Artax streckte sich. Das war der Rausch. Er würde diese Stimme ignorieren. Und den Wein, den er gestern getrunken hatte, würde er auch nie mehr anrühren. Am besten wäre es, noch ein wenig zu schlafen. Er drehte sich vom Fenster fort, zog die blütenzarte Decke an sich und wollte schlafen, als seine Fingerspitzen weiche Haut berührten.
Erschrocken öffnete er die Augen und wurde sofort mit einer neuen Welle dumpfen Schmerzes bestraft. Verdammter Wein! Undeutlich erkannte er ein Durcheinander von Armen und Beinen, kniff die Augen zusammen und blickte erneut hin. Es waren zu viele Arme und Beine. Was …
Du hast drei ins Bett geschleppt, Bauer. Und wie nicht anders zu erwarten, hast du dich auch hier schlecht geschlagen.
Artax versuchte die verfluchte Stimme in seinem Kopf zu verdrängen. Wer immer das war – trauen konnte er ihm nicht. Schon diese Marotte, von sich immer als wir zu sprechen. Der war ja selber verrückt!
Artax erinnerte sich noch deutlich daran, wie er seinen Kriegsmeister und den Hohepriester verabschiedet hatte. In den Harem war er allein gegangen. Die Frauen hatten ihn von allen Seiten bestürmt, kaum dass er ihre Gemächer betreten hatte. Mit seiner Almitra hatte er sich die Sache immer anders vorgestellt. Anfangs hatte er gar nicht gewusst, wie er damit umgehen sollte. Stocksteif hatte er dagestanden. Erst als sie ihm den Wein brachten, war er lockerer geworden.
Selbst jetzt erschien ihm das alles wie ein Traum.
Er blickte zu den drei Schlafenden in seinem Bett. Unglaublich! Einige der Haremsdamen hatten vor Glück, ihn lebend wiederzusehen, geweint. Und alle waren sie hübsch. Nein, hübsch war nicht das richtige Wort. Bis gestern hatte er gar nicht gewusst, dass Frauen so sein konnten. Sich so angenehm anfühlten. So gut riechen konnten. Er war überwältigt gewesen. Und sie alle buhlten um ihn. Seinen Blick, ein Wort … In die Frauengemächer zu gehen hatte ihn fast ebenso sehr beunruhigt, wie es ihn gereizt hatte. Aarons Erinnerungen waren sehr … Auch dafür fehlten ihm die richtigen Worte. Der unsterbliche Aaron hatte sehr viel Zeit in seinem Bett verbracht. Und er hatte einige sehr rätselhafte Dinge getan. So hatte Aaron zum Beispiel gerne den Blick über seine Weiber schweifen lassen und dann irgendwann angefangen zu zählen. Er hatte immer die Siebente auserwählt … So machte man so was doch nicht!
Nicht dass er Ahnung von Frauen gehabt hätte, dachte Artax beschämt. Er war immer zu geizig gewesen, um sich die Gunst einer zweifelhaften Dame für ein paar Stunden zu kaufen. Er hatte jedes Kupferstück gespart, um irgendwann für eine richtige Frau zu zahlen. Eine, die für immer blieb. Eine wie Almitra. Nur deshalb war er ja hier.
Aber keine der Frauen war wie sie und schließlich hatte er es doch genau wie Aaron gemacht. Er hatte sich einfach nicht entscheiden können. Sie alle waren verführerisch. Deshalb hatte er auch dreimal bis sieben gezählt.
Sein Blick wanderte erneut über das riesige Bett. Es war größer als die Hütte, die er noch gestern bewohnt hatte.
Die drei Frauen schliefen noch. Oder taten sie vielleicht nur so? Warteten sie darauf, dass er ging?
Sie machen einem immer etwas vor, meldete sich die unerwünschte Stimme in seinem Kopf. Sie haben Angst vor unseren Launen. Wir würden wetten, sie sind alle wach. Vielleicht hat keine von ihnen in der Nacht geschlafen. Nach den Ereignissen fürchten sie deinen Zorn. Und sie fürchten, er wird die erste von ihnen treffen, die sich regt.
Artax versuchte sich zu erinnern, von was für Ereignissen dieser Quälgeist sprach. Er war mit den dreien hierhergekommen. Er hatte sich auf sie stützen müssen. Und dann hatten sie begonnen …
Sie haben sich nicht sonderlich ins Zeug gelegt. Aber das war bei dir ja auch nicht nötig.
Artax legte die Hände an die Schläfen. Wie konnte er diese verfluchte Stimme loswerden?
Die Wahrheit tut weh, nicht wahr? Es war auch zu erbärmlich. Kaum hatten sie sich deines besten Stücks angenommen, da war der ganze Spaß schon vorüber. Und um der Peinlichkeit die Krone aufzusetzen, bist du drei Herzschläge später in tiefen Schlummer versunken, wobei du so laut geschnarcht hast, dass es der ganze Harem mitanhören konnte.
Das stimmte nicht, beharrte Artax in Gedanken. Ganz sicher stimmte das nicht! Er konnte sich zwar nicht erinnern, aber das war nicht die Wahrheit. Er würde die drei nach der Nacht fragen, sobald sie erwachten.
Was für eine wunderbare Idee, Herr Bauer. In ihr offenbart sich das ganze Ausmaß deiner herzergreifenden Naivität.
Artax hatte zwar keine Ahnung, was das letzte Wort bedeutete, aber er ging davon aus, dass es nicht nett gemeint war.
Man könnte auch Blödheit sagen. Blödheit verstehst du doch, oder?
Der Geist wusste, was er dachte!
Natürlich. Da wir in deinem überaus hohlen Kopf stecken, wissen wir um das Wenige, das darin vor sich geht. Und bevor du darüber nachbrütest: Natürlich kennen wir auch deine ganze erbärmliche, langweilige Lebensgeschichte. Weiber hast du bisher nur angegafft. Warst noch Jungfrau bis gestern Nacht. Und jetzt erinnerst du dich nicht einmal mehr an deine erste Liebesnacht, weil du besoffen warst. Erbärmlich! Genau, was wir von einem Bauern erwarten. Und was deinen Plan angeht, die drei nach der letzten Nacht zu fragen: Was werden sie wohl antworten? Werden sie schlecht von dir reden? Sich vielleicht um ihren Kopf reden? Ganz gewiss nicht. Sie werden dir das Blaue vom Himmel lügen. Werden erzählen, was für ein wunderbarer, leidenschaftlicher und ausdauernder Liebhaber du bist. Du solltest unseren Worten trauen.
Das würde er ganz gewiss nicht. Er musste diese Stimme aus seinem Kopf bekommen. Vielleicht konnte der Löwenhäuptige ihm dabei ja helfen?
Das wird er ganz gewiss nicht tun. Wir sind Aaron. Du bist nur eine Episode. Ein bedauerlicher Ausrutscher. Wir aber sind der Unsterbliche. Die Essenz allen Wissens und aller Erfahrungen jeglicher Aarons. Von dir haben wir die körperliche Hülle. Das Vergängliche. Wir aber sind ewig. Und unter uns, an deinem Körper war einiges verbesserungswürdig.
Artax blickte an sich hinab. In dem Zwielicht konnte er nicht gut sehen. Außerdem plagte ihn noch immer ein stechender Kopfschmerz. So verändert kam er sich allerdings nicht vor.
Sei ehrlich zu dir! Was ist mit deinem Bauch? Stell dich mal hin. Gestern warst du nur ein grober Klotz. Heute hast du einen athletisch schönen Körper. Und da ist noch etwas, das wesentlich verbessert wurde. Wir wussten gar nicht, dass man an dieser Stelle so klein sein kann …
Blödes Geschwätz, dachte Artax und hörte nicht weiter hin. Zumindest versuchte er das.
Geh doch mal zu der Wasserschale dort drüben. Und trenn dich von der albernen Vorstellung, dass wir dich immer belügen. Wir sind schonungslos offen. Es ist klüger, du hörst auf uns. In ein paar Stunden, wenn der Göttliche deine lächerliche Existenz beendet, wirst du ein Teil von uns sein. Also genieß die Zeit, in der du noch selbst Entscheidungen treffen kannst.
Artax grinste. Ihm kam eine Idee. Wer sagte eigentlich, dass er sich permanent von diesen Stimmen beleidigen lassen musste? Immerhin waren sie in seinem Kopf. Und er würde ihnen schon zeigen, wer hier der Herr im Haus war!
Der Göttliche wird meine Existenz nicht beenden, teilte er sich selbst und den Aarons mit. Und du warst so dämlich, auf einer Reling zu balancieren, als du angegriffen wurdest. Vielleicht ist dies die Art, auf die deine Dummheit bestraft wird.
Ha! Da waren sie still, die Plaudertaschen!
Vorsichtig darauf bedacht, keines der drei Mädchen zu wecken, stieg Artax aus dem Bett und ging zur Wasserschale. Ihr Rand war mit einem wunderschönen Blütenmuster eingefasst. In seinem ganzen Dorf hatte es keine Schale wie diese gegeben. Nicht einmal Siran hatte solche Schätze besessen!
Neben der Schale stand eine Öllampe auf dem Tisch, deren Docht so weit gestutzt war, dass nur ein winziges Flämmchen darauf tanzte. Vorsichtig schob er den Docht höher und langsam wuchs die Flamme an. Dann endlich konnte er sein Gesicht in dem spiegelnden Wasser sehen.