Der glatzköpfige Haussklave nahm atemlos vor ihm Aufstellung. »Nun sind sie alle hier, Herr«, stieß er keuchend hervor. »Wir sind neunzehn. Acht davon sind Sänftenträger, aber sie verrichten auch andere Dienste.«
Kolja musterte die muskulösen Männer der Reihe nach, zwickte einigen in die Arme und Beine und betrachtete ihr Gebiss. Die Sklaven schienen in guter gesundheitlicher Verfassung zu sein. Auch hielten sie demütig den Blick gesenkt.
»Ihr gehört nun alle dem Unsterblichen Aaron. Gemeinsam mit dem Haus seid ihr nun in den Besitz des Palastes von Akšu gelangt. Und ich verwalte dieses Anwesen. Ab morgen wird es einer Dame zur Verfügung stehen, die einen wichtigen Dienst für Aram leistet. Ich erwarte, dass ihr eurer neuen Herrin jeden Wunsch von den Lippen ablest. Darüber, welche Gäste in diesem Haus verkehren, werdet ihr außerhalb dieser Mauern Stillschweigen bewahren. Ich hoffe, wir haben uns verstanden!« Dann bohrte er einen Finger in die Brust des Kahlkopfes. »Du wirst dieses Haus von nun an leiten. Und wenn etwas nicht zu meiner Zufriedenheit erledigt wird, werde ich dich zur Verantwortung ziehen. Und jetzt sag mir, zu welcher Tageszeit der Garten am schönsten aussieht.«
»Eine Stunde vor Mittag, Herr, wenn das Licht die Farben aller Blüten zur vollen Geltung bringt.«
Kolja wandte sich zu Eurylochos um. »Eine Stunde vor Mittag wirst du die Seidene hierherbringen, und ich werde sie zum glücklichsten Weib in der ganzen Stadt machen.«
Katzenmänner
»Es dauerte Tage, bis ich jemanden fand, der Volodi gesehen hatte. Es waren zwei Weiber, nicht sehr vertrauenswürdig – Leichenfledderinnen in den Tagen nach der Schlacht, und Marketenderinnen, wenn die Tage des großen Sterbens vorüber sind. Sie hatten ihn gesehen, als er zum Lagerplatz der Katzenmänner ging, so drückten sie sich aus, und schlugen sogleich das Zeichen des schützenden Horns. Obgleich die Menschenkinder keinerlei Zaubermacht besitzen, sind fast alle von ihnen fest davon überzeugt, dass bestimmte Rituale, Symbole oder Flüche das Schicksal zu ihren Gunsten verändern können. Damals belächelte ich das nur. Ich war jung und fühlte mich trotz all dem, was ich auf dem Schlachtfeld gesehen hatte, unbesiegbar. Ein Wahn, von dem ich bald geheilt werden sollte.
Die beiden Marketenderinnen waren sich ganz sicher, dass Volodi von den Katzenmännern nicht zurückgekommen war. Sie hatten bis zum Morgengrauen auf einem Hügel gearbeitet, von dem aus sie einen Blick auf das Lager hatten. Es war ein Hügel voller Leichen, die noch niemand berührt hatte. Vielleicht weil die Katzenmänner so nahe lagerten.
Sosehr ich auch suchte, es gab niemanden, der Volodi danach noch einmal gesehen hatte. Er schien bei den Katzenmännern geblieben zu sein. Er hatte von ihnen immer mit einer Mischung aus Abscheu und Respekt gesprochen. Ihm war auch klar, dass sie die Schlacht gerettet hatten, als er versagt hatte und auf das Täuschungsmanöver Muwattas hereingefallen war. Aber dass er deshalb mit ihnen gehen sollte, ergab für mich keinen Sinn.
Ich entschied, dass ich zu wenig über den Mann wusste, dessen Wagenlenker ich gewesen war, und begab mich an jene Stätte des Jammers, an der die Menschenkinder ihre Verwundeten versorgten. Man muss das Elend gesehen haben, das dort herrscht. Jede Koboldhöhle ist sauberer als diese Verbandsplätze. Ich musste mich beherrschen, um sie in ihrem Unverstand nicht zurechtzuweisen und sie zu lehren, wie Wunden zu versorgen sind, wie man ein Fieber behandelt und wie bedeutsam sauberes Wasser ist. Es sind Orte zum Sterben, diese Verbandsplätze. Es ergeht den Verwundeten dort kaum besser als auf dem Schlachtfeld, nur dass ihnen hier, wenn sie Glück haben, einer zur Seite sitzt, wenn es ans Ende geht.
An diesem Sammelplatz künftiger Leichen fand ich zwei Drusnier, die in ihrer Einsamkeit und vom Fieber geschüttelt sehr gesprächig waren. Beide hatten zu den Zinnernen gehört, und sie erzählten mir von ihren Schlachten. Davon, wie der Unsterbliche Aaron, König Geisterschwert, wie sie ihn nennen, sie auf der Insel Kyrna aufgespürt und sie dazu gezwungen hatte, ihm zu Diensten zu sein. Wie sie die verborgenen Eisenhütten der Luwier gefunden und ihre Schmiede entführt hatten. Sie behaupteten, auf Nangog reiche Männer zu sein, und bedauerten, dass sie nicht den Tod sterben würden, den Kolja ihnen versprochen hatte – in einem schönen Bett, mit einem hübschen Mädchen an ihrer Seite. Sie waren sehr redselig. Erzählten von den Freudenhäusern, die ihnen gehörten, und von Volodi, den sie zwar bewunderten, der aber keinen Sinn für Geschäfte hatte und einen mörderischen Streit mit den Zapote heraufbeschworen hatte. Ich werde hier nicht von all den grausamen Einzelheiten berichten, die sie mir über den Tod eines Freundes namens Atmos erzählten. Die Menschenkinder sind Barbaren, und ich fürchte, sie werden es immer bleiben. Jedenfalls waren sich beide Männer darin einig, dass Volodi den Streit heraufbeschworen hatte, weil er ins Bett einer Zapotepriesterin gestiegen war. Und das, obwohl er unter den Weibern in einem halben Dutzend Freudenhäusern hätte wählen können.
Sie erzählten auch viel über das verwunschene Nangog, und es war nicht allein das Fieber, das ihre Augen glänzen ließ, als sie von fliegenden Schiffen und Höhlen voller Smaragde schwärmten. Von all den Möglichkeiten, dort ein neues Leben zu beginnen. Ich muss gestehen, ich erlag der Versuchung und habe einen Zauber gewirkt, der ihr Fieber senkte und das Gift aus ihrem Blut sog. Sie waren keine guten Männer, und in späteren Jahren habe ich mich manchmal gefragt, ob vielleicht andere, bessere Männer hatten sterben müssen, weil ich diese beiden gerettet hatte. An jenem Nachmittag aber war ich den beiden so dankbar, dass ich daran keinen Gedanken verschwendete. Sie hatten mir den Weg nach Nangog gewiesen. Ich wusste nun, dass ich bei den Zapote suchen musste, denn so gut kannte ich den Menschensohn, dessen Wagenlenker ich gewesen war, dann doch.
Er hatte diese Priesterin ganz gewiss nicht vergessen. Sie war der Schlüssel zu allem.
So reihte ich mich in den langen Zug der Verzweifelten und der Glücksritter ein, die den Weg über den Abgrund zwischen den Welten nahmen, um ins verwunschene Nangog zu gelangen. Hätte ich geahnt, was mich dort erwartete, ich wäre nach Albenmark geflohen, denn Nangog sollte mir meinen jugendlichen Hochmut nehmen und noch weit mehr (…)«
Ein Krug voller Steine
Noch vor einer Woche hätte Volodi niemals geglaubt, dass es ihn glücklich machen könnte, einer Frau einfach nur beim Essen zuzusehen. Denn viel mehr tat Quetzalli nicht. Sie aß und schlief. Und wenn er Glück hatte, schenkte sie ihm manchmal einen Blick, in dem keine Angst mehr lag. Doch das war selten. Sie blieb stets auf der Hut, bereit, sich mit einem Satz in Sicherheit zu bringen. Es war, als würde man einem ausgehungerten Wolf beim Fressen zusehen. Seit drei Tagen ging das nun schon so.
»Ich werde ein wenig rausgehen. Ich bin bald wieder zurück.« Bei den letzten Worten saß ihm ein Kloß im Hals. Er käme zurück, wenn die Götter ihm an diesem Morgen gnädig gestimmt waren. Natürlich verstand Quetzalli nicht, was er sagte, sie beherrschte seine Sprache nicht. Aber er konnte nicht einfach gehen, ohne ein Wort zu sagen. Das erschien ihm falsch. Selbst wenn seine Worte Lügen waren.
Als er schon die ersten Treppenstufen hinabgestiegen war, hielt er noch einmal inne und drehte sich um: Sie sah zu ihm auf. Ihr Blick wirkte diesmal nicht gehetzt. Ob sie wusste, was heute für ein Tag war? Eher nicht. Sie schien jedes Zeitgefühl verloren zu haben, wachte mitten in der Nacht hungrig auf und verschlief dann halbe Tage. Es war besser so. Er winkte ihr und schenkte ihr ein Lächeln. Sie sah ihn weiter einfach nur an, aus Augen, die zu Abgründen einer verlorenen Seele geworden waren.