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»Was hast du denn in der Kristallhöhle gesehen, Bidayn?« Nandalee blickte zu ihrer Freundin, voller Hoffnung, wenigstens von ihr Rückhalt zu bekommen.

»Ich kann mich nicht klar an diesen Traum erinnern …«

»Aber es war kein Traum!«, begehrte Nandalee auf.

Ich danke Euch allen, für die Mühen, die Ihr für mich auf Euch genommen habt Nun lag wieder die wohlvertraute Hitze in seinen Worten, der Schmerz, der eine stete Mahnung an die Macht der Drachen war. Ihr alle habt viel durchgemacht. Ihr müsst euch erholen und neue Kräfte sammeln. Ich gestatte Euch, dass Ihr Euch zurückzieht.

Nandalee konnte es nicht fassen. »Das war es jetzt? Nichts wird geschehen? Wozu waren wir dann überhaupt auf Nangog?«

Der Drache richtete sich auf seinem Thron auf. Er fixierte sie von oben herab. Und sie schrak vor dem Raubtierglanz in seinen Augen zurück. Haltet Ihr das für den richtigen Tonfall mir gegenüber, Dame Nandalee?

Ohne zu zögern, trat Gonvalon zwischen sie und den Drachen. »Sie weiß nicht, was sie tut!«

Nandalee wusste nicht mehr, was sie von dem Fechtmeister halten sollte. Eben noch behandelte er sie wie eine Närrin, die nicht wusste, was sie gesehen hatte, und nun forderte er den Zorn des ältesten aller Drachen heraus und versuchte, sie zu beschützen.

Nandalee bleibt! Die Stimme des Drachen war ein stechender Schmerz in ihren Gedanken.

Lange hatte Nandalee die Macht Nachtatems nicht mehr so deutlich empfunden – wie etwas Körperliches, das sie ganz und gar ausfüllte. Die Farben, die in seiner Gegenwart stets verblassten und alles ein wenig grauer und trostloser aussehen ließen, schienen noch fahler zu werden. Gonvalon und Bidayn wirkten totenbleich. Doch all das interessierte Nandalee nicht mehr. Mit einem Mal war sie nur noch von einem einzigen Gedanken durchdrungen – sie wollte ihm gefallen. Ihn nicht enttäuschen. In einem fernen Winkel ihres Bewusstseins ahnte sie, dass es die Magie des Drachen war, die sie so empfinden ließ, doch hatte Vernunft keinen Einfluss mehr auf ihre Gefühle.

Sie würde bleiben und sie war stolz, die Auserwählte des Erstgeschlüpften zu sein.

Gonvalon zitterte stark. Mehr noch als Bidayn! Was spürte er? Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er kämpfte …

Ich werde ihr nichts tun. Blassgrauer Rauch quoll aus den Nüstern des Drachen; sein Duft erzeugte ein Wohlgefühl tief in ihrem Bauch und machte sie auch ein wenig benommen.

»Ich warte draußen auf dich«, sagte Gonvalon schließlich, und Nandalee konnte spüren, welche Überwindung es ihn kostete nachzugeben. Bidayn hingegen ging, ohne sich noch einmal nach ihr umzublicken. Sie trug es ihrer Freundin nicht nach. Zu gut wusste die Jägerin um die Macht des Drachen und darum, wie unmöglich es war, seinem Willen zu widerstehen.

Bald schon waren die Schritte ihrer Gefährten in dem Tunnel, der aus der halb überfluteten Halle führte, verklungen.

Ich glaube Euch, denn ich weiß, was dort unten im Licht ist und was es will.

Nandalee war erst überrascht, dann wurde sie zornig. »Warum konntest du das nicht vor den anderen sagen?«

Weil Ihr Eure Gedanken verbergen könnt, Eure Gefährten aber nicht. Weil Gonvalon nicht mir die Treue geschworen hat, sondern dem Goldenen. Weil ich noch nicht weiß, wie ich entscheiden soll.

»Worüber entscheiden?«

Der Schwanz des Drachen glitt scharrend über den Fels seines Throns. Das, was da im Licht war … Was haltet Ihr davon?

Nandalee verstand die Frage nicht. Sie sah ihn einfach nur mit großen Augen an.

Ihr standet in Kontakt mit … ihr. Wie fühlte es sich an?

»Ihr?«

Der Drachenschweif schlug mit einem Knall auf das Wasser. Beantwortet meine Frage! Wie fühlte es sich an, ihr zu begegnen?

»Sie war verzweifelt.«

Habt Ihr Bosheit in ihr gespürt?

Plötzlich war sich Nandalee nicht mehr sicher, ob ihre Erlebnisse vielleicht doch nur ein Traum gewesen waren. Alles erschien ihr so unwirklich. »Bosheit nicht … Aber sie war zornig. Sie hasst, was die Menschenkinder tun.«

Der Drache richtete sich noch etwas höher auf. Er drückte auf den vorderen Teil der steinernen Insel, die ihm als Thron diente. Ein durchdringendes schleifendes Geräusch erklang. Tief unter ihnen. Das Wasser in der Halle floss ab.

Nandalee spürte den Boden unter ihren Füßen beben. Immer lauter wurde das Geräusch. Der Drache glitt von seinem Thron. Keinen Augenblick zu spät! Hausgroße Blöcke aus behauenem Stein bewegten sich und ein gleißend grünes Licht erfüllte die weite Halle. Ein Licht, wie sie es beim Sturz in den Kristall gesehen hatte.

Kennt Ihr die Geschichte der Riesin Nangog, Nandalee? Der Weltenbauerin? Sie ist wahr. Die Devanthar und die Alben haben ihr das Herz herausgerissen und es untereinander aufgeteilt. Was unter diesem Thron verborgen liegt, ist die Hälfte des Herzens, das die Alben genommen haben. Sie haben es mir anvertraut.

Die Elfe trat an die Öffnung, die dort im Boden klaffte, wo eben noch die steinerne Insel gewesen war. Sie blickte hinab, doch das Licht war so blendend hell, dass sie nichts erkennen konnte.

Wollt Ihr Nangog ihr Herz zurückbringen, meine Holde?

Nandalee sah fassungslos zu dem Dunklen auf. »Und dann? Was wird dann geschehen?«

Ich weiß es nicht. Aber ich kann Euch versprechen, dass diese eine Tat eine ganze Welt von Grund auf verändern wird. Und Ihr werdet danach Feinde haben, die mächtiger sind, als Ihr Euch vorzustellen vermögt.

Epilog

Gonvalons schwerer Atem überlagerte jedes andere Geräusch. Er blickte auf seine Hände. Sie waren voller Blut. Und zum ersten Mal seit Langem war es ausschließlich sein Blut. Zerschunden waren sie, hinab bis auf das rohe Fleisch. Er blinzelte die Tränen aus den Augen. Noch immer war sein ganzer Körper wie betäubt. Er fühlte kaum Schmerz.

Gonvalon taumelte ein Stück zurück und mied es, sein Werk zu betrachten. Feiner Steinstaub verklebte ihm Mund und Nase. Seine Lippen mussten rissig sein. Sein Mund war eine Wüste. Verloren blickte der Elf zum Himmel. Es war Nacht. Die wievielte Nacht? Der Rausch war vorüber. Er hatte keinen Trost gefunden, und die Erlösung des Vergessens war von ihm genommen. Seine Flucht war nun zu Ende. Er war wieder ganz Herr seiner Erinnerung.

Benommen betrachtete er den großen Stein. Er hatte ihn tagelang gesucht – einen Granitbrocken, der einsam zwischen bemoosten Bäumen lag. Als er ihn zum ersten Mal berührt hatte, hatte er die Spannung in dem Stein gespürt. Wasser und Eis waren tief in ihn eingedrungen. Hatten feine Spalten geweitet.

Der Elf lachte bitter. Er hatte sich in dem Stein wiedererkannt. Seinen Seelenzustand. Seine Spannung. Er war ein lausiger Bildhauer, auch wenn er mit großer Leidenschaft arbeitete. Andere, die sich so wie er für diesen Weg entschieden hatten, sprachen gern davon, dass sie eine Struktur im Stein fühlen konnten. Dass sie die Skulpturen nur befreiten. Dass sie schon immer da gewesen seien.

Bei ihm war es anders. Er hatte dem Stein die Form aufgezwungen, hatte sich an ihm abgearbeitet. Stunde um Stunde, Tag um Tag. Das Ergebnis war eine Form zwischen Flamme und Frauenleib. Dem Leib der Frau, die er liebte. Seinem Abgrund, vor dem er nun stand.

Überall auf der Skulptur waren Blutspuren. Dunkle, geronnene Flecken, die das Licht der Sterne verschluckten. Die steinerne junge Elfe wand sich. Tanzte sie? Stand sie in Flammen? War es eine Flamme, die ihm vorgaukelte, eine Frau zu sein? Alles zugleich?

Gonvalon seufzte. Nein, er war kein Künstler. Was war er? Man hatte ihn zum Meister in der Weißen Halle gemacht. Ihm dieses Dasein aufgezwungen, so wie er den Stein in seine neue Form gezwungen hatte. Er war ein schlechter Lehrer. Nein, schlimmer, er war ein Fluch für seine Schüler. Sie starben. Alle … Seit er vor mehr als dreihundert Jahren begonnen hatte. Er konnte sie nicht retten, was immer er auch versuchte. Er war kein Künstler und kein Lehrer … Wieder betrachtete er seine Hände. All das Blut. Blut zu vergießen, das war seine einzige Begabung. Darin war er wirklich gut. Darum wählte er immer wieder ihn – und Gonvalon hatte ihn noch nie enttäuscht.