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Speere und Eisbrocken flogen ihnen entgegen, aber der Pegasus preschte weiterhin auf die Trolle zu, als ginge von ihnen keinerlei Gefahr aus. Die Kriegerin in dem weißen Gewand konnte Nandalee nicht mehr entdecken.

Ein Hüne von einem Trollkrieger winkte mit den Armen und rief Befehle. Er hatte seinen kahlen grauen Schädel mit Ruß beschmiert und hob sich dadurch deutlich von den anderen ab. Trolle mit wuchtigen Speeren sammelten sich um ihn, und er wies seine Kämpfer offenbar an, einen Wall aus Speeren zu errichten. Sie taten wie geheißen, setzten das Ende der Waffe im Schnee auf und stützten es mit dem zurückgestreckten linken Fuß.

Nandalee hielt den Atem an. Sie rasten geradewegs auf den Lanzenwall zu und ihr sturer Gaul wurde nicht langsamer. Sie wollte loslassen und abspringen, doch Gonvalon bemerkte es und packte sie mit eisernem Griff. »Wir schaffen das!«, rief er mit einer Zuversicht, die den Tatsachen Hohn sprach.

Über ihnen erklang schrilles Wiehern. In der Luft! Nandalee blickte auf und sah einen weiteren Pegasus, diesmal einen weißen, wie einen Falken vom Nachthimmel herabstoßen. Er griff die Trolle mit den Speeren an. Seine schweren Hufe hämmerten auf Schädel, der Lanzenwall zerbrach. Die Trolle warfen sich ängstlich zu Boden, nur der Krieger mit dem Aschengesicht packte einen Speer und schleuderte ihn dem Pegasus entgegen. Das geflügelte Pferd versuchte der steinernen Spitze auszuweichen. Nandalees Magen machte einen Satz. Der Rappe hob ab. Endlich begannen sie zu fliegen! Im selben Augenblick traf der Speer den Schimmel und zog eine lange blutige Furche über dessen Flanke. Der Pegasus bäumte sich im Flug auf, warf den Kopf zurück und wieherte erneut. Ein Laut, in dem gleichermaßen Schmerz und Kampfeslust lagen.

Der lange Zügel glitt vom Rücken des Pferdes. Einer der Trolle schnappte danach. Über ihm erschien eine Gestalt in schneeweißem Kleid – Ailyn! Ein Tritt ins Kniegelenk ließ den Krieger einknicken, ehe er den Zügel packen konnte, ein Schlag mit der flachen Hand knapp über der Hüfte brachte ihn zu Fall.

Der weiße Pegasus flog eine enge Kehre und glitt so dicht über dem Boden dahin, dass seine Flügel Schleier aus feinem Pulverschnee aufwirbelten.

Die Elfe machte einen Salto rückwärts und landete auf den Schultern eines der gestürzten Trolle. Der Hüne sprang auf und versuchte sie zu packen, doch die Kriegerin nutzte die Kraft seiner Bewegung, um einen zweiten Sprung zu machen, der sie hoch in die Luft trug. In dem Augenblick, in dem Ailyn die Zügel des Schimmels zu fassen bekam, sah Nandalee den Kriegshammer. Mit einem Kopf, länger als ihr Unterarm, drehte er sich um die eigene Achse, beschrieb eine Kurve und traf den Pegasus dicht hinter den Nüstern. Die Wucht des Aufpralls riss das fliegende Pferd zur Seite. Es trudelte kurz im Flug, schlug dann hart zu Boden und zerquetschte einen seiner Flügel unter seinem eigenen massigen Leib.

Nandalee beobachtete schreckensstarr, wie Ailyn die Zügel fahren ließ und es ihr gelang, auf den Füßen zu landen.

»Wir müssen sie retten!«

»Nein«, sagte Gonvalon schlicht, während der schwarze Hengst weiter den Sternen entgegenflog und sie immer schneller an Höhe gewannen. »Nachtschwinge trägt schon jetzt zu schwer.«

»Aber … Du kannst sie doch nicht einfach zurücklassen!« Nandalee blickte nach unten. Die Trolle hatten einen weiten Kreis um Ailyn gebildet, die neben ihrem Pegasus kauerte und das Fell des sterbenden Tieres streichelte.

»Sie würde es nicht anders wollen«, sagte Gonvalon mit harter Stimme. »An meiner Stelle hätte sie nicht anders entschieden. Nur du bist wichtig. Es war unser Auftrag, dich zu holen, wenn du würdig bist …« Er schien kurz nachzudenken, dann fügte er hinzu: »Und das bist du.«

Der Unsterbliche

Artax war nicht unzufrieden, aber er war weit entfernt davon, glücklich zu sein. Seine nackten Füße gruben sich in den schlammigen Waldboden. Vor einer halben Stunde war er gestürzt. Er hatte sich nicht verletzt, aber er war über und über mit schwarzer Walderde beschmiert. Mit seinem zotteligen Bart sah er aus wie ein wildes Tier. Missmutig starrte er ins Zwielicht. Ob die Grünen Geister in der Nähe waren? Hatten sie seine Schritte gelenkt, als er stürzte? Sie hatten hier in der Gegend noch niemandem etwas getan, aber alle Siedler fürchteten sie, brachten Opfer dar, wenn sie einen Baum fällen wollten, und legten Felder nur auf den Waldlichtungen und in den Ebenen jenseits der Berge an.

Die schwarze Erde machte jeden reich, der hierherkam und willens war, hart zu arbeiten. Aber es gab auch üble Gerüchte über die Kolonien, denn nie kam jemand von hier zurück. Artax aber, das hatte er sich geschworen, würde zurückkehren! Sobald er ein reicher Mann war. Reich genug, um sich eine Frau zu kaufen und eine Familie zu gründen. Er war nicht wie die anderen, die mit der Zeit diesen seltsamen Blick bekamen und jeden Willen verloren, ihre Heimat noch einmal wiederzusehen. Er würde nach Hause gehen. Nach Belbek, in das kleine Dorf, in dem er geboren worden war und in dem er sterben wollte.

Die Bäume lichteten sich. Flüchtige warme Nebelschwaden trieben zwischen den riesigen Stämmen. Auf einem niedrigen Ast entdeckte er eine Eidechse, die in der Sonne döste, die goldenen Augen mit den schwarzen Schlitzen verdrehte und zu ihm hinabsah. Wie die meisten Tiere hier hatte sie keine Angst vor Menschen.

Artax wog seine schwere Hacke in den Händen. Wenn sie nicht zu alt waren, schmeckten Eidechsen recht passabel. Vielleicht würde er sie treffen, wenn er die Hacke warf. Misstrauisch blickte er sich um. War da etwas? Im Nebel, gerade außerhalb seines Gesichtsfeldes? Die Grünen Geister mochten Jäger nicht. Er hatte da Geschichten gehört …

Artax lächelte. Die neue Welt war voller Geschichten und Ungewissheiten. Nur eines war sicher – die Felder brachten bis zu drei Ernten im Jahr. Es war eine endlose Plackerei, aber der Weizen von hier erzielte Höchstpreise, wenn er über die Pfade der Unsterblichen zurück in die Heimat gebracht wurde. Man musste nur hart arbeiten und dann …

In breiten goldenen Bahnen schnitt das Sonnenlicht durch das Blätterdach. Das Unterholz lichtete sich. Er schritt kräftiger aus, um den Wald endlich hinter sich zu lassen. Die Erde schmatzte bei jedem seiner Schritte, quoll zwischen seinen Zehen hindurch, als wolle sie ihn halten. Deutlich konnte Artax jetzt die Lichtung sehen. Tiefschwarze Felsbrocken ragten zwischen goldenen Ähren. Ein paar Tage noch, dann könnte er ernten. Zwei Wagenladungen mit Weizensäcken würde allein diese Lichtung bringen. Aber es war eine verdammte Plackerei. Die Felder waren weit verstreut und jeder der Waldbauern, die hier lebten, hatte mit seiner eigenen Ernte zu kämpfen. Man traf sich nur selten in der Erntezeit, etwa wenn man sich mit dem Vieh aushalf oder in der Gaststube beieinandersaß. Doch der Weg zur Gaststube war weit und er selbst in der Erntezeit meist so erschöpft, dass er wochenlang niemanden sah. Außer seinen Tieren natürlich, die aber vor allem eines von ihm wollten: versorgt sein. Der Hund, den er sich mitgebracht hatte, um weniger einsam zu sein, war gleich in der ersten Woche verschwunden. Vielleicht hatten die Grünen Geister ihn geholt? Artax lächelte, als er sich für einen kurzen Augenblick seinen Tagträumen hingab. Er, der von der Arbeit nach Hause kam, und seine Frau, die bereits mit dem Essen auf ihn wartete. Die Kinder, die ihn willkommen hießen, und die beiden ältesten, die sich bereits um die Tiere gekümmert hatten. Bei Tisch würden sie einander von den Erlebnissen des Tages erzählen und später dann, wenn die Kinder zu Bett gegangen waren, würde er mit seiner Frau beieinandersitzen und glücklich sein. Das einfache Leben eines einfachen Mannes – ein gutes Leben, wie Artax fand. Über die Jahre hin hatte die Frau seiner Träume, die anfangs nur aus Eigenschaften bestand – wie eine gute Köchin und selbstverständlich auch treu zu sein –, immer konkretere Formen angenommen. Drahtig war sie, mit kleinen, festen Brüsten und langem schwarzen Haar, das sie nach hinten band, damit es sie bei der Areit nicht störte. Ein lebhaftes Gesicht hatte sie und einen eigenen Kopf. Sie neckten einander oft, und dass er dabei manchmal auch den Kürzeren zog, störte ihn nicht. Sie hatte eigene Träume, eigene Ziele und Vorstellungen, und auch wenn sie ihn manchmal öfter infrage stellte, als ihm lieb war, erweiterten ihre Gedanken doch seinen Horizont und beflügelten ihn. Und sie hatte Prinzipien, klare Vorstellungen von Gut und Böse, die sich mit den seinigen deckten. Das war ihm wichtig. Manchmal sprachen sie auch über Dinge, die Bauern nicht zustanden. Was falsch lief im Dorf und in der Welt und wie man zumindest ihr Dorf zu einem besseren Ort machen könnte. Und wenn dann der Schalk in ihren dunklen Augen aufblitzte, sie ihn küsste und sich an ihn drängte, dachte er manchmal, dass es der freie Geist und ihre Unbeugsamkeit war, die er am meisten an ihr liebte. In Gedanken nannte er sie Almitra. Seine kleine, dickköpfige, unerschütterliche Almitra. Lachend schüttelte er den Kopf und schalt sich einen Narren. So würde er niemals eine Frau finden, dachte er, denn wie sollte eine Bäuerin je der Frau seiner Träume gerecht werden können? Die Bauersfrauen, die er kannte, hatten wogende Brüste und Schenkel wie Berge und sie sprachen über Krankheiten, von Kindern und Vieh. In ihren Tagträumen dachten sie sicherlich an eine kräftige Sklavin, nicht so hübsch, dass sie ihren Mann verwirrte, die an ihrer Stelle zum Brunnen ging oder zum Waschplatz am Fluss, oder einfach an ein besseres Leben an der Seite eines wohlhabenderen Mannes. Am Abend waren sie ebenso erschöpft vom Tagwerk, wie er selbst es war, und hatten keine Zeit und vermutlich auch keinen Sinn für Gedanken über die Welt und den Sinn des Lebens. Ein Ast schlug ihm ins Gesicht und holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Er strich ihn beiseite. Immerhin – die Furcht, die er gerade noch vor den Grünen Geistern empfunden hatte, war verschwunden.