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Labarna musterte ihn abschätzend. Artax war sich bewusst, dass die Arroganz, die aus seiner Antwort sprach, sich eines Tages gegen ihn wenden würde. Er sollte sich nicht angewöhnen, zu zuversichtlich zu sein. Aber Bessos’ Rebellion musste im Keim erstickt werden, bevor sie sich weiter ausbreiten konnte. Jede Stunde war jetzt kostbar. Er winkte seinen Kriegern, die Stellung auf den Hügeln zu verlassen und zu ihm aufzuschließen.

»Dieses Mädchen … es bedeutet dir sehr viel, nicht wahr?«

Geh nicht darauf ein, Artax, warnten ihn die Stimmen Aarons. Das ist kein Mitgefühl. Er sucht nur nach deinen Schwächen.

»Es tut mir leid, was Muwatta dir angetan hat.« Labarna klang überzeugend, fand Artax. Er machte den Eindruck, als ringe er um seine Worte. Er schien im Grunde kein sehr gesprächiger Mann zu sein. Kein Schwätzer und Höfling.

»Es ist nicht meine Art, Kriege zu führen«, fuhr der neue Herrscher Luwiens fort. »Aber versuche nicht, deine Prinzessin zu retten. Du würdest mich zwingen, einen neuen Krieg zu beginnen. Ich will das nicht. Was geschehen ist, ist geschehen. Lass die Vergangenheit ruhen.« Labarna streckte ihm die Hand entgegen. »Auf unseren Frieden!«

Artax brachte es nicht über sich einzuschlagen. Den Verrat an Shaya mit einem Handschlag zu besiegeln war mehr, als er ertragen konnte. Seine Männer waren aufgerückt und zwischen den Kriegern Luwiens hatte sich eine breite Gasse gebildet, durch die sie nach Norden ziehen konnten.

»Stürze nicht wegen einer Frau zwei Königreiche in einen Krieg«, sagte Labarna mit zusammengezogenen Brauen. Er zog seine Hand zurück. »Ich werde kämpfen, wenn du mich zwingst. Und ich werde es besser machen als Muwatta.«

Der Zorn des alten Mannes

»Er wird es tun.«

Bessos blickte auf den gebrechlichen, kleinen Mann in der Sänfte. Das war nicht ganz die Art Verbündeter, die er sich vorgestellt hatte. Er brauchte Feldherren. Männer, die durch ihr Beispiel führten und den Kriegern auf dem Schlachtfeld Mut und Zuversicht gaben. Der Satrap wusste nur zu gut um die Stimmung unter seinen Truppen. Sie alle hatten sein Gold gerne genommen. Aber sie fürchteten sich vor König Geisterschwert. Nun kam es darauf an, dass der alte Mann recht hatte mit seinen Behauptungen.

Bessos blickte nach Norden, wo die Staubwolke in der Abendsonne deutlich zu sehen war. Ein Drittel seiner Streitwagen entfernte sich. Sie zogen Buschwerk hinter sich her, um mehr Staub aufzuwirbeln. Es war derselbe Trick, den Muwatta bei der Schlacht am trockenen Fluss angewandt hatte.

»Ich weiß, was du denkst.« Die Stimme des Greises in der Sänfte war rau und brüchig. Er sprach sehr leise. Bessos musste sich zu ihm hinabbeugen, um ihn verstehen zu können. »Wir können uns auf die Arroganz und Unbeherrschtheit des Unsterblichen Aaron verlassen. Deine Späher haben ja bereits berichtet, dass er uns mit viel zu kleiner Streitmacht nachsetzt. Woran zweifelst du noch? Daran, dass er zweimal auf dieselbe Täuschung hereinfallen könnte? Mein Sohn war einst die rechte Hand des Hohepriesters Abir Ataš. Er hat mir viel über den Unsterblichen erzählt. Er ist ihm oft begegnet.

Was glaubst du, warum Abir Ataš die Macht in die Hände der Priesterschaft legen wollte? Um sich zu bereichern? Er wollte das Königreich vor den Launen unseres Herrschers schützen! Vor allem nachdem der Unsterbliche plötzlich beschlossen hatte, ein Held und großer Krieger zu werden. Hast du von seinem ersten Duell mit Muwatta gehört? Es war in der Goldenen Stadt. Ich glaube, damals hat er begonnen, sich zu verändern.«

Bessos nickte, doch auch er hatte Abir Ataš gut gekannt. Der Priester war in die Macht verliebt gewesen. Edle Beweggründe hatte es für seinen Versuch, dem Unsterblichen einen Teil seiner Macht zu stehlen, ganz gewiss nicht gegeben. Nachdenklich betrachtete er das von tiefen Falten zerfurchte Antlitz des alten Satrapen von Nari. Eleasar war ein Mann, der vor Langem das Lächeln verlernt hatte. Jeder Zoll seines langen Gesichtes verriet das. Er war mürrisch, traurig, nachtragend. Und er war es, der die Fäden gezogen hatte, um ihn zu befreien. Ein goldener Stirnreif umfasste das Haupt des Greises. Sein blütenweißes Haar war noch kräftig. Es war sorgfältig zu Locken gedreht, die ihm bis auf die Schultern reichten. Ein dichter Bart bedeckte den größten Teil der schmalen, eingefallenen Brust des Herrschers von Nari, in dessen grauen Augen eine zornige Lebenslust strahlte, die so gar nicht zu seinem hinfälligen Leib passen wollte. Er war einer von nur zwei Satrapen im Reich, der zugleich auch das Amt des Hohepriesters in seiner Provinz innehatte. Bessos hatte Respekt vor dieser Leistung. Er wusste nicht, was Eleasar zuerst gewesen war, Priesterfürst oder Satrap. Aber beide Ämter miteinander zu verbinden, hieß, die vollkommene Macht in Nari in Händen zu halten. Hätte er nur drei oder vier ähnlich mächtige Männer auf seiner Seite, der Untergang des Unsterblichen Aaron wäre gewiss!

Bessos blickte über die Reihen der Bogenschützen, die auf den von der Karawanenstraße abgewandten Seiten der Hügel Stellung bezogen hatten. Wie durch den Mund eines riesigen Trichters lief der staubige Weg durch ein weites Halbrund hoher Grabhügel, die von Stelen gekrönt wurden, die verwitterte, bärtige Gesichter zeigten. Niemand wusste zu sagen, wie alt diese Gräber waren und welche Fürsten man hier einst bestattet hatte. Jetzt lieferte ihnen das Gelände gute Deckung. Und es erlaubte, dass fast tausend Bogenschützen und mehr als dreihundert Schleuderer ihre Geschosse auf einen einzigen Punkt richten konnten: die Spitze der Feindeskolonne, die nun am Horizont sichtbar wurde.

Bessos spürte, wie sich sein Magen beim fernen Funkeln von Helmen und Speerspitzen zusammenzog.

»Er wird an der Spitze reiten, und wir werden ihn töten.« Die Stimme des Alten war kaum noch zu verstehen.

»Warum hasst du ihn so sehr?«

»Er hat meinen Sohn ermorden lassen. Meinen Sohn, der immer nur ein Träumer war. Wie ich schon sagte, er war ein ranghoher Priester. Die rechte Hand von Abit Ataš. Als er noch ein Kind war, hat ihm einer meiner Schiffsführer mit einer Geschichte den Kopf verdreht. Von da an träumte er davon, ein Geschöpf aus einer anderen Welt zu treffen. Eine jener Daimonenfrauen, die so schön sind, dass allein sie zu sehen die Seele verbrennt. Mein Barnaba wollte nie den harten Sitz eines Fürsten einnehmen. Er hing seinen Träumen nach …« Die Stimme des Alten brach. »Und nun ist er tot. Verscharrt in irgendeinem namenlosen Grab. Wie so viele andere Priester. Ich … ich werde niemals von ihm Abschied nehmen können.«

In der sich nähernden Staubwolke tauchten erste Schemen auf. Streitwagen bildeten die Spitze des kleinen Heers des Unsterblichen. Aber würde er seine Männer anführen? Früher war er nicht so gewesen. Eleasar hatte schon recht. Aaron hatte sich verändert. Diese Dummheit, an mittellose Bauern Land zu verschenken, würde alle Mächtigen des Reiches gegen ihn aufbringen. Vielleicht hatten sie mit ihrer Rebellion zu früh begonnen. Bessos ballte seine Hände zu Fäusten, damit Eleasar nicht sehen konnte, dass sie zitterten. So gebrechlich der Alte auch war, er zeigte eine Entschlossenheit in dieser Sache, um die er ihn beneidete.

»Und du bist sicher, dass wir ihn töten können?«

Der Alte sah ihn mit seinen zornigen, grauen Augen fest an. »Išta hat Muwatta getötet. Ich war nicht dort, aber man hat es mir berichtet. Alle konnten sehen, dass die Unsterblichen genauso sterblich sein können wie wir.«

»Wenn eine Göttin das Schwert führt«, wandte Bessos beklommen ein. »Eine Göttin, Eleasar. Sie hat die Welt erschaffen. Wir können uns nicht mit ihr vergleichen.« Er hätte nicht fliehen dürfen, dachte Bessos bei sich. Er hatte nur auf der richtigen Seite stehen wollen, deshalb hatte er Aaron in der Schlacht verraten. Wer hätte ahnen können, dass das Bauernheer siegte! Vielleicht hätte der Unsterbliche ihm diesen Verrat verziehen. Doch seine Flucht nun … Das war unverzeihlich. Wenn der Alte sich irrte, dann war er tot.