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Nandalees Stimme riss sie aus ihren melancholischen Gedanken. »Sie kommen uns holen«, sagte sie und wies auf das Schiff, das nun Kurs auf die Anlegestelle nahm.

Bidayns Blick ging zu ihren Gefährten. Nodon trat als Erster neben Nandalee an den Rand der Anlegestelle. Er hatte während der Zeit des Wartens den Schlamm von seinen aufgeweichten Stiefeln gekratzt und seine Kleider in Ordnung gebracht. Er sah von ihnen allen am ordentlichsten aus. Lyvianne hingegen war verschmutzt, strahlte aber etwas aus, als könne aller Unrat dieser Welt ihr nichts anhaben. Man blickte in ihr Gesicht, in ihre grünen Augen, die so viel gesehen hatten, und vergaß alles andere. Ganz anders ihre Anführerin, Nandalee. Sie war jemand, zu dem Schmutz einfach passte. Bidayn musste schmunzeln. Ihre Freundin, der sie sich nun so fern fühlte, wirkte befremdlich, wenn sie gekämmt und zu sauber war. Sie kam aus der Wildnis, das würde man ihr immer anmerken, selbst wenn sie einmal ein Kleid für einen Hofball anlegen sollte – was in ihrem Leben bisher noch nie geschehen war.

Gerade trat sie zu Gonvalon und legte ihm eine Hand auf die Schulter, als Zeichen, sich bereitzumachen. Als er zu ihr aufsah, musste Bidayn schlucken. Sie beneidete Nandalee um den Blick, den er ihr schenkte. Ein Blick, der mehr sagte als tausend Worte! Die beiden hatten ihre Seelen geschaut.

Der Schwertmeister wischte seinen Dolch an seinen Stiefeln ab und löschte das Feuer. Als er aufstand, legte er Nandalee den Arm um die Hüfte, zog sie zu sich heran und küsste sie. Es war keine affektierte Geste. Kein Kuss, der ihnen, den anderen, etwas beweisen sollte. Im Gegenteil, man sah den beiden an, dass sie in diesem Augenblick alles um sich vergessen hatten. Sie waren ganz mit sich allein, und hätten sie inmitten von tausend Gaffern gestanden, es hätte sie nicht berührt.

Bidayn wandte sich ab. Sie würde keinen Kuss von jemandem haben wollen, über dessen Lippen ein Grüner Geist gekrochen war, dachte sie und wusste es doch besser. Jeder Grund, das herabzuwürdigen, was die beiden hatten, war ihr nur zu willkommen. Sie sah an sich hinab, auf ihre verdreckte, noch feuchte Kleidung. Sie trug Hosen, obwohl sie wusste, dass dies unter den Menschenkindern allenfalls Ischkuzaia-Frauen taten. Und sie hatte Handschuhe an, was bei der schwülen Hitze hier ganz gewiss niemand außer ihr tat. Aber sie wollte ihre Narben verstecken. Und so achtete sie darauf, dass ihr Gesicht stets schmutzig und im Halbschatten ihrer Kapuze verborgen blieb. Eines Tages würde sie die Zaubermacht besitzen, ihr altes Aussehen zurückzuerlangen … oder sich einen anderen Körper zu stehlen.

Auf Letzteres war sie in Gesprächen mit Lyvianne gekommen. Es war ihre Idee gewesen, doch Lyvianne war es, die ihr verraten hatte, dass ihr die dunkleren Pfade der Magie – hätte sie den Mut, sie zu beschreiten – gewiss einen solchen Zauber offenbaren würden.

Das Schiff war nun so nahe, dass Bidayn mehr Einzelheiten erkennen konnte. Unter einem Deck auf Stelzen kauerten Ruderer in einem Unterdeck. Die Schiffswände waren mit roter Farbe gestrichen, auf die in Weiß springende Delfine gemalt waren. Zwei große Augen aus Emaille schmückten den Rumpf. Am Heck, unter einem Baldachin, stand eine Frau, ebenfalls ganz in Rot, der Dienerinnen mit breiten Federfächern frische Luft zuwedelten. Dicht vor ihr lehnte ein Mann mit fast hüftlangem Haar auf dem Steuerruder des Schiffs. Sein Leib war braun gebrannt und muskulös. Ein wenig klein kam er Bidayn vor, aber er sah auf barbarische Art gut aus. Vielleicht weil er im Gegensatz zu allen anderen Männern an Bord keinen Bart trug.

Mit einem dumpfen Geräusch, als Holz auf Holz stieß, legte das Schiff an. Ein Jüngling sprang auf den Steg und schlang ein Tau um einen der hölzernen Poller. Eine breite Planke wurde ausgelegt, und die Dame in Rot winkte ihnen zu.

Nandalee ging als Erste an Bord. Leichtfüßig überquerte sie die Laufplanke und trat vor den Baldachin. »Ich danke Euch für die Gunst, uns unseren Weg zur Goldenen Stadt zu erleichtern. Nach langen Wochen im Wald ist es eine Gnade, das letzte Stück der Reise auf einem Schiff zu vollenden.«

»Ich bin neugierig, den Bericht eurer Reise zu hören, und es liegt ganz in meinem Interesse, euren Weg abzukürzen und euch früher lauschen zu können«, entgegnete ihre Gastgeberin höflich, ja fast herzlich. Sie war eine gute Lügnerin! Gewiss glaubten die arglosen Menschenkinder an Bord jedes ihrer Worte. Und doch, so wusste Bidayn es von Nandalee, war die Dame in Rot nicht mehr als eine Botin, gesandt von Nanog, um sie über den Großen Fluss zu geleiten. Kaum waren Bidayn und die anderen Nandalee an Bord gefolgt, wurden die Leinen gelöst, und als sie die Mitte des Stroms erreichten, setzten die Schiffer ein großes, rechteckiges Segel, das mit breiten aufgenähten Tauen verstärkt war.

So wie das Schiff, war auch das Segel rot, und ein Rad schlagender Pfau war in leuchtender Farbe darauf gemalt.

Aus gesenkten Lidern betrachtete Bidayn die Frau, die sie aus dem Sumpf gerettet hatte. Auch sie schien Angst zu haben, ihre Haut zu zeigen. Sie war ganz und gar verhüllt, doch waren ihre Beweggründe sicherlich andere, dessen war sich die Elfe sicher. Die Menschentochter war schlank und wohlproportioniert. Ein Gazeschleier ließ edle Gesichtszüge erahnen, auch wenn Bidayn lediglich mit dunkler Farbe umrandete Augen erkennen konnte. Unter weit geschnittenen Seidenärmeln lugten zierliche Handgelenke hervor, die silberne Kettchen mit kleinen Glöckchen schmückten. Auch um die Knöchel trug sie ähnlich Ketten, sodass jede ihrer Bewegungen von leisem Läuten begleitet wurde.

Die Dame verströmte einen angenehmen Rosenduft. Sie war aber die Einzige unter den Menschenkindern, die gut roch. Die Ruderer, die dank des aufgezogenen Segels nun rasten durften, stanken nach Schweiß und säuerlichem Wein. Sie beäugten die zugestiegenen Passagiere neugierig, wagten es aber nicht, einen der seltsamen Gäste ihrer Herrin anzusprechen.

Bidayn trat an den Bug. Der Horizont war immer noch eine konturlose blaue Wand.

»Sehr ungewöhnlich, drei Frauen aus dem Flusswald kommen zu sehen.« Der bartlose Steuermann war an ihre Seite getreten. Bidayn warf einen raschen Blick zum Baldachin. Ein anderer Seemann hatte das Ruder übernommen. Ihre Gefährten kauerten im Heck und dösten. Nur Nodon beobachtete sie und den Menschensohn an ihrer Seite misstrauisch.

»So selten wie Frauen auf Nangog sind, sollten sie nicht den Gefahren des Waldes ausgesetzt werden.« Er lächelte herausfordernd. »Selbst dann nicht, wenn sie allesamt Waffen unter ihren Gewändern verbergen.« Der Steuermann sprach mit einem so harten Akzent, dass es Bidayn schwerfiel, seinen Worten zu folgen.

»Was ist verwunderlich daran, wenn eine ungewöhnliche Herrin eine ganz besondere Dienerschaft um sich schart? Als einziger Mann ohne Bart passt auch Ihr hervorragend in das ungewöhnliche Gefolge unserer Herrin.«

Der Seemann runzelte die Stirn. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich ein Diener der Seidenen bin? Diese Prunkgaleere gehört Arcumenna, dem Laris von Truria, dem vom Unsterblichen Ansur von Valesia als Lohn für seine Siege über die räuberischen Drusnier die Statthalterschaft auf Nangog verliehen wurde. Da die Seidene sehr hoch in der Gunst meines Herren steht, hat Arcumenna uns für diesen Tag ihrem Befehl unterstellt.« Der Steuermann sah sie forschend an. »Mir scheint, Ihr seid über das Gefolge der Seidenen nicht sehr gut unterrichtet.«

Bidayn ging auf, dass sie dabei war, das ohnehin nur fadenscheinige Lügengespinst um ihre Herkunft und die Verbindung zu dieser Dame in Rot zu ruinieren. »Verzeiht, meine Herrin hat so viele Sklaven … Ich hoffe, ich habe Euch nicht beleidigt? Mögt Ihr mir nicht Euren Namen nennen?«