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Volodi wünschte sich, er würde mehr über Frauen wissen. Wie konnte er Quetzalli die Freude am Leben zurückgeben? Was mochte sie? Würde gutes Essen sie aufmuntern? Bei ihm half es!

Er schlenderte weiter in den Park hinein. Gedankenverloren lauschte er dem Lied der Vögel und wunderte sich über die prächtigen Farben ihres Gefieders. Sie alle schienen einander darin überbieten zu wollen, wer der prächtigste Gaukler in den Lüften war. Volodi dachte zurück an die Sommer in Drus. Wie er zusammen mit seinem Bruder Bozidar auf die Jagd gegangen war. Was er jetzt wohl machte?

So lange hatten sie sich nicht gesehen. Er war der Ältere von ihnen, der Verantwortungsbewusstere. Als die Kämpfe mit Arcumenna, dem Laris von Truria, endeten, war Bozidar heimgekehrt. Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen zu sein. Ob ihr Vater noch lebte? Oder saß sein Bruder nun auf dem schlichten Holzthron im Langhaus ihres Vaters. Er würde gern noch einmal durch die Wälder seiner Heimat streifen. An der Seite seines Bruders. Einen Tag nur … Aber das war nun einmal nicht sein Schicksal. Er würde fern der Heimat sterben. Nicht auf einem Schlachtfeld. Er würde geschlachtet werden wie Vieh.

Volodi hatte einen riesigen Steinquader erreicht, der sich, umringt von blühenden Pfirsichbäumen, inmitten eines Hains erhob. Er genoss den Duft der Blüten und betrachtete das seltsame Monument. Tiefe Linien waren in den schneeweißen Stein geschnitten. Er zeigte einen stilisierten Tierkopf. Jetzt erkannte er ein Auge, einen aufgerissenen Kiefer mit Fangzähnen.

Er umrundete den Quader und sah, dass er sich auf der Frontseite öffnete. Eine Treppe mit weiten Stufen führte in die Erde hinab. Am Rand der Stufen standen in langer Reihe Öllampen, ihre goldenen Flämmchen flackerten in dem warmen Luftzug, der fast einem langen Ausatmen gleich aus der Tiefe der Erde kam.

»Du stehst vor dem Schlangenschlund«, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.

Erschrocken fuhr Volodi herum. Hinter ihm stand ein großer, hagerer Mann, der ein himmelblaues Tuch um seine Lenden geschlungen hatte und ansonsten nackt war. Blondes Haar hing ihm in langen Strähnen bis zur Brust. Aus seinem Bart troff Wasser. Er hatte offene, dunkelbraune Augen, die von Kränzen feiner Fältchen umringt wurden. Volodi schätzte ihn auf älter als dreißig. »Wer bist du?«

»Eirik, ein Auserwählter, so wie du. Ich komme aus dem Seenland im Nordwesten von Drus.«

Volodi stellte sich mit knappen Worten vor. »Du bewegst dich ziemlich leise«, endete er.

»Du warst so tief in Gedanken, dass du nicht einmal einen Auerochsen auf dem Kiesweg gehört hättest. Außerdem musste ich nicht weit gehen.« Eirik deutete über die Schulter zu dem kleinen Teich, an dem Volodi zuvor vorbeigegangen war. »Das Wasser dort ist warm. Manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen kann, komme ich hierher, schwimme und betrachte melancholisch den Sternenhimmel und den letzten Weg, den ich gehen werde.«

Volodi sah mit einem Schaudern zu dem klaffenden Schlangenmaul. Das Portal war mehr als drei Schritt hoch. »Wohin führt der Weg?«

Eirik zuckte mit den Schultern. »Ist das wichtig? Von dort gibt es kein Zurück. Die Zapote reden nicht darüber, was genau uns dort unten erwartet. Aber du hast die Bodenreliefs vor dem Weißen Tor gesehen, oder? Wir werden dort vor ihren Gott treten, vor die Gefiederte Schlange. Dort unten wimmelt es nur so von Adlerkriegern und Jaguarmännern.« Er hielt kurz inne. »Und von dort gibt es keinen Weg zurück. Ich habe gehört, du warst ein großer Krieger. Dort wird es dir nichts nützen.«

Volodi streckte sich und versuchte, selbstsicherer zu wirken, als er sich fühlte. »Ich bin nicht leicht umzubringen.«

»Hier wiegt Glück schwerer als ein starker Schwertarm.«

Volodi hob fragend die Brauen.

»Es wird ausgelost, wen sie als Nächsten zur Gefiederten Schlange bringen. Ich habe seit fast zwei Jahren überlebt. Ich habe zwei Frauen und drei Kinder.« Eirik schenkte ihm ein verzweifeltes Lächeln. »Und keine Zukunft …«

»Du hast Kinder?«

»Sie sind nicht hier. Ich wollte nicht, dass sie im Schatten eines Vaters aufwachsen, der auf seinen Tod wartet. Die Götter waren mir gnädig. Meine beiden kleinen Jungs haben kein blondes Haar. Die Priester haben mir versprochen, dass sie und ihre Mütter ein gutes Leben haben werden. Als Kinder eines Auserwählten könnten sie eines Tages sogar Priester werden.«

In Eiriks Stimme lag eine Trauer, die Volodi die Kehle zuschnürte. Sein Gegenüber war ein gebrochener Mann, der sich hinter einem melancholischen Lächeln versteckte. »Ich komme hier heraus«, sagte er entschieden. »Und ich werde nicht allein gehen.«

»Wenn mir die Götter für jede Gelegenheit, bei der ich einen solchen Spruch gehört habe, einen Tag schenken würden, ich würde ein grauhaariger, glücklicher Mann werden.«

»Du wirst schon sehen, Eirik.«

»Ganz sicher«, entgegnete sein Gegenüber bitter. »Ganz sicher! Schon in zwei Tagen wird wieder ein Auserwählter durch den Schlangenschlund gehen, und in letzter Zeit waren es immer die Neuen, die das Todeslos gezogen haben.«

Das Geschenk der Drachen

Nandalee blickte mit gemischten Gefühlen auf den Kobold, der ihr voraneilte. Das Licht seiner Fackel warf tanzende Schatten auf die Wände des engen Tunnels, dem sie folgten. Sie war nie zuvor in diesem Teil der Pyramide gewesen. Die Stufen führten sie aufwärts! Nicht hinab zu der halb überfluteten Höhle, in der Nachtatem sie sonst erwartete.

Der Kobold hatte sie auf einem Jagdausflug gefunden. Ihre hohen Stiefel waren schlammbespritzt, ihr langes Haar in Unordnung, und über der Schulter trug sie den großen Eibenbogen, der ihr in der Weißen Halle schon so viel Ärger eingebracht hatte.

»Und du weißt ganz sicher nicht, was Nachtatem von mir will?«

»Herrin, ich bin nur der Bote. Bitte vergesst das nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Ihr Euch beeilen sollt.« Der kleine Kerl drehte sich kurz zu ihr um. Sie sah die Angst in seinen großen Augen. »Ich habe die Stimme des Großen Schlingers in meinem Kopf gehört. In meinem Kopf! Er hat noch nie zu mir gesprochen. Ich wusste nicht einmal, dass er weiß, dass es mich gibt.«

»Des Großen Schlingers?«

Dem Kobold fiel beinahe die Fackel aus der Hand. »Was sagt Ihr da? Nennt ihn nicht so, das hasst er!«

»Aber du hast doch gerade …«, wandte Nandalee ein.

»Ich? Niemals! So würde ich den edlen Nachtatem nie nennen. Alle Kobolde ihm Tal verehren ihn wie ihren Vater.«

Der Kleine wusste offenbar vor lauter Angst nicht mehr, was er schwatzt, dachte Nandalee und hakte nicht weiter nach. Der Große Schlinger. Sie hatte noch nie gehört, dass jemand Nachtatem so nannte.

»Hier. Das ist der Ort«, stieß der Kobold ängstlich hervor. Ein zweiter Tunnel kreuzte ihren Weg. »Ihr müsst da entlanggehen.« Ihr Führer deutete auf den Gang, der nach links abzweigte, und hielt ihr die Fackel hin.

»Und du?«, fragte Nandalee überrascht.

»Ich habe diesen Ort in meinem Kopf gesehen … Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Von hier an steht es mir nicht mehr zu, Euch zu begleiten. Das konnte ich ganz deutlich spüren, als mir Nachtatem den Weg zeigte. In meinen Gedanken zeigte … Versteht Ihr, Herrin?« Er sah verzweifelt zu ihr auf und war sich augenscheinlich darüber im Klaren, wie wirr ihr seine Worte erscheinen mussten.

»Ich weiß, wie es ist, wenn die Himmelsschlangen zu einem sprechen. Man fühlt sich erhoben und ist doch zugleich auch voller Angst.« Sie nahm die Fackel und stutzte einen Moment. »Woher kennst du mich? Hat Nachtatem dir auch mein Bild gezeigt? Ich glaube, ich bin dir noch nie zuvor begegnet.«

»Ich bin Skultik, der Seerosenhüter. Ich bin Euch nie begegnet, aber wir alle kennen Euren Namen, Nandalee, und den von Gonvalon. Ihr habt Euch gegen den Goldenen erhoben.« Bei den letzten Worten senkte der Kobold seine Stimme und spähte ängstlich in die Dunkelheit der Tunnel. »Ihr habt viele Freunde im kleinen Volk. Wir mögen Geschichten über Rebellen.« Er grinste verschwörerisch und verschwand ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit des Gangs, durch den sie gekommen waren.