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Bidayn legte den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel hinauf. Ihr Blick suchte Ruhe, sehnte sich nach freier Weite und wollte dem unbeschreiblichen Gewimmel dieser vor Leben überquellenden Stadt entfliehen. Doch selbst der Himmel war nicht leer. Scharen von Möwen kreisten kreischend über den Häusern. Wolkensammler zogen träge zu Ankerplätzen weiter oben am Hang. Eine Gruppe von Kriegern in grellroten Hosen hing in Fluggeschirren unter kleineren dieser abscheulichen Ausgeburten des Himmels. Tentakel hatten sich um die Leiber der Krieger geschlungen. Bidayn sah zähes Gallert auf Bronzepanzern schimmern, während die kleineren Wolkensammler, an Leinen gezogen, einem Himmelsschiff hinterherschwebten.

Schließlich erreichten sie eine Marmortreppe, die bis zum Wasser hinabreichte. Schmutzig grüner Schleim benetzte die untersten Stufen. Krieger in Bronzerüstungen mit langen roten Umhängen erwarteten sie. Bidayn spürte, wie Nodon sich neben ihr anspannte. Sie ahnte, dass er in Gedanken einen Kampf gegen die Wachen ausfocht und einen möglichen Fluchtweg ersann, sollte sich das hier als Falle entpuppen. Die wenigen Krieger würden sie nicht aufhalten, dachte die junge Elfe. Es war die Stadt, die ihr Angst machte. Sie war so unglaublich groß … Sie waren nur fünf, um einen Ort zu erreichen, der selbst der Göttin Nangog verwehrt blieb, und nur Nandalee wusste, was sie dort wollten. Es war, als würde eine Ameise einen Drachen herausfordern.

Das einzig Gute war, dass sie so winzig waren, dass der Drache sie nicht einmal bemerken würde. Die Stadt war so voller Menschen, dass fünf Fremde kaum auffallen würden. Die andere Seite war, dass der Drache sie aus Versehen zerquetschen könnte, ohne jemals bemerkt zu haben, dass er sich mit einer Ameise im Krieg befunden hatte.

Halteleinen wurden an goldenen Ringen in der Kaimauer festgezurrt. Die Laufplanke schlug hart auf die marmornen Treppenstufen. Die Seidene winkte ihnen. »Folgt mir in mein Stadthaus. Ihr werdet sehen, es gibt keinen sichereren und friedvolleren Ort in dieser Stadt.«

Die Burg in den Wolken

Artax musste sich beherrschen, um sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Vor ihm lag die Burg auf einer Felsnadel, und es war genau so, wie der Jäger aus den Bergen gesagt hatte: Nur eine schmale, steinerne Brücke führte zu der Festungsanlage. In der Mitte jener Brücke klaffte eine Lücke, wo es zuvor einen hölzernen Steg gegeben haben musste. Es waren zwar nur fünf oder sechs Schritt, aber zu weit, um zu springen.

Die nächste Schwierigkeit war, dass es am Ende der Brücke nur ein winziges Tor ins Innere der Burg gab. Die Schwelle war so hoch, dass man darüber hinwegsteigen musste, und der Sturz der Tür so niedrig, dass jeder Eindringling sich gleichzeitig auch noch vorbeugen müsste. Fremde Erinnerungen kamen in Artax hoch. Ein Festungsbaumeister hatte einem der früheren Aarons einmal erläutert, was es mit solchen Türen auf sich hatte. Wer sie durchschritt, war durch seine geduckte Haltung fast wehrlos. Selbst ein Stallbursche könnte eine solche Tür mit Leichtigkeit verteidigen. Es genügte, jedem Eindringling eine Axt in den ungeschützten Nacken zu schlagen.

Selbst wenn sie also die Lücke in der Brücke schlossen, könnten sie diese Festung nicht erobern. Wer diese Tür zu durchqueren versuchte, der betrat seinen Richtplatz.

Hinter den Zinnen des schroff aufragenden Torturms war ein einzelner, graubärtiger Krieger zu sehen, der sie aufmerksam beobachtete. Sonst schien alles verwaist. Artax bezweifelte, dass sich in der kleinen Festung mehr als fünfzig oder sechzig Mann unterbringen ließen. Hinter dem Torturm, der den Vorsprung überragte, der sich aus der Flanke der Felsnadel schob, gab es nur einen kleinen Hof. Rechts und links des Turms erhoben sich kurze, von Zinnen gekrönte Mauern. Auf der rechten Seite war ein einzelnes, wuchtiges Haus mit flachem Dach, das ebenso massiv wie der Turm aussah, Bestandteil der Schutzmauer.

Es war ein ärmlicher Herrschersitz ohne jeden Luxus, einzig erbaut, um unbezwingbar zu sein. Bis jetzt! Er würde sich von diesem Ort und seiner Geschichte nicht abschrecken lassen und die Verräter zur Rechenschaft ziehen. Er musste es zu Ende bringen, bevor die Rebellion weitere Anhänger fand.

Der Unsterbliche wandte sich zu Ashot und Mataan um, die ihn beim Aufstieg begleitet hatten. »Irgendwelche Vorschläge, wie wir diesen Steinhaufen stürmen?«

»Wir stürzen von unseren Kriegern so viele in den Abgrund, bis wir auf ihren Leichen einen Belagerungsturm hinüberschieben können«, entgegnete Ashot düster. »Dieser Steinhaufen ist noch nie erobert worden. Hier erwartet uns kein Sieg, nur der Tod. Wir sollten den einzigen Pfad, der hier hinaufführt, zerstören und die Verräter sich selbst überlassen. Sie sind es nicht wert, dass auch nur ein einziger von unseren Männern stirbt.«

Mataan nickte zustimmend. »Ausnahmsweise bin ich Ashots Meinung. Du hast ein Reich zu ordnen und ein Versprechen einzulösen, das dich an den Rand eines Bürgerkriegs führen wird.«

»Dort drüben in diesem Steinhaufen liegt die Saat für den Bürgerkrieg. Wir müssen sie im Keim ersticken, wenn wir weiteres Blutvergießen verhindern wollen«, entgegnete Artax verbittert. Auch er wollte nicht auf diesem Felsen kämpfen, aber er würde es zu Ende bringen.

»Wir könnten den Männern in der Festung freies Geleit anbieten. Allen außer Bessos natürlich«, schlug Mataan vor.

»Unsinn«, zischte Ashot. »Die Feiglinge haben Bessos schon unten am Adlerpass verlassen. Die Männer, die jetzt noch bei ihm sind, sind bereit, mit ihm in den Tod zu gehen. Die kannst du nicht bestechen.«

»Das sehe ich auch so«, sagte Artax und wandte sich an den hageren Rotbart und dessen jungen Gefährten, die ihrem Gespräch bisher schweigend zugehört hatten. »Ihr habt uns hierhergebracht und kennt die Berge gut. Ist es möglich, die Rückseite der Felsnadel zu erklimmen, ohne dass jemand in der Burg bemerkt, dass wir kommen?«

»Auf diesen Fels klettern nicht einmal Ziegen, Unsterblicher.«

»Ich hatte auch nicht vor, an der Spitze von Ziegen in die Schlacht zu ziehen.« Kaum dass die Worte über seine Lippen waren, bedauerte Artax ihre Schärfe.

»Dabei bin ich schon Ziegen begegnet, die klüger als Könige sind«, gab der Rotbärtige ungerührt zurück.

Artax hörte Ashot hinter sich lachen. Er hatte sich diese Antwort verdient und entschied, die Beleidigung zu übergehen, obwohl die Stimmen der vergangenen Aarons in seinem Geiste rebellierten. »Kennst du ein paar mutige Männer, die sich mit Seilen und Dolchen die Steilwand hinaufwagen?«

»Das hat nichts mit Mut zu tun, Unsterblicher. Um diesen Weg zu nehmen, muss man verrückt sein.«

»Ich brauche fünfzig Mann, das wird genügen, um die Burg zu stürmen, wenn wir erst einmal auf der Spitze der Felsnadel sind«, beharrte Artax. »Ich selbst werde sie führen.«

»Ihr werdet hundert brauchen, denn die Hälfte der Männer wird in den Tod stürzen, bevor ihr die Felsen über dem Steinhorst erreicht«, entgegenete der Jäger und sah Artax dabei direkt in die Augen. »Nicht so Ihr. Ihr seid ja unsterblich. Ihr setzt Euch also nicht derselben Gefahr aus wie die Männer … auch wenn es nobel ist, wenn Ihr sie anführt.«

Wie lange willst du dich von diesem stinkenden Hirten noch beleidigen lassen? Glaubst du, du wirst jemals ein Herrscher sein, wenn dich jeder ungewaschene Hinterwäldler ungestraft beleidigen kann? Du hältst Bessos für eine Gefahr? Der Dummkopf ist ein Nichts. Eine Gefahr ist der Kerl, der da vor dir steht und keinerlei Respekt zeigt!

»Dann such mir hundert Männer, und nenne mir deinen Namen.«

»Ormu, Herr. Ich bitte Euch, erlasst mir diese Aufgabe. Ich würde mich wie ein Scharfrichter fühlen.«

»Ich gehe mit Euch, Unsterblicher!« Mit leuchtenden Augen drängte sich plötzlich der junge Gefährte des Jägers nach vorne. »Wer diesen Fels an Eurer Seite ersteigt, dessen Name wird ebenfalls unsterblich werden. Ich folge Euch, König Geisterschwert.«