»Was weiß sie denn über Rüstungen?« murrte Caramon.
Flußwind sah den Krieger an und lächelte das seltene Lächeln, das sein ernstes Gesicht weicher werden ließ. »Du vergißt«, sagte er, »sie ist die Tochter des Stammeshäuptlings. Es war ihre Pflicht bei der Abwesenheit ihres Vaters, den Stamm in den Krieg zu führen. Sie weiß eine Menge über Rüstungen, Krieger- und sogar noch mehr über das Herz, das in ihrer Brust schlägt.«
Caramon wurde rot. Nervös hob er ein Paket Proviant auf und sah hinein. »Was ist das für ein Zeug?« fragte er.
»Quithpa«, antwortete Gilthanas. »Eiserne Rationen, in eurer Sprache. Im Notfall kommen wir damit viele Wochen aus.«
»Es sieht aus wie Trockenobst!« sagte Caramon. »Das ist es auch«, entgegnete Tanis grinsend. Caramon stöhnte auf.
Die Dämmerung begann schon die spärlichen Gewitterwolken in ein blasses kühles Licht zu färben, als Gilthanas die Gruppe aus Qualinost führte. Tanis hielt seine Augen nach vorn gerichtet, er wollte sich nicht umschauen. Er wünschte, daß seine letzte Reise hierher glücklicher verlaufen wäre. Er hatte Laurana den ganzen Morgen nicht gesehen, und obwohl er erleichtert war, einem tränenvollen Abschied aus den Weg gegangen zu sein, wunderte er sich insgeheim, warum sie ihm nicht Lebwohl gesagt hatte.
Der Pfad verlief nach Süden und allmählich bergab. Er war mit Gebüsch dicht bewachsen gewesen, aber die Krieger, die Gilthanas vorher angeführt hatte, hatten ihn freigemacht, so daß sie relativ mühelos vorwärtskamen. Caramon ging neben Tika, die in ihrer nicht zusammenpassenden Rüstung prächtig aussah, und erteilte ihr Unterricht im Schwertgebrauch. Unglücklicherweise hatte der Lehrer eine furchtbare Zeit.
Goldmond hatte Tikas roten Magdrock bis zu den Oberschenkeln aufgeschlitzt, damit sie sich leichter bewegen konnte. Tikas weißes, fellbesetztes Unterkleid lugte verführerisch durch die Schlitze. Beim Gehen wurden ihre Beine sichtbar; und die Beine des Mädchens waren genauso, wie Caramon sie sich immer vorgestellt hatte – rund und wohlgeformt. Darum empfand Caramon es als sehr schwierig, sich auf seine Lektion zu konzentrieren. Völlig in Anspruch genommen von seiner Schülerin, hatte er nicht einmal bemerkt, daß sein Bruder verschwunden war.
»Wo ist der junge Magier?« fragte Gilthanas barsch.
»Vielleicht ist ihm etwas passiert«, sagte Caramon besorgt, sich selbst verfluchend, daß er seinen Bruder vergessen hatte. Der Krieger zog sein Schwert und wollte zurückeilen.
»Unsinn!« Gilthanas hielt ihn auf. »Was sollte ihm denn passiert sein? Meilenweit gibt es hier keine Feinde. Er muß den Weg verlassen haben – aus irgendeinem Grund.«
»Was meinst du damit?« fragte Caramon mit finsterem Blick.
»Vielleicht ging er, um…«
»Um zu sammeln, was ich für meine Magie brauche, Elf«, flüsterte Raistlin, der aus einem Gebüsch trat. »Und um die Kräutervorräte aufzufüllen, die meinen Husten lindern.«
»Raist!« Caramon erdrückte ihn fast vor Erleichterung. »Du solltest nicht allein fortgehen – es ist gefährlich.«
»Meine Zauberzutaten sind geheim«, flüsterte Raistlin wütend und schob seinen Bruder zur Seite. Auf seinen Zauberstab gestützt, gesellte er sich wieder zu Fizban.
Gilthanas warf Tanis einen durchdringenden Blick zu, der die Achseln zuckte und den Kopf schüttelte. Als die Gruppe ihren Marsch fortsetzte, wurde der Pfad immer steiler und führte aus den Espenwäldern in den Nadelwald des Flachlandes. Er wand sich einen klaren Bach entlang, der schon bald zu einem reißenden Strom wurde, als sie weiter nach Süden marschierten.
Als sie für ein hastiges Mittagsmahl anhielten, setzte sich Fizban zu Tanis. »Jemand verfolgt uns«, sagte er in durchdringendem Flüsterton.
»Was?« fragte Tanis und sah den alten Mann ungläubig an.
»Ja, wirklich«, nickte der alte Magier eindringlich. »Ich habe es gesehen – es bewegt sich blitzschnell zwischen den Bäumen.«
Sturm sah Tanis’ besorgten Blick. »Was ist los?«
»Der Alte meint, wir werden verfolgt.«
»Quatsch!« Gilthanas warf seinen letzten Bissen Quithpa voller Abscheu fort und erhob sich. »Das ist unsinnig. Laßt uns nun aufbrechen. Der Sla-Mori ist noch viele Meilen entfernt, und wir müssen bis Sonnenuntergang dort sein.«
»Ich übernehme die Nachhut«, sagte Sturm leise zu Tanis.
Viele Stunden wanderten sie durch den verwilderten Kiefernwald. Die Sonne verschwand langsam am Horizont, als die Gruppe plötzlich auf eine Lichtung stieß.
»Pssst!« warnte Tanis und trat beunruhigt zurück.
Caramon, sofort auf der Hut, zog sein Schwert und gab mit der anderen Hand seinem Bruder und Sturm Zeichen.
»Was ist denn?« piepste Tolpan. »Ich kann nichts sehen!«
»Pssst!« Tanis sah den Kender wütend an, und Tolpan schlug sich selbst auf den Mund, um Tanis die Mühe zu ersparen.
Die Lichtung mußte noch vor kurzem Schauplatz einer blutigen Schlacht gewesen sein. Körper von Menschen und Hobgoblins lagen in den obszönen Stellungen des brutalen Todes herum. Die Gefährten sahen sich furchtsam um und lauschten lange Zeit, konnten aber außer dem tosenden Strom nichts hören.
»Meilenweit kein Feind!« Sturm sah Gilthanas finster an und wollte auf die Lichtung zugehen.
»Warte!« sagte Tanis. »Ich glaube, etwas hat sich bewegt!«
»Vielleicht lebt einer von denen noch«, sagte Sturm kühl und ging weiter. Die anderen folgten ihm langsam. Ein leises Stöhnen drang von zwei Hobgoblinleichen herüber. Die Krieger gingen mit gezogenen Schwertern durch die Leichenberge.
»Caramon…«, zeigte Tanis.
Der Krieger schob die Körper auseinander. Darunter lag ein jammerndes Wesen.
»Ein Mensch«, berichtete Caramon. »Stark blutend. Bewußtlos, glaube ich.«
Die anderen kamen näher, um sich den Mann anzusehen. Goldmond wollte sich zu ihm knien, aber Caramon hielt sie auf.
»Nein, meine Dame«, sagte er leise. »Es könnte sinnlos sein, ihn zu heilen, sollten wir ihn hinterher wieder töten müssen. Vergiß nicht – in Solace haben Menschen für den Drachenfürsten gekämpft.«
Der Mann trug ein Kettenhemd von sichtbar guter Qualität. Seine Kleider waren kostbar, aber an einigen Stellen war der Stoff verschlissen. Er schien Ende Dreißig zu sein. Sein Haar war dicht und schwarz, sein Kinn entschlossen und seine Gesichtszüge regelmäßig. Der Fremde öffnete die Augen und starrte erschöpft auf die Gefährten.
»Dank den Göttern der Sucher!« sagte er heiser. »Meine Freunde – sind sie alle tot?«
»Sorge dich erst um dich«, sagte Sturm ernst. »Sag uns, wer deine Freunde waren – die Menschen oder die Hobgoblins?«
»Die Menschen – Krieger gegen die Drachenmänner.« Der Mann brach ab, seine Augen waren weit aufgerissen. »Gilthanas?«
»Eben«, sagte Gilthanas überrascht. »Wie hast du den Kampf in der Schlucht überlebt?«
»Wie hast du ihn denn überlebt?« Der Mann mit dem Namen Eben versuchte, sich zu erheben. Caramon reichte ihm hilfsbereit seine Hand, als Eben plötzlich zeigte: »Seht! Drak…«
Caramon fuhr herum und ließ Eben wieder fallen. Die anderen folgten seinem Blick: Zwölf Drakonier standen mit gezogenen Waffen am Rande der Lichtung.
»Alle Fremden in diesem Land werden dem Drachenfürsten zur Vernehmung vorgeführt«, rief einer. »Wir fordern Euch auf, ohne Widerstand mitzukommen.«
»Niemand sollte diesen Weg nach Sla-Mori kennen«, flüsterte Sturm Tanis mit einem bedeutungsvollen Blick zu Gilthanas zu. »So sagte jedenfalls der Elf.«
»Wir nehmen keine Befehle von Lord Verminaard entgegen!« gellte Tanis, Sturm ignorierend.
»Das werdet ihr noch früh genug«, sagte der Drakonier und winkte mit der Hand. Die Kreaturen drängten zum Angriff.
Fizban, der am Rande des Waldes stand, zog etwas aus seinem Beutel und begann einige Worte zu murmeln.
»Keine Feuerkugel!« zischte Raistlin und griff nach dem Arm des alten Magiers. »Du wirst alle verbrennen!«