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»O wirklich? Da hast du wohl recht.« Der alte Magier seufzte enttäuscht auf, dann strahlte er wieder. »Warte – ich denke mir etwas anderes aus.«

»Bleib einfach hier in Deckung stehen!« befahl Raistlin. »Ich gehe zu meinem Bruder.«

»Wie war das bloß noch mit diesem Netzzauber…?« grübelte der alte Mann.

Tika, die ihr neues Schwert gezogen hatte und kampfbereit dastand, zitterte vor Furcht und Aufregung. Ein Drakonier stürzte auf sie zu, und sie holte zu einem kraftvollen Schlag aus. Die Klinge verfehlte den Drakonier um eine Meile und Caramons Kopf um einige Millimeter. Er zog Tika hinter sich und schlug den Drakonier mit der flachen Seite seines Schwertes zu Boden. Bevor er sich erheben konnte, trat Caramon auf seine Kehle und brach ihm das Genick.

»Bleib hinter mir«, sagte er zu Tika, dann sah er auf das Schwert, mit dem sie immer noch wild um sich fuchtelte. »Noch besser ist«, fügte Caramon nervös hinzu, »wenn du dort hinüber zu Goldmond rennst.«

»Ich will aber nicht«, sagte Tika entrüstet. »Ich werde es ihm schon zeigen«, murmelte sie, ihre verschwitzten Handflächen rutschten über den Schwertgriff. Zwei weitere Drakonier bedrängten Caramon, aber nun war sein Bruder an seiner Seite – die beiden vereinigten Magie und Eisen zur Zerstörung ihres Feindes. Tika wußte, daß sie ihnen nur im Wege stehen würde, und sie hatte vor Raistlins Wut mehr Angst als vor den Drakoniern. Sie sah sich um, ob jemand ihre Hilfe brauchen konnte. Sturm und Tanis kämpften Seite an Seite, Gilthanas kämpfte in – man sollte es nicht glauben – Zusammenarbeit mit Flint, während Tolpan – seinen Hupak hatte er auf den Boden gelegt eine tödliche Steinladung durch das Feld sausen ließ. Goldmond stand unter den Bäumen, neben ihr Flußwind. Der alte Magier hatte sein Zauberbuch hervorgekramt und blätterte die Seiten durch.

»Netz… Netz… wie ging das nochmal?« murmelte er.

»Aaaarrgghh!« Ein Kreischen hinter Tika hätte beinahe dazu geführt, daß sie ihre Zunge abgebissen hätte. Sie wirbelte herum und ließ ihr Schwert fallen, als ein grauenvoll lachender Drakonier durch die Luft auf sie zuflog. Völlig panisch hielt Tika ihren Schild mit beiden Händen hoch und schlug dem Drakonier damit in seine furchterregende Reptilienfratze. Der Schlag riß ihr fast den Schild aus den Händen, aber er ließ die Kreatur bewußtlos zu Boden sinken. Tika hob ihr Schwert auf, und mit einer wilden Grimasse stieß sie ins Herz der Kreatur. Sein Körper verwandelte sich sofort in Stein und schloß ihr Schwert ein. Tika konnte ziehen und zerren, es blieb im Körper stecken.

»Tika, zu deiner Linken!« gellte Tolpan schrill.

Tika taumelte herum und sah einen weiteren Drakonier. Sie schwang ihren Schild und blockte seinen Schwerthieb ab. Dann, mit einer aus Angst geborenen Kraft, schlug sie immer wieder mit ihrem Schild auf den Drakonier ein, sie wußte nur, daß sie dieses Ding da töten mußte. Sie drosch weiter auf ihn ein, bis sie eine Hand auf ihrem Arm fühlte. Sie fuhr mit ihrem blutverschmierten Schild herum und sah Caramon.

»Es ist alles in Ordnung!« sagte der Krieger besänftigend. »Es ist alles vorbei, Tika. Sie sind alle tot. Du hast es gut gemacht, ganz gut.«

Tika blinzelte. Einen Moment lang erkannte sie ihn nicht wieder. Dann senkte sie zitternd ihren Schild.

»Mit dem Schwert war ich nicht so gut«, sagte sie, immer noch zitternd.

Caramon bemerkte es. Er nahm sie fest in seine Arme und strich ihr über die verschwitzten roten Locken.

»Du warst mutiger als viele erfahrene Krieger«, sagte der große Mann mit seiner tiefen Stimme.

Tika sah hoch in Caramons Augen. Ihre Angst schmolz weg, und an ihre Stelle trat eine tiefe Freude. Sie schmiegte sich an Caramon. Seine harten Muskeln an ihrem Leib und der Geruch von Schweiß, vermischt mit dem von Leder, erhöhten ihre Aufregung. Tika schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn mit solch einer Heftigkeit, daß ihre Zähne in seine Lippen drangen und sie sein Blut schmeckte.

Caramon, völlig erstaunt, spürte den Schmerz – ein seltsamer Gegensatz zu ihren weichen Lippen – und wurde von Lust überwältigt. Er begehrte diese Frau mehr, als er je eine andere begehrt hatte – und es waren viele gewesen – in seinem Leben. Er vergaß, wo er war, wer um ihn herum war. Sein Gehirn und sein Blut gerieten in Wallung, und er spürte den Schmerz seiner Leidenschaft. Er preßte Tika an seine Brust, hielt sie fest und küßte sie mit fast brutaler Intensität.

Den Schmerz seiner Umarmung empfand Tika als herrlich. Sie sehnte sich danach, daß der Schmerz zunehmen und sie einnehmen würde, aber gleichzeitig hatte sie plötzlich Angst. Sie erinnerte sich an die Geschichten, die ihre Freundinnen über die furchtbaren und wunderschönen Dinge erzählt hatten, die zwischen Mann und Frau passieren, und Panik ergriff sie.

Caramon verlor völlig den Sinn für die Wirklichkeit. Er hielt Tika in seinen Armen fest und hatte nur den einen Wunsch – sie in den Wald zu tragen, als er eine kalte vertraute Hand an seiner Schulter spürte.

Der große Mann starrte seinen Bruder an und fiel wieder in die Wirklichkeit zurück. Sanft setzte er Tika wieder auf dem Boden ab. Benommen und desorientiert öffnete sie die Augen, um Raistlin neben seinem Bruder stehen zu sehen, der sie mit seinen seltsam funkelnden Augen musterte.

Tika wurde über und über rot. Sie trat zurück, fiel fast über den Körper des Drakoniers, hob ihren Schild auf und rannte davon.

Caramon schluckte, räusperte sich und wollte etwas sagen, aber Raistlin sah ihn nur voller Abscheu an und ging zu Fizban zurück. Caramon, der wie ein neugeborenes Füllen zitterte, seufzte schwach und gesellte sich zu Sturm, Tanis und Gilthanas, die mit Eben redeten.

»Nein, mir geht es gut«, versicherte der Mann. »Ich fühlte mich nur ein bißchen schwach, als ich diese Kreaturen sah, das ist alles. Ihr habt wirklich eine Klerikerin dabei? Das ist wundervoll, aber sie soll ihre Heilkräfte nicht verschwenden. Es ist nur ein Kratzer. Es ist mehr Blut von ihnen als von mir. Meine Gruppe und ich verfolgten diese Drakonier durch die Wälder, als wir von mindestens vierzig Hobgoblins angegriffen wurden.«

»Und du bist als einziger geblieben, um diese Geschichte zu erzählen«, sagte Gilthanas.

»Ja«, erwiderte Eben und begegnete dem argwöhnischen Blick des Elfen. »Ich bin ein erfahrener Schwertkämpfer – wie du weißt. Ich habe diese getötet« – er zeigte auf sechs Hobgoblins – »dann wurden es zu viele. Die anderen müssen angenommen haben, daß ich tot sei, und ließen mich liegen. Aber genug von meinen Heldentaten. Ihr geht recht gut mit euren Schwertern um. Wohin wollt ihr?«

»Zum Sla…«, begann Caramon, aber Gilthanas schnitt ihm das Wort ab.

»Wir reisen in geheimer Mission«, sagte Gilthanas. Dann fügte er vorsichtig hinzu. »Wir könnten noch einen erfahrenen Schwertkämpfer gebrauchen…«

»Solange ihr gegen Drakonier kämpft, ist euer Kampf mein Kampf«, sagte Eben erfreut. Er zog seinen Rucksack unter dem Körper eines Hobgoblins hervor und schwang ihn sich über die Schulter.

»Ich heiße Eben Sprungstein. Ich bin aus Torweg. Ihr habt sicherlich von meiner Familie gehört«, sagte er. »Wir hatten eine der beeindruckendsten Villen westlich von…«

»Das ist es!« schrie Fizban. »Mir ist es wieder eingefallen!« plötzlich füllte sich die Luft mit Strängen von klebrigen, schwebenden Spinnweben.

Die Sonne war schon fast untergegangen, als die Gruppe eine offene, von hohen Bergen umgrenzte Ebene erreichte. In Rivalität mit dem Gebirge lag die gigantische Festung, bekannt als Pax Tarkas, die den Paß zwischen den Bergen bewachte. Die Gefährten starrten sie in stummer Ehrfurcht an.

Tika gingen die Augen über beim Anblick der massiven, hoch aufragenden Zwillingstürme. »So etwas Großes habe ich noch nie gesehen! Wer hat das gebaut? Es müssen mächtige Menschen gewesen sein.«

»Es waren keine Menschen«, sagte Flint traurig. Sein Bart bebte, als er mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck auf Pax Tarkas schaute. »Elfen und Zwerge haben sie gemeinsam gebaut. Vor langer, langer Zeit, in friedlichen Tagen.«