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»Wir werden nie wissen, ob er es ist«, klang die Stimme des Dunklen beschwörend hinter ihr.

Nandalee presste die Hand fest auf die Säule. Sie wusste es! Die Hitze verbrannte ihr die Hand, aber durch den Schmerz hindurch konnte sie ihn spüren. Er hatte vor der Säule gestanden, als das Feuer gekommen war.

»Ihr dürft nicht länger bleiben, Dame Nandalee. Hier ist ein Gift, überall. Ihr spürt es nicht, aber es hat bereits begonnen, Euch zu schaden. Und nicht nur Euch. Ihr seid schwanger.«

Sie löste die Hand von der Säule. Die Innenseite war voll blutiger Blasen. Doch sie spürte nichts. Der Schmerz, der in ihrem Herzen wütete, löschte jedes andere Gefühl.

»Kommt!« Der Dunkle nahm sie beim Arm und führte sie fort.

Nandalees Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Sie konnte nichts mehr sehen, hatte keine Kraft mehr. Es war gut, dass er gekommen war. Ohne ihn wäre sie vor der Säule zusammengebrochen. Sie musste jetzt an das Kind denken.

Unfähig sich zu bewegen hatte sie nach einer Weile in ihrem Versteck in der Felsspalte eine Ruhe überkommen, die ihr sonst fremd war. Sie hatte in sich hineingehorcht. Hatte sich auf ganz neue Art gespürt. Sie hatte gefühlt, wie ihr Herz schlug, wie ihr Blut durch die Adern rann. Und dann hatte sie um das neue Leben gewusst, das nun in ihr wuchs. Denn auch das hatte sie spüren können. Eine Bewegung tief in ihr.

Der Dunkle sprach ein Wort der Macht, und es war, als würde sie in einen Abgrund hinabgezogen. Der Boden unter ihren Füßen war verschwunden. Sie stürzte. Einen Herzschlag lang. Dann stand sie wieder fest auf den Beinen.

Trockene, warme Luft umfing sie. Nandalee blinzelte die Tränen fort. Sie waren im Jadegarten. Nachtatem hatte einen Drachenpfad geöffnet. Einen jener unsteten Wege, die mit Gewalt durch das Gefüge des Raums gebrochen wurden und nur selten länger als einen Augenblick Bestand hatten.

Sie sah zu den Bergen, die den Jadegarten einfassten. In den letzten Monden hatte sie mit Gonvalon jeden Gipfel und jedes Tal erkundet. Sie war dort draußen glücklich gewesen. Sie würde nicht hier unten im Garten bleiben. Wenn sie schon nicht mehr bei ihm sein konnte, dann wollte sie zumindest an jenen Orten sein, an denen sie gemeinsam gelacht hatten. Dort würde für immer etwas von ihm lebendig bleiben. Zumindest für sie.

Nachtatem legte seine Hand auf ihren Bauch.

Sie stieß ihn zurück. »Dazu hast du kein Recht!«, zischte sie ihn an. »Das ist Gonvalons Kind. Du wirst es nie berühren.«

»Ihr tragt zwei Kinder unter Eurem Herzen, Dame Nandalee«, sagte er kalt. Die Pupillen in seinen himmelblauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Es könnten auch meine Kinder sein.«

Sie wusste, dass er recht hatte. Und doch konnte sie den Gedanken nicht ertragen. Sie war nicht bei Sinnen gewesen, als sie einander geliebt hatten. Der Rauch und der Schmerz hatten sie berauscht, sie von sich selbst entrückt. Er hatte das ausgenutzt. Und was ihr einst der Rotrücken in der Savanne prophezeit hatte, war wahr geworden – sie hatte Gonvalon verraten.

»Wie könnte eine Elfe jemals das Kind einer Himmelsschlange empfangen«, fuhr sie ihn an. »Es sind Gonvalons Kinder. Anders kann es nicht sein.«

»Die Zeit wird es zeigen«, sagte er mit erzwungener Ruhe, und sie konnte spüren, dass es da noch etwas gab, das er ihr nicht verraten wollte.

Hatte er Gonvalon wissend in den Tod geschickt? Obwohl Nachtatem in Elfengestalt vor ihr stand, sah sie nur noch das Ungeheuer in ihm. Und zum ersten Mal konnte sie sich vorstellen, dass sie auch ihn verraten würde.

Epilog

Drei Monde später, im Palast des Unsterblichen Aaron in Akšu

Aaron schob seinen Teller von sich. Er hatte kaum gegessen.

So konnte das nicht weitergehen, dachte Ashot aufgewühlt. Aarons Gesicht war schon ganz schmal geworden, und jedes Mal, wenn er ihn genauer betrachtete, entdeckte er neue weiße Haare im Bart des Unsterblichen.

»Soll ich Euch etwas anderes bringen lassen, Erhabener?«, fragte Mataan, und Ashot sah dem Fischerfürsten an, dass er genauso besorgt war wie er.

»Nein, ich habe keinen Hunger mehr.«

Aaron war erst vor einer Stunde in den Palast zurückgekehrt. Er hatte sich irgendwo auf der Welt mit den anderen Unsterblichen getroffen. Seit dem Brand von Selinunt hielten sie geheim, wann und wo ihre Zusammenkünfte waren. Nicht einmal er, der Hauptmann seiner Leibwache, wusste darum.

Aaron hatte ihm schon nach dem letzten Treffen der Herrscher anvertraut, dass sie wieder begonnen hatten, miteinander um bedeutungslose Kleinigkeiten zu streiten. Ashot wusste, wie verzweifelt sein Herrscher war. Er sah die Welt untergehen und dass er es, sosehr er sich auch dagegen stemmte, nicht verhindern konnte.

»Ihr müsst entschuldigen, wenn das Essen Euch nicht mundet, Herr«, sagte Mataan zerknirscht. »Es hat einen … einen Zwischenfall in der Palastküche gegeben, während Ihr fort wart.«

»Einen Zwischenfall?« Aaron hob gereizt den Kopf. »Reicht es nicht, dass es Zwischenfälle an der Grenze zwischen Drusna und Valesia gibt. Oder dieser kleine Zwischenfall im Beratungszelt der Unsterblichen, als Iwar vergiftet wurde. Jetzt gibt es auch noch Zwischenfälle in meiner Küche. Was zum Henker ist geschehen?«

»Ich wollte Euch damit eigentlich jetzt nicht behelligen, Herr. Ihr solltet vielleicht besser ruhen …«

»Das werde ich nicht! Es wird mir ein Vergnügen sein, wenigstens einmal einen Zwischenfall bereinigen zu können. Wenigstens in meiner Palastküche sollte mir das gelingen, nicht wahr? Also erzählt.«

Ashot sah Mataan beschwörend an. Noch nie hatte er Aaron wegen einer Kleinigkeit so aufgebracht erlebt. Wenn er jetzt ein Urteil sprach, dann würde es kein Recht sein, sondern nur Blutvergießen.

»Also!«, fuhr Aaron den Hofmeister an.

»Eurem Leibkoch Mahut wurde der Arm ausgekugelt. Es wird noch Tage dauern, bis er wieder arbeiten kann.«

»Ihm wurde in der Küche der Arm ausgekugelt? Wie geht das?«

»Es geschah, als er verhindern wollte, dass noch eine weitere Amphore auf dem Kopf Eures Vorkosters zertrümmert wird.«

»Ich habe einen Vorkoster?«

»Mataan und ich dachten, das wäre vielleicht nicht ganz unklug nach dem Ende, das der Unsterbliche Iwar genommen hat«, mischte sich Ashot ein und erntete dafür einen ärgerlichen Blick des Unsterblichen.

»Ich habe also einen Vorkoster, ohne dass ich davon weiß.« Aarons Finger trommelten auf der Lehne seines Stuhls. Das war kein gutes Zeichen, dachte Ashot.

»Über den Vorkoster reden wir später. Jetzt wüsste ich gerne, wer Amphoren auf seinem Kopf zertrümmert hat.«

»Es war die junge Frau, die die Abfälle aus der Küche trägt. Sie hat noch vier weitere Küchengehilfen niedergeschlagen, bevor sie von der Palastwache gefangen gesetzt wurde.«

Aarons Augen funkelten vor Wut, als er sich Ashot zuwandte. »Überall auf der Welt regiert die Unvernunft, und nun werden auch noch Kriege in meiner Küche ausgetragen. Du warst es, Ashot, der mich vor einer Weile gefragt hat, ob diese Kriege nicht endlich einmal aufhören könnten. Warum immer noch eine Schlacht zu schlagen ist. Und nun ist der Unfrieden auch in meinem Haus angekommen. Hat sich schon herumgesprochen, dass ich meine Palastwache aufbieten muss, um ein Küchenmädchen zu bändigen?«

Ashot räusperte sich verlegen. »Das weiß ich nicht, Erhabener.«

»Ich will sie sehen. Sie soll mir in die Augen blicken, wenn ich ihr Urteil verkünde. Sie soll heute noch bestraft werden. Holt sie her!«

Ashot verließ die Gemächer des Unsterblichen und schickte eine Wache, das Küchenmädchen zu holen. Es dauerte nicht lange, bis sie vorgeführt wurde. Sie hatte ein zugeschwollenes Auge und aufgeplatzte Lippen. Beim Gehen hinkte sie leicht, aber sie hielt sich gerade, und das eine Auge, das sie noch aufbekam, genügte ihr, um Ashot einen Blick wie einen Messer-stich zu schenken. Ihr Kleid war zerrissen. Sie hielt es mit der Hand über der linken Brust zusammen. Schamhaft wirkte sie nicht auf ihn.