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Shaya rannen heiße Tränen über die Wangen. Unfähig den Blick abzuwenden sah sie zu, wie sie starb. Schluchzen schüttelte sie.

Das Blut perlte durch eine Rinne und troff in einen goldenen Kessel, der am unteren Ende des Altars stand. Noch immer hielten die Krieger den Elfen fest. Nie wieder würde sie das Wort Daimon benutzen, schwor sich Shaya. Daimonen waren Ungeheuer der Nacht. Seelenlose Geschöpfe, allein fähig, Böses zu tun. Doch dort unten hatte eine Lichtgestalt ihr Leben für sie gegeben, allein für die Hoffnung, dass die Welt ein besserer Ort sein würde, wenn sie noch nicht starb.

»Danke, Datames«, flüsterte sie und wurde sich bewusst, dass sie nicht einmal seinen richtigen Namen gekannt hatte. »Du hattest eine große Seele.«

Ein weißes Seidentuch wurde über das Gesicht des Toten gelegt. Die Priesterinnen hoben den Leichnam vom Altar und trugen ihn zum Scheiterhaufen.

Der Išta-Priester trat mit einer brennenden Fackel neben den Scheiterhaufen. Kara kam, redete auf ihn ein und nahm ihm schließlich, sichtlich gegen seinen Willen, die Fackel ab. Eine junge Priesterin kam vom Tempel herbeigelaufen. Auf den Armen trug sie ein Brett, das mit Leintüchern abgedeckt war. Shaya erkannte es sofort. Es musste sich um die Tontafeln handeln, auf denen Kara gestern niedergeschrieben hatte, was sie ihr über die Heilkräfte der Allwurzel erzählt hatte.

Vorsichtig bettete die Mutter der Mütter die Tafeln auf die Brust des Leichnams. Sie würden im Totenfeuer gebrannt werden. Wieder ertönte der laute Gong. Kara hielt die Fackel an das ölgetränkte Holz, und bald schon hüllten Flammen den Leichnam ein. Der Wind ließ das Feuer tanzen und riss glühende Funken hoch in die Luft hinauf.

Shaya hatte aufgehört zu weinen. Frieden war über sie gekommen und das Gefühl einer nie gekannten Freiheit. Sie schuldete niemandem in dieser Welt mehr etwas, konnte zum ersten Mal in ihrem Leben tun, was sie wollte.

Die Gruppe der Opferzeugen begann sich aufzulösen. Als Erster ging der Išta-Priester. Nur Kara blieb bis weit in den Nachmittag. Zuletzt holte sie die Tontafeln mit zwei Stöcken aus der Glut und legte sie zum Auskühlen auf den Altar. Shaya wartete bis zur Abenddämmerung und sah zu, bis schließlich auch die letzte Glut des Scheiterhaufens verloschen war. Dann verließ sie ihr Versteck und schritt über den Bergkamm hinweg in ihr neues Leben.

Der letzte Krieg

Langsam breitete sich in der Menschenmenge vor der Halle der Unsterblichen Unruhe aus. Das Wispern von Tausenden Stimmen wurde immer lauter. Manche von ihnen hatten schon Stunden auf dem Platz ausgeharrt, so wie Gonvalon. Immer wieder gab es kurze Regenschauer. Die Sonne hatte sich an diesem Tag noch gar nicht gezeigt.

Heute hatte der Elf sich nicht in die Stadt schleichen müssen. Er trug eine weiße Tunika, dazu rote Sandalen, und hatte den Umhang, den ihm der Dunkle gegeben hatte, um die Schultern geschlungen. Sein Haar machte ihm Sorgen. Er hatte es am Morgen schwarz gefärbt. Der Regen würde bald das Färbemittel ausspülen und die Schultern der Tunika und den Umhang damit durchtränken. Irgendwann würde sich in der kalten Nässe auch der falsche Bart lösen, der an seinen Wangen haftete. Niemand, der ihn gestern gesehen hatte, würde ihn heute noch wiedererkennen. Aber wenn der Regen sein zerstörerisches Werk noch länger fortsetzte, würde bald offenbar werden, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

»Bald wirst du die Götter sehen«, versuchte eine junge Mutter neben ihm ihre quengelnde Tochter zu beruhigen. Das blondhaarige Mädchen war höchsten sieben und jammerte, dass es nicht mehr stehen könne.

»Nur wenige Menschen sehen jemals einen leibhaftigen Gott. Das bringt Glück! Ein guter Stern wird über deinem Leben stehen und dir ein zufriedenes Leben bescheren.«

Gonvalon blickte zum Himmel. Dichte, bleigraue Wolken zogen über das Tal. Die Sonne war nicht zu sehen. Es war schon jetzt so dunkel wie zur Dämmerung. Der Elf stellte sich vor, wie ungeduldig die Himmelsschlangen nun auf sein Zeichen warteten.

Plötzlich erschien eine Gruppe von Kriegern zwischen den Säulen der Festhalle. Sie setzten silberne Fanfaren an die Lippen und schmetterten einen Gruß, der jedes Gespräch auf dem weiten Platz verstummen ließ.

Ansur trat zwischen den Kriegern hervor und stieg einige der Stufen des Prachtbaus hinab.

Gonvalon drängte sich nach vorne. Er wollte keines der Worte des Menschensohns überhören. Der Elf ignorierte die Ellbogenstöße und Flüche der Männer und Frauen, an denen er sich vorüberschob. Schließlich war er keine fünf Schritt mehr von Ansur entfernt, als dieser die Arme ausweitete und zu sprechen begann. »Bürger von Valesia!« Die Stimme des Menschensohns war kraftvoll. Schon den ersten Worten merkte Gonvalon an, dass der Herrscher ein geübter Redner mit wohlausgebildeter Stimme war.

»Götter sind unter Euch!« Ansur machte eine Pause und genoss sichtlich das Raunen in der Menschenmenge.

»Schon in der Nacht haben sich die Unsterblichen und die Himmlischen in der Halle, auf die ihr blickt, versammelt. Wie ihr wisst, waren es die Daimonen Albenmarks, die all das Unglück über Nangog brachten und auch uns einen Hungerwinter bescherten.« Er blickte auf die Menge hinab. »Ich sehe eure ausgezehrten Gesichter, ich sehe eure hohläugigen Kinder. Ich weiß, wie sehr ihr gelitten habt.«

Etwas war anders als gestern, dachte Gonvalon. Freilich hatte er Ansur gestern nicht sprechen hören, aber diese warme, freundliche Stimme wollte so gar nicht zu den hasserfüllten Blicken vom Vortag passen. Auch schienen ihm die Gesichtszüge leicht verändert. Doch da war das auffällige Muttermal über der Oberlippe.

»Wir werden einen Krieg gegen die Daimonen führen!«, rief er. »Wir werden sie aus Nangog vertreiben! Und dann werden wir mit dem Schwert in der Hand in ihre Welt treten.« Seine Stimme überschlug sich jetzt. Immer leidenschaftlicher wurden die Gesten, die seine Worte begleiteten. »Wir werden auch sie spüren lassen, was es heißt zu darben. Auch sie sollen wissen, wie es ist, ein Kind in den Schlaf zu wiegen, dem der Bauch vor Hunger schmerzt. Und wenn wir sie zur letzten Schlacht stellen, dann werden wir keine Gnade kennen. Sie waren es, die den Krieg begonnen haben. Wir sind Kinder des Friedens. Aber sie haben unseren Zorn erweckt, und wenn wir etwas beginnen, dann bringen wir es auch zu Ende. Wir werden es sein, die diesen Krieg beenden. Und enden wird er erst, wenn wir auf dem letzten Schlachtfeld über den letzten Leichnam des letzten Daimons hinweggeschritten sind.«

Lautes Jubelgeschrei erhob sich. Die Menge drängte nach vorn, und nur mit Mühe konnten die Wachen am Fuß der Treppe die begeisterten Valesier zurückhalten. Ansur stieg noch ein paar Stufen weiter hinab. Er winkte seinen Untertanen zu. Gonvalon konnte ihn jetzt ganz deutlich sehen. Das Muttermal … Er musste näher an ihn heran! Er drängte sich in der Menge weiter nach vorne. »Heil dir, Ansur Daimonenschlächter«, rief er aus Leibeskräften und winkte, damit der Herrscher auf ihn aufmerksam wurde. »Räche unsere toten Kinder!«

Ansur blickte auf ihn herab. Und in diesem Augenblick sah Gonvalon es ganz deutlich. Das Muttermal wölbte sich nicht. Es war nur aufgemalt. Ein Schausteller war gekommen, um für das Volk den Herrscher zu spielen!

Ansur wandte sich um, stieg ein Stück die breite Marmortreppe hinan und winkte den Fanfarenbläsern. Schneidig hoben sie ihre Instrumente an die Lippen und ließen ein weiteres Mal einen Tusch erklingen.

Das Lärmen auf dem Platz verstummte. »Es ist der Letzte aller Kriege, über den Götter und Herrscher beraten, und noch sind wir uns nicht einig, wie wir die Daimonen bezwingen werden. Die Beratungen werden noch bis zur Abendstunde andauern. Dann aber werden die Unsterblichen und die Götter Hand in Hand auf diesen Stufen hier stehen und ihr, meine Valesier, ihr werdet die ersten Zeugen dieses neuen Bündnisses sein. Geduldet euch noch einige Stunden. Dies ist ein Tag, von dem noch in hundert mal hundert Jahren gesprochen werden wird. Und ihr werdet irgendwann euren Enkelkindern voller Stolz erzählen: Ich war dabei, als der Kriegsrat der Götter und Unsterblichen entschieden hat, wie die Feinde der Menschheit ausgelöscht werden sollen!«