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Artax zerrte an dem schweren Messingring der Tür zum Geschützturm, doch jedes Mal, wenn es ihm gelang, die Türe wenige Zoll weit zu öffnen, drückte der Wind sie wieder zu. Er kam jetzt nicht mehr in Böen, sondern war zu einem unsichtbaren Riesen geworden, der das Wolkenschiff fest in seinem Griff hielt. Es gab keine Pausen mehr, kein Atemholen. Der Sturm zerrte ununterbrochen an ihnen.

Ein Windstoß riss das Schiff nach oben, Artax’ Magen machte einen Satz und die Knie wurden ihm weich. Der verwundete Krieger war zu Boden gesunken und klammerte sich an einem seiner Beine fest. Juba und die anderen knieten, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten. Hagel prasselte Reiskörnern gleich auf die Decks, brannte auf der Haut, und eisiges Wasser rann Artax in den Nacken, während er noch immer mit der Tür rang.

Ein gewaltiges Bersten hallte über Deck. Einer der Masten splitterte. Gefangen in den Seilen der Takelage, tanzte er im Wind und schlug im Takt des Sturmes gegen die Bordwand wie ein Rammbock, den Belagerer gegen eine trutzige Festung führen. Artax spürte jeden der Stöße durch das vibrierende Deck. Ein Krachen. Planken wurden vom Wind davongerissen. Immer noch schien ihr Wolkenschiff höher zu steigen. Der Hagel hatte nachgelassen.

Dichter Dunst wogte über Deck. Einer der Wolkentürme hatte das Schiff verschlungen, von einem Augenblick zum anderen konnte man keine fünf Schritt weit mehr sehen. Immer verzweifelter zerrte Artax an der Tür, die sich keine Handbreit bewegte. Etwas Großes glitt aus dem Dunst dicht an Artax vorbei. Lange Tentakelarme griffen zuckend ins Leere. Einer der kleineren Wolkensammler war vom Sturm losgerissen worden und trieb hilflos davon.

Artax schwor sich, dass es künftig auf den Wolkenschiffen nur noch Türen geben würde, die sich nach innen öffneten. Zu seinen Füßen waren Hagelkörner gegen die Wand des Turms getrieben worden. Er zitterte vor Kälte und das Metall des Türgriffs fühlte sich klebrig in seinen Fingern an, so kalt war es.

Ein Ruck durchlief das Schiff. Diesmal schien es zu stürzen!

Das Hämmern des Mastes erstarb. Ein Schrei hallte über Deck, gefolgt von einem schrecklichen Knirschen und dem Laut berstenden Holzes. Der Mast! Wie der Speer eines Riesen schoss er aus dem Nebel und streifte die Zinnen des Geschützturms. Von den Rahen waren nur noch zersplitterte Reste geblieben. Immerhin schien es ihm, als sei der freie Fall des Schiffes gebremst worden, aber sicher war er sich nicht.

Holzsplitter prasselten auf das Deck. Artax duckte sich gegen die Tür und betete – und plötzlich verstand er. Zu wem bete ich hier eigentlich, dachte er. Wo steckte denn dieser verdammte Devanthar? Der Löwenhäuptige sollte ihn und seine Männer retten! Es war an der Zeit, dass er endlich kam! Aber kein Devanthar erschien und auch die Aarons enthielten sich ausnahmsweise jedes bissigen Kommentars. Ist ja klar, dachte Artax, wenn es hart auf hart kommt, dann soll der Bauer die Knochenarbeit mal schön allein erledigen und die feinen Herrschaften halten sich zurück. Die kommen dann erst, wenn die Ernte eingefahren ist, reden klug daher, wie man es besser machen könnte, nehmen mit verächtlich hochgezogenen Brauen den Lohn der Mühen und verabschieden sich, während der Bauer hungrig an seinem letzten verbliebenen Apfel nagt. Natürlich einem mit Wurm! Hätte er seine Axt in Reichweite oder auch einen verdammten Hammer zur Hand, hätte er die Tür schon lange aufgebracht. Aber wie die Dinge standen, besaß er nur ein vornehmes Gewand und einen Haufen Männer, die Tür war zu und sein Schiff stürzte ab. Das hatte man nun davon, ein edler Herr zu sein.

Wie zur Antwort füllte Donnergrollen den Himmel und Blitze tauchten das Deck in immer schnellerer Folge in kaltes Licht. Der launische Wind hatte an Stärke noch zugenommen und presste ihn mit solcher Gewalt gegen die Tür, dass er kaum zu atmen vermochte. Festgenagelt von den Naturgewalten, strandeten mehr und mehr Trümmer von den Aufbauten des Turms und der zersplitterten Rahmen an der noch immer verschlossenen Tür.

Einmal mehr sackte das Schiff tiefer und von einem Herzschlag zum anderen erstarb der Wind. Wie durch einen riesigen Tunnel sah Artax zwischen den aufgewühlten Wolkenmassen hoch über sich einen runden Ausschnitt blauen Himmels. Der Devanthar, dachte Artax beschämt. Der Gott hatte entschieden, sie alle vor dem Sturm zu retten. Er wollte sie … Ein Ruck durchlief das Schiff, Artax wurde zu Boden geschleudert und erneut peitschte der Wind über das Deck.

Der verwundete Krieger begann laut zu beten. Hatte der Devanthar ihn, Artax, für seinen Frevel bestraft? Ihm zeigen wollen, was er zu tun vermochte, nur um ihn dann wieder sich selbst zu überlassen. Als Strafe für seine lästerlichen Gedanken? Artax schüttelte den Kopf, rappelte sich auf und straffte die Schultern. Was der Devanthar wollte oder nicht, war jetzt nicht wichtig. Er, Artax, war hier und er, Artax, würde handeln und die Sache in den Griff bekommen. Und zwar jetzt. Ein Stück einer gesplitterten Rah lag zu seinen Füßen, wieder zerrte er an der Tür und als er sie einen Spalt weit aufgezwungen bekam, schob er mit dem Fuß das armdicke Trümmerstück hinein und stemmte sich mit aller Gewalt gegen die Tür. Es gelang ihm, seine Schulter durch den Spalt zu zwängen. Jemand packte ihn, zog von innen, er wurde hineingezerrt und mit ihm der verwundete Krieger. Mit einem Knall wie ein Donnerschlag schloss sich die Tür.

Artax strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht und sah sich um. Im Zwielicht des Geschützturms kauerte ein verlorener Haufen von Richtschützen, Kriegern und Wolkenschiffern. Das gelbliche Licht einer Laterne sickerte durch rußgeschwärzte dicke Hornscheiben. Es stank nach Schweiß und Blut. Am Fuß der Treppe, die hinauf zum Geschütz führte, kauerte ein blasser Krieger in der weißen Tunika der Himmelshüter. Sein gesplitterter Schienbeinknochen ragte aus einer klaffenden Wunde. Niemand kümmerte sich um ihn. Selbst der Verwundete wirkte völlig teilnahmslos. Die Männer hier hatten alle Hoffnung fahren gelassen. Sie erschienen Artax wie zum Tode Verurteilte, die darauf warteten, vor das Beil des Henkers geführt zu werden.

Das Licht eines Blitzschlags schnitt wie Messerklingen durch schmalste Spalten im Holz des Geschützturms. Augenblicklich folgte Donnergrollen. Der Blitz konnte sie nur knapp verfehlt haben, dachte Artax beklommen. Ihm war bewusst, dass Feuer die größte Gefahr für die Wolkenschiffe war. Wenn ein Blitz einschlagen sollte … Besser nicht daran denken! Dann könnte er sich gleich zu diesem Häuflein Verzweifelter kauern.

»Nimm deinen Gürtel ab!«, befahl er einem Bärtigen und deutete auf den Mann mit der offenen Wunde. »Und binde deinem Kameraden das Bein ab. Los!«

Endlich kam Bewegung in die Männer. Ein pockennarbiger Schütze in grüner Tunika brachte einen abgebrochenen Speerschaft. »Damit können wir den Gürtel enger drehen und dann …« Seine Worte gingen im Tosen einer Sturmbö unter, die den Turm erbeben ließ. Wieder tauchte ein Blitzschlag die stickige Kammer für einen Herzschlag in gleißendes Licht. Und da, im hellen Licht des Blitzes, entdeckte Artax eine Taurolle hinter der Treppe. Entschlossen nahm er ein Ende des Seils und schlang es um seine Hüften. Draußen waren noch Juba und seine Leibwachen. Er musste ihnen helfen, ganz gleich, wie groß die Gefahr durch den wütenden Sturm war.

»Ihr haltet diese verfluchte Tür offen!«, befahl er schroff.

»Aber, Herr«, protestierte der Wolkenschiffer, der sich um den Verwundeten kümmerte. »Am Himmel ringen die Sturmgeister Nangogs miteinander. Dies ist die Stunde, in der sich Sterbliche demütig in ihr Schicksal fügen sollten.«

Glaubst du, der Löwenhäuptige wird immer seine schützende Hand über dich halten? Hast du die Freuden des Harems schon bis zur Neige gekostet? Du willst ein Held sein? Geh nur hinaus. Dort draußen erwartet dich der Tod.

Aaron verstummte und Artax schluckte schwer an seinem Zorn. Die triefende Ironie war ihm nicht entgangen. Am liebsten wäre er hinausgestürmt, aber wenn Aaron ihm so unverblümt dazu riet, war Vorsicht geboten. Als hätte er seine Gedanken gelesen, setzte Aaron nach.