»Braucht sich Hilfe Erhabener?« Volodis Stimme kam von außerhalb der Höhle.
Die Dunkelhaarige schlug die Augen auf. Sie sah ihn durchdringend an. Ein wenig überrascht, aber ohne Angst. Ihr Blick war faszinierend. Er zog an ihm. Er fühlte sich seltsam. Aus den Augenwinkeln sah er gerade noch eine Bewegung.
Schnell!
Die Blonde mit dem riesigen Schwert war mit einem Satz auf den Beinen und schwang ihre gewaltige Waffe. Er riss seine Waffe hoch und wich zurück. Mit schrillem Klang prallte Stahl auf Stahl, und die Wucht des Hiebes ließ ihn zurücktaumeln.
Eine Dornaxt schnellte an ihm vorbei. Die Elfe fing sie mit einem Schwerthieb ab. Artax wich rückwärts durch den Höhleneingang zurück und die Kriegerin setzte ihm nicht nach.
Draußen erwarteten ihn Shaya und Volodi.
»Wer bei den Göttern ist das?« Shaya hatte ein kurzes Bronzeschwert gezogen. Eine Waffe, die wohl kaum gegen die drei Meuchler helfen würde.
»Das da drinnen sind Elfen«, stieß er hervor. »Es sind drei.«
Und die werden euch alle umbringen, du Trottel! Warum bei den Göttern kannst du nicht ein einziges Mal auf uns hören?
»Wir brauchen hier Bogenschützen.« Artax hatte sich wieder gefasst. »Und trockenes Holz brauchen wir. Wir werden ein Feuer machen. Ein sehr großes Feuer, sodass sie aus der Höhle nicht herauskommen. Und dann werden wir fliehen.«
Unsichtbar
»Darf ich zaubern?« Bidayn fragte nur der Form halber. Als sich dieser bärtige Kerl über sie gebeugt hatte, hatte sie bereits begonnen, einen Zauber zu weben, doch Nandalees überraschender Angriff hatte sie abgelenkt und alles zunichtegemacht.
»Wozu brauchen wir Zauber? Gehen wir hinaus und schneiden ihnen die Köpfe ab!«
Bidayn schüttelte den Kopf. »Wir sollten mit ihnen reden, bevor wir …«
»Reden?«, unterbrach Nandalee sie aufgebracht. »Was willst du mit einem bärtigen Menschensohn, der mit gezogenem Schwert über dir kauert, bereden? Ob er dir die Kehle von rechts oder von links durchschneidet?«
Bidayn gab sich nicht geschlagen. »Aber er hat doch gar nicht …«
»Weil Nangog uns im letzten Augenblick zurückgeschickt hat! Sie beschützt uns. Ohne sie wären wir alle tot. Habt ihr das Schwert gesehen? Dieses Leuchten? Es ist eine verwunschene Waffe. Der Kerl ist gefährlich. Wir sollten hinausgehen und …«
»Genug, Nandalee.« Gonvalon wirkte erschöpft und verstört.
Sie waren übereilt in ihre Körper zurückgekehrt. Dabei hatte Nangog gerade erst begonnen, mit ihnen zu sprechen. Bidayn fragte sich, ob sie den beiden anderen etwas anderes gezeigt hatte. Vielleicht war das der Grund, warum Gonvalon so kraftlos wirkte.
»Was für einen Zauber willst du weben, Bidayn?«
Sie zögerte kurz. Es war ihr ein wenig peinlich, ihm einzugestehen, was sie bei den Fechtstunden getan hatte, auch wenn er es wahrscheinlich schon ahnte. »Ich beherrsche einen Zauber, durch den ich mich schneller bewegen kann. Ich könnte hinausgehen und sie ausspähen. Und sehr nahe gibt es einen Albenstern. Ich spüre seine Macht. Ich könnte den Weg zurück in unsere Welt öffnen.«
»Der Bärtige hat draußen nach Bogenschützen gerufen, glaube ich …« Nandalee blickte fragend zu Gonvalon, der die Sprache der Menschenkinder besser verstand. Der Schwertmeister nickte. Sie sah Bidayn besorgt an. »Bist du schnell genug, um Pfeilen auszuweichen? Du bist doch verletzt. Du solltest hierbleiben und mich das erledigen lassen. Blutvergießen ist nicht deine Sache.«
Bidayn tastete nach ihrer Wunde. Ihr Wollgewand war zerrissen. Der Pfeil! Vorsichtig tastete sie sich über den Bauch. Da war noch der Riss in ihrem Obergewand, der rundherum mit Blut durchtränkt war, aber darunter war ihre Haut glatt. Es gab keine Wunde!
Verstört sah sie sich um. Etwas Kugeliges lag nahe der Kristallsäule auf dem Boden. Bidayn bückte sich danach. Ihre Hand zitterte, als sie erkannte, wonach sie griff. Wurzeln! Erschrocken blickte sie auf. Deutlich standen ihr die Bilder der toten Holzfäller vor Augen.
Gonvalon wich ihrem Blick aus.
Nandalee nicht. »Das war in dir. Der große Baum auf dem Schiff, auf dem wir waren, hat geholfen, dich zu heilen. Diese Wurzeln haben deine Blutung gestillt.«
Ungläubig blickte Bidayn auf den Wurzelklumpen. »Das war in mir …?«
»Das hat dich gerettet. Ohne die Hilfe des Baumes wärest du tot.«
Bidayn atmete schwer. Die Vorstellung, dass Wurzeln in ihren Körper gewachsen waren, war ein Albtraum. Aber sie musste das jetzt verdrängen, es einfach hinter sich lassen. Sonst wäre sie nicht in der Lage, einen Zauber zu weben. Entschlossen schob sie die Wurzelkugel in eine Tasche ihres Gewandes.
»Ich werde jetzt da hinausgehen und unsere Flucht vorbereiten. « Ihre Stimme zitterte leicht.
Gonvalon und Nandalee tauschten einen langen Blick. Bidayn konnte spüren, wie die beiden ohne Worte und Zauber miteinander sprachen. Bidayn wünschte sich, dass sie diese Magie der Liebe auch einmal erleben würde.
»Geh«, sagte Gonvalon schließlich. »Ich vertraue dir. Gib uns ein Zeichen, wann wir uns hinauswagen sollen.«
»Die haben Glück, dass wir nicht hinauskommen«, murrte Nandalee. »Hinauswagen …« Sie schnaubte abfällig.
Bidayn schloss die Augen. Dies war die Gelegenheit, den beiden zu zeigen, dass sie kein nutzloser Ballast war. Sie wusste, dass Gonvalon sie ziehen ließ, damit sie sich beweisen konnte. Er verstand sie! Sie würde sich ihm beweisen. Sie war eine machtvolle Zauberweberin.
Voller Zuversicht öffnete sie ihr Verborgenes Auge. Wie beim ersten Mal war sie fasziniert davon, wie andersartig die magische Matrix von Nangog war. Die Höhle war ein Fokus. Unzählige Kraftlinien kamen hier zusammen. Ein Ort gebündelter Macht, ganz anders als die großen Albensterne. Dieser Platz war dazu geschaffen, Magie zu wirken.
Bidayn dachte an das, was sie erreichen wollte. Ihr Wille verformte das magische Gefüge – und etwas bäumte sich gegen sie auf. Das hatte sie in dieser Form in Albenmark noch nicht erlebt. Sie zwang es nieder, dann öffnete sie die Augen. Nandalee und Gonvalon sahen sie an. Sie standen schweigend da. Hatte sie einen Fehler gemacht?
»Was ist los?«
Sie erhielt keine Antwort. Erleichtert atmete sie auf. Die beiden hatten sie nicht verstanden. Ihr Zauber war gelungen.
Sie trat aus der Höhle. Die Menschenkinder bewegten sich. Bogenschützen beobachteten den Eingang. Eine junge Kriegerin rief etwas. Ihre Stimme war ein dumpfer, unartikulierter Ton und ihre Hand bewegte sich langsam zur Pfeiltasche an ihrer Hüfte.
Bidayn ging in aller Ruhe zu ihr herüber. Sie erreichte sie, noch bevor die Finger der Kriegerin die Befiederung eines ihrer Pfeile berührten.
»Du hast Glück, dass ich aus der Höhle gekommen bin und nicht Nandalee.«
Sie zog die Pfeile aus dem Köcher der Kriegerin und verstreute sie ringsherum auf dem Boden. Dann zückte Bidayn ihr Messer und ging zum nächsten Schützen. Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte sie die Bogensehne.
Dann eilte sie zum nächsten Krieger. Es war beflügelnd zu spüren, wie die Macht Nangogs sie durchströmte. Sie verformte die Matrix weiter, zog mehr Kraft an sich, wurde schneller. Wie die Menschenkinder sie wohl sahen? Sahen sie sie überhaupt noch? War sie noch ein schnell dahingleitender Schemen oder schon unsichtbar? Nie zuvor hatte sie einen so starken Zauber gewirkt, so tief in das Gefüge der Natur eingegriffen.
Bald waren alle Bogensehnen durchtrennt und die Kriegerin hatte gerade erst damit begonnen, sich nach den verlorenen Pfeilen zu bücken. Sie könnte noch mehr tun, dachte Bidayn. Sie packte die zersplitterten Äste, die Menschenkinder zum Höhleneingang trugen, und brachte sie zurück in den Wald. Als sie damit fertig war, berührten die Fingerspitzen der Kriegerin gerade erst den Boden. Bidayn lachte. Sie fühlte sich allmächtig. Sie könnte all diese Menschenkinder töten. Ihnen die Kehlen durchschneiden. Aber sie mochte nicht. Sie fand diese bärtigen Männer belustigend. Sie ging zu einem und flocht ihm einen Zopf in den Bart. Sie hatte so viel Zeit, wie sie nur wollte – und sie konnte noch schneller werden. Ihr Wille stemmte sich gegen die Macht der Matrix. Verzerrte sie weiter.