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Plötzlich hallte das Echo fremder Schritte von den Wänden wider. Beschwingter Schritte, obwohl sie gegen die Steigung ankämpften. Gonvalon rang nur kurz mit seiner Neugier, dann blickte er die Spiralwindungen der Treppe hinab. Doch das durchdringende honigfarbene Licht, das von unten heraufstrahlte, blendete ihn. Er spürte, dass der Goldene wusste, was er getan hatte. Es gab nur Weniges, was den großen Drachen verborgen blieb. Sie konnten Herzen lesen, wenn man ihnen nur nahe genug war.

Beschämt wich Gonvalon zurück. Sich so gehen zu lassen war eines Drachenelfen unwürdig. Er war zwar ein Verstoßener in seinem Volk und doch war er zugleich auch ein Auserwählter. Sein Verständnis von Albenmark übertraf das all jener, die bei ihren Sippen blieben, bei Weitem. Der Schwebende Meister hatte sein Verborgenes Auge geöffnet. Er sah jetzt die geheime Welt. Alles was lebte, ja selbst jeden Stein betrachtete er mit neuem Blick. Er war vertraut geworden mit der wilden Kraft, die allem innewohnte. Eine zerstörerische Kraft, wenn man sie nicht recht einzuschätzen wusste. Und doch zugleich auch eine Kraft, die unermessliche Freuden schenkte. Und Macht!

Gonvalon atmete aus und versuchte sein inneres Gleichgewicht zu finden. Er ärgerte sich über seine Unbeherrschtheit, kannte seine Schwächen und gab ihnen allzu oft nach.

Die Schritte klangen nun ganz nah. Er hatte den Kopf sinken lassen. Als er jetzt aufblickte, versetzte es ihm einen Stich, als er sah, wer vor ihm zum Goldenen gerufen worden war. Talinwyn! Sie war erst vor Kurzem in die Reihen der Auserwählten aufgenommen worden. Drei Jahre lang war sie seine Schülerin gewesen, und er hatte sie alles über das Töten mit Klingen gelehrt. Talinwyn war überaus talentiert gewesen und ein wenig zu ehrgeizig.

Gonvalon musterte sie abschätzend. Talinwyn schien von innen heraus zu strahlen. Sie lächelte ihn an. Ihr hochgeschlossenes dunkelgrünes Kleid mit Goldstickerei harmonierte vollkommen mit dem funkelnden Smaragdgrün ihrer Augen. Weißblondes, wallendes Haar rahmte ihr schmales Gesicht. Über den Rücken geschnallt trug sie Todbringer. Der wuchtige Zweihänder mit der weit ausladenden Parierstange wirkte viel zu groß für die zierliche Elfe. Gonvalon hatte ihr von dieser Waffe abgeraten, aber sie hatte nur gelacht. Nach der Aufnahme unter die Drachenelfen stand es jedem Krieger frei, im Waffensaal eine Klinge zu wählen, mit der er künftig kämpfen wollte.

Gonvalon betrachtete Talinwyns Schwert selbst jetzt noch mit einer Mischung aus Missbilligung und Entsetzen. Dreimal hatte die Elfe ihn bei Übungskämpfen mit der Klinge verletzt. Es waren allesamt nur leichte Wunden gewesen, doch jede einzelne war eine Demütigung. Es kam nicht oft vor, dass eine Schülerin einen Lehrer verletzte! Talinwyns Geschick mit der übergroßen Klinge hatte ihm jedenfalls manch spitze Bemerkung durch die übrigen Meister der Weißen Halle eingebracht.

Gonvalon kannte alle Geschichten um Todbringer. Die Waffe war verflucht, auch wenn das niemand offen aussprach. Jeder, der dieses Schwert erwählt hatte, war für seine Heldentaten berühmt geworden. Und niemand hatte seine Wahl um mehr als drei Jahre überlebt. Todbringer machte seinem Namen alle Ehre. Es zerschmetterte Feinde mit der Gewalt von Drachenkrallen. Es hieß, der Goldene habe es einst erschaffen, um damit Devanthar zu töten. Gonvalon hielt das für ein Gerücht, hatte aber dennoch das Gefühl, die Klinge sei von einer dunklen Magie durchdrungen, die nicht der Schöpfung der Alben entstammte.

»Liuvar«, grüßte er Talinwyn und war sich der Ironie des Augenblicks bewusst. Ihr Frieden zu wünschen grenzte in Anbetracht dieses Schwertes auf ihrem Rücken an Hohn.

»Liuvar«, entgegnete sie gut gelaunt. »Du siehst blass aus.«

Gonvalon musste an sich halten. Ein paar Atemzüge vergingen, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Vor zwei Monden hatte sie ihn verlassen und dabei übel verspottet. Sie war eine Schlange! Als sie der Überzeugung gewesen war, nichts mehr von ihm lernen zu können, hatte sie sich gegen ihn gewandt. Drei Jahre hatten sie das Lager miteinander geteilt. Er war sich bewusst gewesen, dass Lehrer nicht auf diese Weise mit ihren Schülerinnen verkehren sollten, und andere hatten ihn vor ihr gewarnt. Aber er hatte allen Rat in den Wind geschlagen.

Er hatte sie geliebt.

Erst in den letzten Tagen mit ihr war ihm bewusst geworden, wie einseitig diese Liebe immer schon gewesen war. Ihr letzter Übungskampf war zu einem Duell auf Leben und Tod eskaliert und endete nur deshalb ohne Blutvergießen, weil Ailyn zwischen sie getreten war. Und Ailyn widersetzte man sich nicht. Sie war die erfahrenste Kriegerin unter den Drachenelfen der Weißen Halle.

»Ich habe eine Mission, die einer Schwertmeisterin würdig ist. Du wirst davon hören«, flüsterte Talinwyn, als sie an ihm vorüberging. Sie versuchte erst gar nicht, den Triumph, den sie empfand, zu verbergen. »Ich werde dorthin gehen, wohin noch kein Elf vor mir gegangen ist.«

»Dann viel Glück, kleine Schwester«, entgegnete er ruhig.

Er hörte, wie sie im Schritt innehielt. Bestimmt sah sie ihm hinterher. Aber er würde sich nicht umdrehen. Er konnte ihren Anblick nicht ertragen. Sie war so schön! Er hatte es nicht geschafft, sie sich aus dem Herzen zu reißen, so wie er es sich schon hundert Mal vorgenommen hatte. Er war ein Narr!

Wusste der Goldene darum? Natürlich wusste er es. Er wusste alles. Und dass er Talinwyn vor ihm gerufen hatte, machte deutlich, welchen Rang er nun unter den Drachenelfen bekleidete. Seine Schülerin wurde ihm vorgezogen. Sie hatte ihn besiegt! Hoffentlich ersparte ihm der Goldene die Demütigung, mit ihr gemeinsam fliegen zu müssen und unter ihrem Befehl zu stehen. Lieber würde er sich von einer Klippe stürzen, denn er wusste auch, dass ein einziges freundliches Wort von ihr genügen würde, ihn wieder gefügig zu machen. Er war ihr verfallen und musste auf andere Gedanken kommen. Hoffentlich sandte ihn der Goldene auf eine lange Mission, bei der er viel Blut vergießen konnte. Vielleicht hatte er ja Glück und er schickte ihn los, um eines der geheimnisvollen Tunnelschiffe der Zwerge zu stehlen.

Gonvalon war das Herz schwer. Es kam nur sehr selten vor, dass zwei Missionen ausgesandt wurden. Manchmal vergingen viele Monde, bis die Drachen ihre Elfen riefen. Dass gleich vier an einem Tag verschickt worden waren, war etliche Jahre her. Manchmal geschah es, dass die Himmelsschlangen einen Krieger an einen ihrer Nestbrüder ausliehen, weil er besondere Fähigkeiten besaß. Es geschah nur sehr selten und wenn, dann war der Meister des Elfen zugegen, während ihm der fremde Drache seine Mission nannte. Gonvalon hatte noch nie für einen anderen Drachen als den Goldenen gefochten. War es das, was ihn heute erwartete? Wurde er deshalb nach Talinwyn gerufen?

Die Schritte wurden Gonvalon schwerer, je weiter sie ihn in die Tiefe führten. Und noch schwerer war ihm sein Herz. Der Gedanke, unter Talinwyns Befehl zu stehen, war niederschmetternd, und doch würde er sein Leben wagen, um sie bei Gefahr zu retten. Er war ein verdammter, verliebter Narr.

Endlich machte die breite Rampe ihre letzte Kehre, und er sah den Goldenen, den herrlichsten unter den alten Drachen. Seinen Meister! Obwohl der Schwertmeister den Goldenen schon oft gesehen hatte, verschlug es ihm erneut den Atem. Er war Macht und Schönheit in vollkommener Harmonie. Wer seine Aufmerksamkeit besaß, fühlte sich unter allen hervorgehoben. Gonvalons Ärger darüber, mit Talinwyn reisen zu müssen, verflog. Alles würde sich fügen! Die Drachen waren die Statthalter der Alben. Ihnen war die Welt anvertraut, und man konnte sich keine weiseren Herrscher wünschen.

Die Schuppen des Drachen, der vor ihm in einer weiten Höhle ausgestreckt lag, erschienen wie aus lauterem Gold geschmiedet. Ein sanftes Licht strahlte aus ihnen. Ein Licht, das nichts Vergleichbares fand, wie lebendig wirkte, keine Schatten in seiner Nähe duldete, sich um Ecken wand und bis in den hintersten Winkel drang. In den großen, bernsteinfarbenen Augen des Goldenen schien ein Lächeln zu liegen. Die lange, geschlitzte Pupille war nur ein schmaler Strich.