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»Nein!« Tanis wollte ihr befehlen zurückzugehen, aber Fizban tippte mit seinen langen, knochigen Fingern auf seine Brust.

»Du bist ein guter Mann, Tanis Halb-Elf«, sagte der alte Magier leise, »aber du machst dir zuviel Sorgen. Jetzt entspann dich, und laß uns diese armen Seelen wieder in ihren Schlaf schicken. Hol die anderen, ja?«

Tanis, dem die Worte fehlten, wich zurück, als Goldmond und Fizban mit Flußwind im Gefolge weitergingen. Tanis beobachtete, wie sie langsam zwischen den Reihen der geöffneten Türen dahinschritten. Sobald sie sich von einer Tür entfernten, hörte die Bewegung dahinter auf. Selbst aus der Entfernung konnte er spüren, wie sich der Eindruck der Bösartigkeit auflöste.

Als die anderen zum Eingang kamen und er ihnen half, beantwortete er ihre Fragen mit einem Schulterzucken. Laurana sagte kein Wort zu ihm, als sie durch das Loch stieg; ihre Hand fühlte sich kalt an, und zu seinem Erstaunen sah er Blut auf ihrer Lippe. Tanis war klar, daß sie sich auf die Lippe gebissen haben mußte, um nicht aufzuschreien, und reumütig wollte er ihr etwas sagen. Aber das Elfenmädchen hielt den Kopf hoch und sah ihn nicht an.

Die anderen rannten eilig hinter Goldmond her. Nur Tolpan blieb stehen, um in die Gruft hinter eine der Türen zu spähen. Er sah eine hochgewachsene Gestalt in prächtiger Rüstung auf einem steinernen Totenbett liegen. Skeletthände hielten ein Langschwert, das über seinem Körper lag. Tolpan sah neugierig auf das Königliche Wappen und versuchte, die Worte nachzusprechen.

»Sothi Nuinqua Tsalarioth«, sagte Tanis plötzlich.

»Was bedeutet das?« fragte Tolpan.

»Treu über den Tod hinaus«, antwortete Tanis leise.

Am westlichen Ende der Kammer fanden sie eine bronzene Doppeltür. Goldmond stieß sie mühelos auf. Sie betraten einen langen Korridor. In diesem Raum standen sie nur einem Problem gegenüber – den Zwerg wieder hinauszubekommen. Der Korridor war vollkommen unversehrt – der einzige Raum des Sla-Mori, den sie gesehen hatten, der die Umwälzung ohne Schaden überstanden hatte. Und der Grund dafür lag, wie Flint allen erklärte, in der wundervollen Zwergenkonstruktion – insbesondere den dreiundzwanzig Säulen, die die Decke stützten.

Der einzige Ausgang waren zwei identische Bronzetüren am anderen Ende der Kammer. Flint, der sich von den Säulen wegriß, untersuchte die Türen und kam zu dem Schluß, daß er keine Idee hatte, was sich hinter ihnen befinden oder wohin sie führen könnten. Nach kurzer Diskussion entschied sich Tanis für die rechte Tür.

Die Tür führte sie in eine saubere, enge Passage und nach etwa fünfzehn Metern zu einer weiteren Bronzetür, die jedoch verschlossen war. Caramon drückte und schob, aber ohne Erfolg.

»Es hat keinen Sinn«, knurrte er. »Sie bewegt sich nicht.«

Flint beobachtete Caramon einige Minuten, dann stapfte er schließlich nach vorn. Er untersuchte die Tür, schnaufte und schüttelte den Kopf. »Es ist eine Scheintür!«

»Sieht für mich aber sehr wirklich aus!« sagte Caramon und blickte argwöhnisch auf die Tür. »Sie hat sogar Scharniere!«

»Natürlich hat sie Scharniere«, schnaufte Flint. »Wir bauen keine Scheintüren, die falsch aussehen – das weiß doch jeder Gossenzwerg.«

»Wir sind also in einer Sackgasse!« sagte Eben grimmig.

»Tretet zurück«, flüsterte Raistlin und lehnte vorsichtig seinen Stab an die Wand. Dann legte er beide Hände auf die Tür, berührte sie aber nur mit seinen Fingerspitzen und befahclass="underline" »Khetsaram pakliol!« Orangefarbenes Licht blitzte auf, aber nicht von der Tür, sondern von der Wand!

»Los!« Raistlin konnte gerade noch seinen Bruder zurückziehen, als sich die Wand mit der Bronzetür zu drehen begann.

»Schnell, bevor sie sich wieder schließt«, sagte Tanis, und alle eilten durch die Öffnung. Raistlin taumelte, und Caramon griff nach seinem Bruder.

»Alles in Ordnung?« fragte Caramon, als sich hinter ihnen die Wand wieder schloß.

»Ja, die Schwäche wird vorübergehen«, flüsterte Raistlin. »Das war der erste Zauberspruch aus Fistandantilus’ Buch. Der Öffnungszauber funktioniert, aber ich hätte nicht gedacht, daß es mich so erschöpfen würde.«

Die Tür führte sie in einen weiteren, mehr als zwanzig Meter langen Flur, der nach Westen verlief, eine scharfe Biegung nach Süden machte, dann nach Osten und schließlich wieder nach Süden, wo sie sich vor einer weiteren Bronzetür wiederfanden.

Raistlin schüttelte den Kopf. »Ich kann den Zauber nur einmal anwenden. Dann ist er aus meinem Gedächtnis verschwunden.«

»Eine Feuerkugel könnte die Tür öffnen«, schlug Fizban vor. »Ich glaube, ich erinnere mich jetzt an den Spruch…«

»Nein, Alter«, warf Tanis hastig ein. »In diesem engen Flur würden wir alle verbrennen. Tolpan…«

Der Kender ging zur Tür und drückte sie auf. »Verdammt, sie ist offen«, sagte er, enttäuscht, daß er kein Schloß knacken konnte. Er spähte hindurch. »Nur ein weiterer Raum.«

Vorsichtig traten sie ein. Raistlin leuchtete die Kammer mit seinem Stab aus. Der Raum war vollkommen rund und hatte einen Durchmesser von mehr als dreißig Metern. Direkt ihnen gegenüber in südlicher Richtung befand sich eine Bronzetür und mitten im Raum…

»Eine krumme Säule«, sagte Tolpan kichernd. »Sieh mal, Flint. Die Zwerge haben eine krumme Säule gebaut!«

»Sie werden ihre Gründe gehabt haben«, schnappte der Zwerg und schob den Kender beiseite, um die hohe schlanke Säule zu untersuchen. Sie war wirklich krumm.

»Hmmmm«, machte Flint verwirrt. Dann – »Das ist überhaupt keine Säule, du Dummkopf!« explodierte Flint. »Das ist eine große Kette! Seht, sie ist mit einem Eisenträger am Boden befestigt.«

»Dann sind wir im Kettenraum!« sagte Gilthanas aufgeregt. »Das ist der berühmte Verteidigungsmechanismus von Pax Tarkas. Wir müssen uns schon fast in der Festung befinden.«

Die Gefährten versammelten sich und starrten verwundert auf die monströse Kette. Jedes Kettenglied war genauso groß wie Caramon und so dick wie der Stamm einer Eiche.

»Und wie funktioniert der Mechanismus?« fragte Tolpan, der am liebsten die Kette hochgeklettert wäre. »Wohin führt sie?«

»Die Kette führt zum Mechanismus«, antwortete Gilthanas. »Der Zwerg kann dir bestimmt sagen, wie er funktioniert, denn von solchen Dingen verstehe ich wenig. Aber wenn die Kette aus ihrer Halterung gelöst wird« – er zeigte auf den Eisenträger am Boden – , »dann fallen hinter den Toren der Festung riesige Granitblöcke nieder. Und keine Macht auf Krynn kann sie öffnen.«

Er ließ den Kender allein, der nach oben blickte und vergeblich versuchte, den wunderlichen Mechanismus zu erkennen, und gesellte sich zu den anderen, die den Raum untersuchten.

»Seht her!« rief er schließlich und zeigte auf einen kaum erkennbaren Umriß in der nördlichen Steinwand. »Eine Geheimtür! Das muß der Zugang sein!«

»Da ist die Türklinke.« Tolpan wandte sich von der Kette ab und deutete auf ein abgebröckeltes Steinstück am Boden. »Die Zwerge haben einen Fehler gemacht«, sagte er und grinste Flint an. »Das ist eine Scheintür, die falsch aussieht.«

»Und der man folglich nicht trauen sollte«, fügte Flint hinzu.

»Pah, auch Zwerge haben mal einen schlechten Tag«, sagte Eben und beugte sich zu dem Öffnungsmechanismus.

»Öffne sie nicht!« sagte Raistlin plötzlich.

»Warum nicht?« fragte Sturm. »Möchtest du jemanden warnen, bevor wir den Weg in die Festung finden?«

»Wenn ich dich verraten wollte, Ritter, dann hätte ich das schon tausendmal machen können!« zischte Raistlin und starrte auf die Geheimtür. »Ich spüre hinter dieser Tür eine Macht, größer als ich je gefühlt habe, seit…« Er stockte schaudernd.

»Seit wann?« fragte sein Bruder leise.

»Den Türmen der Erzmagier!« wisperte Raistlin. »Ich warne euch, öffnet nicht diese Tür!«

»Sieh nach, wohin die Südtür führt«, wies Tanis den Zwerg an.

Flint stapfte zu der Bronzetür und schob sie auf. »Soweit ich sagen kann, führt sie zu einem weiteren Flur, genauso wie die anderen«, berichtete er niedergeschlagen.