch tat es gut, diesen Krieger zu sehen. Sie hatte sich in Aaron geirrt, gegen jede Vernunft hatte er sie niemals aufgegeben. Nun wäre sie es, die vernünftig sein müsste.

»Prinzessin Shaya?«, flüsterte der Eindringling. »Bitte erschreckt nicht, ich bin ein Freund Aarons. Ihr seid nicht in Gefahr. Ich bin hier, um Euch zu retten.«

»Ich bin wach. Ich sehe dich, und mein Leben währt zu kurz, um noch vor irgendetwas Angst zu haben. Ich freue mich, dass du gekommen bist, und doch werde ich nicht mit dir gehen. Sag Aaron, dass ich ihn liebe. Und weil es so ist, habe ich keine andere Wahl, als hierzubleiben.« Sie senkte den Kopf. Ihre letzten Worte hallten in ihr nach. Nein, das sollte nicht das Letzte sein, was Aaron von ihr hörte. Sie reckte stolz das Kinn vor. »Vergiss das … Sag ihm bitte nur, dass ich ihn liebe.«

Der Fremde sah sie eigenartig an, und obwohl er noch ein bartloser Jüngling war, wirkten seine Augen in diesem Moment so, als hätten sie schon alle Schrecken und Wunder dieser Welt gesehen. »Ich verstehe jetzt, warum er Euch liebt. Und lasst nicht alle Hoffnung fahren. Ich werde Euch retten, Prinzessin, denn ich bin nicht, was ich zu sein scheine.«

Sie stellte den Docht der Öllampe höher und sah ihn forschend an. Gleichzeitig verweigerte sie sich jeder neuen Hoffnung. Niemand konnte sie retten. Eines war allerdings seltsam. »Woher wusstest du, dass ich schon morgen hingerichtet werde?«

»Ich wusste es nicht. Ich schätze, wir beide haben Glück gehabt.« Er lächelte, doch seine Augen wirkten traurig. »Es war uns eben einfach bestimmt, zur rechten Zeit zueinanderzufinden. Eigentlich wäre ich erst zur Kirschblüte gekommen. Ich habe das Ende des Winters in einer Hütte drei Tagesmärsche von hier verbracht. Als das Wetter besser wurde, dachte ich, es sei eine gute Idee, schon einmal den Weg hinauf zum Kloster zu erkunden. Als ich das verborgene Tal fand, sah ich, dass hinter den Gärten ein Scheiterhaufen errichtet wurde. Viele Wochen zu früh. Da wusste ich, dass es mein Schicksal war, zu Euch zu finden, Prinzessin Shaya.«

Wieder spürte sie diesen süßen Schmerz in der Brust wie in der Stunde, als Kara ihr offenbart hatte, dass sie früher sterben würde. Was war es? Verletzte Hoffnung? Verzweifelte Liebe? »Ich kann nicht mit dir gehen.« Jetzt fiel es ihr schon schwerer, standhaft zu bleiben, obwohl sie ganz genau wusste, welches Unglück aus ihrer Flucht erwachsen würde.

»Seht Euch bitte das hier einmal an.« Er strich sein Haar zurück, sodass ein seltsam deformiertes Ohr zum Vorschein kam. Es war zu lang, zu schmal und lief spitz aus wie ein Tierohr. »Ich bin das, was ihr Menschenkinder einen Daimon nennt. Wir selbst bezeichnen uns als Elfen.«