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Der Mund des Hohepriesters klaffte auf und entblößte seine schiefen, gelbbraunen Zähne. »Aber mein Gebieter. Sie ist eine Ehrlose! Eine Meuchlerin, die Euch …«

»Ich wünsche nicht, dass man so von ihr spricht!«, fuhr er den Hohepriester an. »Ich bin ihr zu Dank verpflichtet. Sie hat mich erleuchtet! Mein Leben wird sich von Stund an ändern. Sie hat mich daran erinnert, dass auch mich dereinst der Tod ereilen wird. Ich werde künftig mit größerer Ernsthaftigkeit meinen Pflichten als Herrscher nachgehen. Ihr werdet sehen, von heut an werde ich ein anderer sein!«

Juba lächelte, als habe er solche Versprechungen schon des Öfteren von ihm gehört. Abir Ataš wirkte verärgert und senkte den Blick, damit man nicht zu leicht in seinem Antlitz lesen konnte. Der Devanthar aber hatte das mächtige Löwenhaupt schief gelegt und sah ihn nachdenklich an.

Auserwählt

Nandalee erwachte. Sie lag mit angezogenen Knien unter einer Decke, so weich wie das Fell einer jungen Katze. Bläuliches, unstetes Licht umgab sie, Holz knarrte leise. Die Luft war erfüllt von einem fremden, angenehmen Duft. Irgendein Harz, vermutete sie.

Als sie sich bewegte, bewegte sich auch das Lager, auf dem sie ruhte. Erschrocken verharrte sie und sah sich um. Sie erinnerte sich nur verschwommen an die Ereignisse der letzten Nacht. Gonvalon hatte sie auf seinem Pegasus in den Nachthimmel getragen. Verwundert musterte sie die blauen Wände. Das Licht pulsierte, als sei es lebendig. Es war angenehm anzuschauen, lud dazu ein, es zu betrachten. Zuzusehen, wie sich das Blau in Nuancen änderte. Das Blau … Nandalee hielt den Atem an. Einmal mehr knarrte das Holz und sie konnte den Wind hören. Die Elfe erinnerte sich, wie sie in dem eisigen Bach gelegen hatte und über ihr der Blaue Stern vorübergezogen war. Hatte Gonvalon sie auf das Himmelsschiff des Sängers gebracht? Nandalee erinnerte sich auch an die Koboldin und ihre derben Sprüche. Der Sänger war einer der Schöpfer Albenmarks. War es denkbar, dass er sich mit solchen Kreaturen umgab? Wieder starrte sie auf die Wände aus Licht. Nie zuvor hatte sie so etwas Schönes gesehen. Sie musste auf dem Blauen Stern sein!

Langsam kehrten weitere Erinnerungen zurück. Die Kobolde hatten sie gewaschen. Der Gedanke daran war ihr peinlich. Nicht weil Sata und die anderen sie nackt gesehen hatten, sondern weil sie so schwach gewesen war, dass sie ihren Kopf nicht aus eigener Kraft hatte über Wasser halten können. Aber wie hatten die Kobolde sie in dieses Bett gebracht?

Hatte Sata nicht von einem Kentauren gesprochen? Einem Metzger! Ob die Kobolde sie diesem Mannpferd überlassen hatten? Bei diesem Gedanken überlief Nandalee ein Schauer. Sie hatte üble Geschichten über die Kentauren gehört und tastete zwischen ihre Schenkel. Dann schüttelte sie sich. Das war Unsinn! Sie war auf dem Blauen Stern! Der Sänger war ganz nah! Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah. Seine Diener hatten sie dem Tod entrissen! Sie sollte dankbar sein und nicht misstrauisch.

Nandalee richtete sich auf und wieder bewegte sich ihr Bett!

Neben ihrem Lager gab es eine mit Blumen bemalte Truhe, auf der ordentlich gefaltete Kleider lagen. Ein Paar Stiefel stand daneben auf dem Boden. Sie schwang die Beine über die Bettkante. Der Boden unter ihren Füßen war angenehm warm, wie ein Fels an einem Sommerabend. Aber das Lager … Als sie aufstand, bewegte es sich wieder. Es schwebte. Die Decke hing über die Kanten, sodass Nandalee auf die Knie gehen musste, um es näher zu betrachten. Von unten sah es aus wie ein großes, in der Mitte gespaltenes Ei. Die Elfe tastete mit den Händen über die Unterseite – glatt und weich.

Ein plötzliches Räuspern ließ Nandalee herumfahren. Hinter ihr stand Sata. Das alte Koboldweib hatte lautlos die Kammer betreten. »Was für ein Empfang, einen nackten Arsch entgegengestreckt zu bekommen.«

Peinlich berührt richtete die Elfe sich auf. Wie konnte Sata so etwas nur aussprechen? Wusste sie denn so gar nicht, was sich gehörte? Oder beherrschte sie das Elfische so schlecht?

»Du wirst erwartet, Kleine. Es wäre nett, wenn du alles anziehst, was da für dich liegt. Und ich meine, wirklich alles!« Mit diesen Worten wandte sie sich um, schob einen Teil der Wand zur Seite und verschwand in blauem Licht.

Nandalee ärgerte sich, kein einziges Wort herausbekommen zu haben. Und was bildete sich dieses schrumpfwüchsige Koboldweib ein, sie mit Kleine anzureden! Man sollte ihr mal den Kopf zurechtsetzen. Ansehen würde sie sich die Sachen, die auf der Truhe lagen … Aber anziehen? Was sprach schließlich dagegen, dass sie die Kammer nackt verließ? Von Kobolden würde sie sich jedenfalls keine Befehle geben lassen!

Neugierig nahm sie das oberste Kleidungsstück in die Hand. Der Stoff war ihr fremd – weich und glatt und viel zu dünn für die Snaiwamark. Aber auf dem Schiff des Sängers war es ja warm. Sie konnte die Hose ja mal anprobieren.

Argwöhnisch blickte sie zu der Stelle, wo Sata durch die Wand gegangen war. Ob die Kobolde sie beobachteten?

Die Hose war eng wie eine zweite Haut und schien keine Nähte zu haben. Wer hatte sie wohl gemacht? Bestimmt nicht die grobschlächtige Sata. Die Hose war perfekt maßgeschneidert für sie. Bestimmt war sie das Werk eines Zauberwebers! Oder gar des Sängers selbst?

In Gedanken versunken streichelte Nandalee über den Stoff. Wahrscheinlich wollte der Sänger sie empfangen, und sie konnte ja schließlich nicht nackt vor einen Alben treten. Sollte Sata nur glauben, sie würde sich demütig ihren Befehlen fügen – Nandalee wusste, dass es nicht so war. Aber dem Sänger schuldete sie Respekt. Auf dem Blauen Stern zu sein war, als sei sie in ein Märchen hineingeraten.

Sie nahm das zweite Kleidungsstück. Es war eigentlich zu lang für ein Hemd, aber auch zweifellos zu kurz für ein Kleid. An Brüsten und Armen saß es eng, darunter wurde es weiter. Sie mochte es sofort. Ebenso wie die Hose war es weiß wie Apfelblüten.

Nandalee machte ein paar tänzelnde Schritte, drehte sich im Kreise und sah zu, wie sich der Saum dieses seltsamen Hemdkleides hob. Es hatte einen schmalen, aber tiefen Ausschnitt. Ein wenig freizügig. Man konnte den Ansatz ihrer Brüste sehen. Aber nicht mehr.

Auch ihre Stiefel waren weiß. Nicht wie Hirschleder, das stets einen leichten Gelbton behielt, sondern ganz und gar weiß. Wie man das Leder gebleicht haben mochte, war Nandalee schleierhaft. Sie streichelte darüber. Es war ein wenig rau. So wie Samt. Von welchem Tier diese Haut wohl stammte?

Nandalee schlüpfte in die Stiefel. Sie reichten ihr bis zum Knie. Was für wunderbare Kleider! Nie zuvor hatte sie solche Schätze besessen! Was wohl Duadan sagen würde, wenn er sie so sehen könnte?

Duadan …

Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie jetzt eine Sippenlose war. Niemand, der ihr je etwas bedeutet hatte, würde sie noch einmal sehen. Ein Kloß stieg ihr in den Hals. Ihr Atem ging keuchend. Alle Freude wurde zu Asche.

Sie kauerte sich hin, übermannt vom plötzlichen Bewusstsein der Einsamkeit. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die Trolle sie erwischt hätten? Sippenlos! Das war die schlimmste aller Strafen. Eine Ausgestoßene, für die es nie mehr einen Platz in den Zelten ihres Volkes geben würde.

Tränen füllten ihre Augen. Sie weinte stumm, die Hände zu Fäusten geballt, und fraß jedes Schluchzen in sich hinein. Ihre Nägel gruben sich tief in die Handflächen und der Schmerz obsiegte über die Tränen. Sie öffnete die Hände. Vier kleine rote Halbmonde leuchteten in ihrer rechten Handfläche. Blut sammelte sich in den Handlinien. Sie führte sich auf wie ein törichtes Kind!

Aus Sorge, ihre neuen, makellos weißen Kleider zu besudeln, leckte sie das Blut aus ihrer Hand. Es schmeckte nach Eisen, und es schien ihr kalt, als sei der Frost, der ihr beinahe den Tod gebracht hätte, noch immer nicht aus ihrem Innersten gewichen. Ungehalten über sich selbst schüttelte sie den Kopf. Was für einen Unsinn sie dachte! Sie musste sich wieder fassen und dem Unausweichlichen ins Auge blicken. Sie war Jägerin! Sie hatte ohnehin den größeren Teil ihres Lebens allein verbracht und …