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Artax’ Augen erholten sich vom grellen Lichtblitz. Er konnte wieder etwas deutlicher sehen. Alle Devanthar, die eben noch teils gelangweilt, teils amüsiert oder aber verärgert dem Streit der Unsterblichen gelauscht hatten, waren verschwunden.

Fast alle Zelte des Heerlagers waren niedergerissen worden. Menschen wie Tiere hatten sich zu Boden gekauert, um dem wütenden Zerren des Sturms widerstehen zu können. Noch immer war der Wind außergewöhnlich stark. Er wehte die Passstraße nach Selinunt hinauf, und einen Moment lang hatte Artax die absurde Vorstellung, dass in der Weißen Stadt ein riesiges Tier kauerte und der Wind sein Atem war.

Die Unterseiten der dunklen Wolken hinter den Bergen waren in zuckendes, rotes Licht getaucht.

»Selinunt brennt!«, rief Ansur außer sich. »Meine Stadt steht in Flammen! Ich muss den Pass hinauf. Ich muss …«

Wie aus dem Nichts erschien der adlerköpfe Devanthar und packte den Herrscher. »Du wirst nicht dorthin gehen.« Er blickte in die Runde. »Keiner von Euch. Das Feuer der Himmelsschlangen ist über Selinunt gekommen. Keiner dort lebt mehr. Die Stadt hat aufgehört zu sein. Und wären wir dort gewesen, wir wären mit ihr vergangen.« Er sah Artax mit seinen Vogelaugen an. »Ich danke dir für deine Zweifel, Unsterblicher Aaron. Du hast uns alle gerettet.«

»Aber wir müssen das Feuer löschen«, begehrte Ansur auf. »Müssen retten, was noch zu retten ist, damit wir die Stadt wieder neu …«

»Es gibt nichts mehr zu retten!« Der Devanthar schrie die Worte in verzweifeltem Zorn. »Selbst die Steine sind geschmolzen. Und in dem Feuer ist ein Gift, das ich nicht zu benennen vermag. In diesem Tal wird nie wieder eine Stadt stehen, und Jahrhunderte mögen vergehen, bis das Gift verflogen ist.«

Einer nach dem anderen erschienen auch die übrigen Devanthar wieder auf dem hölzernen Boden, der alles war, was vom Versammlungszelt geblieben war. In ihren Gesichtern spiegelten sich Schrecken und Zorn, soweit sie menschlich genug waren, dass Artax Gefühle darin lesen konnte.

Artax erhob sich. Der Anblick des brennenden Horizonts machte ihn sprachlos. Erst vor einem halben Jahr war die Goldene Stadt zerstört worden. Nun Selinunt …

»Diese Heimsuchung hätte jede unserer Städte treffen können«, sagte der hünenhafte Labarna, und Artax sah überrascht, dass in den Augen des Herrschers von Luwien Tränen standen. »Wenn sie hierherkommen konnten, dann können sie überallhin gelangen.«

»Wenn solche Flammen in die Wälder Drusnas fahren, dann werden sie auf Hunderte Meilen brennen«, stammelte Volodi.

»Wir können nicht mehr für uns alleine herrschen«, erhob Artax seine Stimme. »Es gibt keinen sicheren Ort mehr auf dieser Welt. Wenn wir nicht endlich unsere kleinlichen Streitereien aufgeben, dann werden wir untergehen.« Er legte feierlich die Hand auf seine Brust. »Jede Fehde wird ruhen, bis wir die Schlangen des Himmels vernichtet haben, das schwöre ich bei meinem Herzen.«

Einer nach dem anderen wiederholten die Unsterblichen diesen Eid. Dann wurde es still.

Selinunt hatte brennen müssen, damit sie zueinanderfinden konnten, dachte Artax aufgewühlt. Hoffentlich war es die letzte Stadt, die von den Daimonen Albenmarks verwüstet wurde. Er dachte erneut an die Bilder, die er im Tunnel vor dem Kuppelsaal gesehen hatte. Die Schlacht im Himmel Nangogs. Und er wusste, dass sein Wunsch sich nicht erfüllen würde.

Die Zeit wird es zeigen

Die Stadt war nicht wiederzuerkennen.

Drei Tage hatte Nandalee gebraucht, um aus der Starre zu erwachen. Und je länger es dauerte, desto sicherer hatte sie gewusst, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Schon am Nachmittag, nachdem Gonvalon gegangen war, hatte sich ein wütender Sturmwind erhoben und einen Teil des Gebüschs vor ihrem Versteck fortgerissen. Zwei Tage lang hatte der Abglanz eines Feuers die Unterseiten der grauen Regenwolken rot erglühen lassen. Zur Bewegungslosigkeit verdammt, einfach nur in ihrem Versteck zu liegen, hatte sie fast wahnsinnig werden lassen. Wo war Gonvalon? Warum kam er nicht? Je öfter sie sich diese Frage stellte, desto mehr fürchtete sie sich vor der Antwort.

Als sie sich endlich wieder hatte bewegen können, war sie, ohne ein einziges Mal innezuhalten, hinunter zur Stadt gelaufen.

Doch jetzt wusste sie nicht mehr weiter. Hilflos sah sie sich um, unfähig, auch nur eines der Gebäude wiederzuerkennen. Tote hatte sie nur außerhalb der Stadt gefunden. Hier war nichts. Die Straße, der sie folgte, war zu schwarzem Glas geworden. Und trotz des Schutzzaubers, den sie gewoben hatte, spürte sie die Hitze durch ihre Stiefelsohlen. Ihre Haut prickelte, als liefen Ameisen darüber. Ihre Augen tränten.

Sie betrachtete die Reste einer weißen Säule, an der Perlen aus geschmolzenem Gestein hafteten. Wie eine riesige, gebogene Kerze sah sie aus.

»Gonvalon!«, rief sie aus Leibeskräften und wusste doch, dass sie keine Antwort bekommen würde. Sie hatte Selinunt durch ihr Verborgenes Auge betrachtet. Hier gab es kein Leben mehr.

Ein warmer Luftzug streifte ihren Rücken. Da war ein vertrauter Duft. Sie wandte sich um. Hinter ihr stand der Dunkle zwischen halb geschmolzenen Hauswänden, deren Fenster wie verzerrte Augen auf sie blickten. Er hatte Elfengestalt angenommen.

»Das hätte nicht geschehen sollen«, sagte er bedrückt. »Ich habe versucht, es zu verhindern … Ich war mir so sicher, dass sie sich hier treffen würden. Ich habe Gonvalon angelogen, welche Seite des Mantels er uns zeigen sollte, weil ich wollte, dass dies nicht geschieht. So sicher war ich mir, dass sie hier wären …«

Nandalee verstand kein Wort von dem, was er sagte. »Was war mit dem Mantel?«

»Meine Brüder waren im Rat übereingekommen, dass mit diesem Mantel das Signal gegeben werden sollte, ob sie angreifen oder nicht. Läge die rote Seite oben, sollte dies das Zeichen zum Angriff sein. Gonvalon aber habe ich belogen. Er hörte von mir, blau sei das Angriffszeichen. Ich tat es, weil ich mir völlig sicher war, dass die Unsterblichen und die Devanthar hier sein würden. Ich wollte nicht, dass die Stadt zerstört wird. Ich wollte einen anderen Weg suchen. Und ich wollte auch nicht, dass du …« Er sah sie durchdringend an.

Nandalee war dieser Blick unangenehm. »Was ist mit Gonvalon?«

Er schüttelte den Kopf. »Er war hier, als das Feuer kam«, sagte er ohne Anteilnahme. Dann sah er sich suchend um und deutete schließlich zu einem Säulengeviert am Hang. »Dort bei der Markthalle hat er den Umhang ausgelegt. Er kann nicht weit gekommen sein, Dame Nandalee. Beendet Eure Suche. Ihr werdet ihn nicht finden«

Doch Nandalee lief bereits über die Straße aus schwarzem Glas. Zweimal stürzte sie, rappelte sich wieder auf, ließ nicht zu, dass der Dunkle sie berührte. Sie betrat etwas, das einmal ein kleiner Platz gewesen sein musste, stieg über gestürzte Säulen hinweg, die mit dem Untergrund verschmolzen waren, und sah sich suchend um.

Der Dunkle blieb stets an ihrer Seite. »Hier kann es nichts geben. Es ist nicht einmal Asche geblieben. Ihr solltet nun mit mir gehen, Dame Nandalee. Dies ist ein gefährlicher Ort.«

Nandalee wollte das nicht hören. Sie wollte sich dem nicht stellen, was doch so offensichtlich wahr sein musste. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, während ihr Blick rastlos über die Ruinen streifte. Es gab keine verkohlten Balken, keinen Staub, keine Asche. Nur geschmolzenes Gestein.

Er konnte doch nicht so gestorben sein. Einfach ausgelöscht. Gonvalon, der Schwertmeister des Goldenen, der beste Fechter Albenmarks. Verschwunden, ohne Spur …

Ihr Blick verharrte. Da war ein dunkler Fleck. Ein Schatten. Nur auf dieser einen Säule. Alle anderen waren makellos weiß. Sie stieg über Stufen, die wie halb geschmolzenes Wachs ineinandergelaufen waren. Der Schatten hatte eine Form. Je länger sie ihn betrachtete, desto deutlicher erkannte sie einen schlanken Mann. Er war so groß, wie Gonvalon es gewesen war. Sie streckte die Hand aus. Die Säule war immer noch heiß. Das war kein Ruß auf ihr. Der Schatten war in den Stein eingebrannt! Für alle Zeit!