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Bamiyan blickte zu ihm herauf. Sein Gesicht war völlig mit Blut verschmiert und doch grinste er. Sie hatten es geschafft!

Mit einem scharfen, metallischen Pling brach der Dolch direkt über dem Heft. Bamiyan stürzte erneut ins Seil. Der plötzliche Ruck riss Artax fast von den Beinen. Ein weiteres Stück des Simses gab unter den Füßen des Unsterblichen nach. Mit einer schier ungeheuerlichen Kraftanstrengung streckte er die Hand nach dem Dolch, den Bamiyan über ihm in den Fels geschlagen hatte. Und tatsächlich – seine Finger schlossen sich um den Griff. Er spannte die Muskeln.

Es war aussichtslos. Er konnte sie nicht beide mit nur einem Arm hinaufziehen. Und gewiss würde die spröde Bronzeklinge nicht ihr beider Gewicht halten. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Bamiyan sein Kurzschwert zückte. Er führte die Bronzeklinge über das Hanfseil. Es war nicht sehr scharf. Faser um Faser durchtrennte er das Seil. Dabei stützte er sich mit den Füßen am Fels ab, um Artax möglichst wenig zu belasten.

Der Knebel in Artax’ Mund erstickte seinen Protest. Der Unsterbliche schüttelte heftig den Kopf, doch Bamiyan ignorierte ihn. Dann riss das Seil. Der Junge versuchte sich noch im letzten Augenblick mit den Beinen vom Fels abzustoßen und sich möglichst weit in den Abgrund hinauszukatapultieren, um die Kletterer, die tiefer unter ihnen folgten, nicht zu gefährden.

Artax standen Tränen in den Augen. Er sah Bamiyan nach, wie er mit weit ausgebreiteten Armen stürzte, auf einen Felsvorsprung schlug, weiter rollte und erneut stürzte, bis sein Körper in der Tiefe verschwand.

Der Junge hatte sein Leben für ihn geopfert, er musste weitermachen! Alleine konnte er sich an dem Dolch, den Bamiyan zuletzt eingeschlagen hatte, hochziehen. Seine Füße tasteten nach Halt. Zoll um Zoll zog er sich voran. Dann fand er mehr Griffe. Der Aufstieg wurde leichter.

Endlich erreichte er die Spitze der Felsnadel und löste den Knebel aus seinem Mund. Keuchend lag er auf dem Fels und sah, wie die Sonne im Westen hinter dem Adlerpass stand. Fast den ganzen Tag hatte er mit diesem verfluchten Felsen gerungen. Er sah sich um: Von den hundertzwanzig Männern, die den Aufstieg mit ihm begonnen hatten, waren bislang nur etwa zwanzig angekommen. Wie er lagen die meisten erschöpft und schweigend auf dem kalten Steinboden. Erschrocken schob sich Artax an den Rand der Felsnadel. Nein, sie waren nicht die einzigen Überlebenden! Viele Männer kämpften noch immer mit der Steilwand.

Nun erreichte auch Mataan den Gipfel. Er wirkte abgekämpft. Sein linker Arm war von der Schulter bis zum Ellenbogen aufgeschürft. Ormu, mit dem der Fischerfürst an einem Seil geklettert war, hatte eine Platzwunde über der rechten Braue. Der Jäger sah Artax finster an, spuckte seinen Knebel aus und zog das Schwert, das er an einem Gurt über der Schulter trug. »Bringen wir es zu Ende! Sehen wir uns die Burg von hier oben an. Dann entscheidet Ihr, Unsterblicher, wie die Schlacht zu schlagen ist.«

Zu dritt robbten sie zum westlichen Rand der Felsnadel. Etwa zehn Schritt unter ihnen lag der Hof der kleinen Festung. Nur drei Krieger zeigten sich auf dem Torturm und den Wällen. Das hölzerne Mittelstück der Brücke lehnte neben dem Tor an der Innenseite der Mauer. Jenseits der Steinbrücke sah Artax die Feldzeichen seiner Krieger im Abendlicht glänzen. Er hatte dreihundert Mann zum schmalen Pfad vor der Festung beordert. Sie dienten zur Ablenkung. Zersplitterte Pfeile im Hof der Festung und Dutzende Schleudersteine zeugten davon, dass sie die Rebellen den Tag über beschäftigt gehalten hatten. Niemand in der Burg blickte zur Felsnadel hinauf, die sich über den Festungsmauern erhob. Keiner war je auf diesem Weg hierhergekommen.

Artax warf einen Blick über die Schulter. Ashot hatte den Gipfel mit einem Dutzend weiterer Männer erreicht. Sie waren stark genug für einen Angriff!

Bis zum Dach des befestigten Hauses, das sich an die Schulter der Felsnadel lehnte, war es nur ein weiter Sprung. Artax hatte wieder das Bild des jungen Jägers vor Augen, der sein Seil durchtrennte, damit sie nicht gemeinsam in den Abgrund stürzten. Es war an der Zeit, diese Rebellion zu beenden.

Der Unsterbliche erhob sich, zog sein Geisterschwert aus der Scheide und ging dorthin, wo sich die Felsnadel über das befestigte Haus erhob. Ohne zu zögern, sprang er hinab und landete in die Knie federnd auf dem Lehmdach. Hatte jemand den dumpfen Aufschlag gehört? Egal! Jetzt kam es nur noch darauf an, dass alles schnell ging. Sie mussten die Verteidiger überrumpeln.

Statt die Luke auf dem Dach zu öffnen, sprang er mit einem weiteren Satz hinab in den Hof. Doch diesmal landete er unglücklich. Sein linkes Bein knickte auf dem unebenen Pflaster ein, und ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Knöchel. Artax stürzte, schlug schwer auf und versuchte, sich mit den Händen abzufangen. Dabei ließ er sein Schwert los, das klirrend über das abschüssige Steinpflaster davonschlitterte.

Aus dem Schatten des Torbogens trat der grauhaarige Krieger hervor, den Artax am Abend zuvor auf dem Turm gesehen hatte. Er war ein alter Kämpe, die Arme von den Narben vieler Schlachten bedeckt. Er sah Artax an, blickte zur Felsnadel hinauf, entdeckte die Männer und wusste, dass die Burg fallen würde, es sei denn, der Anführer dieses tollkühnen Angriffs starb. Mit kaltem Blick hob er seinen Speer und schleuderte ihn nach dem Unsterblichen.

Artax versuchte auszuweichen, doch sein schmerzender Knöchel gehorchte ihm nicht. Der Speer traf ihn mitten in die Brust, vermochte die Rüstung, die ihm der Löwenhäuptige geschenkt hatte, aber nicht zu durchdringen.

»Bogenschützen!«, rief der alte Krieger und zog sein Schwert. »Zielt auf seinen Kopf! Auch Unsterbliche beißen ins Gras!«

Artax hörte, wie einige seiner Männer auf das Lehmdach des Hauses sprangen. Er sah Schatten hinter den schmalen Fenstern im Torhaus. Waren dort die Bogenschützen? Instinktiv riss er die Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen. Der Grauhaarige war näher gekommen und hob nun das Geisterschwert auf, das über das Pflaster geschlittert war. Ein Pfeil schlug neben Artax in der Hauswand ein. Ein zweiter streifte seinen Arm und riss ihn zur Seite.

Der alte Krieger schwang prüfend das erbeutete Schwert und lächelte. Ihm war offensichtlich klar, dass er eine Waffe in der Hand hielt, die die verwunschene Rüstung des Unsterblichen durchbohren konnte. Mit kaltem Blick trat er auf Artax zu.

In diesem Moment landete Mataan vor ihm. Artax hatte die Gelenke des hünenhaften Fischerfürsten beim Aufprall krachen hören, obwohl inzwischen über ihnen im Haus lauter Kampflärm erklang. Während sich sein Freund unter Stöhnen aufrappelte und sich schützend vor ihn stellte, schob sich Artax an der Hauswand hoch. Ein weiterer Pfeil schlug dicht neben ihm ein. Der Fischerfürst gab einen gurgelnden Laut von sich und kippte nach hinten. Zwei Pfeilschäfte ragten aus seiner Brust. Noch während der Hüne ihn mit sich zu Boden riss, zog Artax seinen Dolch.

Inzwischen sprangen seine Krieger in den Hof hinab. Ashot war unter ihnen. Mit einem gellenden Schrei, der mehr nach Verzweiflung als nach Schlachtruf klang, stürmte er dem Grauhaarigen entgegen.

Ein einziger Schwerthieb des Alten durchtrennte Ashots Eisenklinge, als sei sie nur ein dünner Ast.

Ein dritter Pfeil traf Mataan, der wie ein lebender Schutzschild über Artax lag. Blut rann über die Lippen des Fischerfürsten, und Artax spürte, wie der Atem seines Freundes schwächer wurde.

Der Unsterbliche sah, wie Ashot einem zweiten Schwerthieb knapp entging, indem er sich zu Boden warf. Immer noch wollte er den Weg zu Artax nicht freigeben. Artax hob den Dolch. Vom Gewicht Mataans niedergedrückt, konnte er sich kaum bewegen. Mit letzter Kraft schob er seinen Freund ein wenig von sich und schleuderte die funkelnde Klinge dem alten Krieger entgegen.