Der zerbrechliche Mann schüttelte den Kopf. »Heißes Wasser«, flüsterte er.
Tika nickte und drehte sich um, um wie gewöhnlich die Bestellung an die Küche weiterzugeben. Dann erinnerte sie sich, daß die Küche ja zerstört war, fuhr herum und steuerte auf die provisorische Küche zu, die von Goblins unter Aufsicht der Drakonier gebaut worden war. Dort erstaunte sie den Koch, als sie ohne ein Wort die ganze Bratpfanne mit Würzbratkartoffeln nahm und in die Gaststube trug.
»Bier für alle und einen Krug heißes Wasser!« rief sie Dezra hinter der Theke zu. Sie gab den Hobgoblins Zeichen, während sie zu den neuen Gästen zurückeilte. Während sie die Bratpfanne auf dem Tisch abstellte, warf sie den Drakoniern einen schnellen Blick zu. Als sie sah, daß diese ins Trinken vertieft waren, schlang sie plötzlich ihre Arme um den breiten Mann und gab ihm einen Kuß, der ihn erröten ließ.
»O Caramon«, wisperte sie. »Ich wußte, du würdest wegen mir zurückkommen! Nimm mich mit! Bitte, bitte!«
»Nun, nun«, sagte Caramon, tätschelte verlegen ihren Rücken und sah flehend zu Tanis. Der Halb-Elf mischte sich schnell ein, indem er seine Augen auf die Drakonier richtete.
»Tika, beruhige dich«, sagte er. »Wir haben Zuschauer.«
»Du hast recht«, sagte sie lebhaft, richtete sich auf und glättete ihre Schürze. Sie deckte den Tisch und begann, die Würzkartoffeln auszuteilen, als Dezra Bier und heißes Wasser brachte.
»Was ist in Solace passiert?« fragte Tanis mit leiser Stimme.
Tika berichtete schnell, was vorgefallen war, während sie die Teller füllte, wobei sie Caramon die doppelte Portion gab. Die Gefährten lauschten in bitterem Schweigen.
»Und jetzt«, schloß Tika, »sind hier pausenlos die Sklavenkarawanen nach Pax Tarkas unterwegs. Inzwischen haben sie fast alle gefangengenommen, nur brauchbare Handwerker, wie Theros Eisenfeld, dürfen bleiben. Ich habe Angst um ihn.« Sie sprach noch leiser. »Gestern abend hat er mir geschworen, daß er nicht länger für sie arbeiten will. Es fing alles mit dieser Gruppe gefangener Elfen an…«
»Elfen? Was machen denn Elfen hier?« fragte Tanis. Vor Aufregung sprach er zu laut. Die Drakonier wandten sich zu ihm um; der Fremde mit der Kapuze hob seinen Kopf. Tanis kauerte sich zusammen und wartete, bis sich die Drakonier wieder ihrem Bier widmeten. Gerade als Tanis Tika weiter über die Elfen ausfragen wollte, bestellte ein Drakonier ein Bier.
Tika seufzte. »Ich gehe lieber.« Sie stellte die Bratpfanne ab. »Ihr könnt alles essen.«
Die Gefährten aßen lustlos, die Kartoffeln schmeckten nach Asche. Raistlin trank seinen selbstgemischten Kräutertee, worauf sich sein Husten fast umgehend verbesserte. Caramon beobachtete Tika beim Essen mit einem nachdenklichen Gesicht. Er konnte immer noch ihren warmen Körper fühlen, der ihn umarmt hatte, und ihre weichen Lippen. Angenehme Empfindungen durchströmten ihn, und er fragte sich, ob die Geschichten, die er über Tika gehört hatte, wohl stimmten. Der Gedanke stimmte ihn traurig und zugleich wütend.
Einer der Drakonier hob seine Stimme. »Wir sind zwar keine Menschen, an die du gewohnt bist, Süße«, lallte er und warf seinen schuppigen Arm um Tikas Taille. »Aber das heißt nicht, daß wir keine Mittel und Wege finden können, um dich glücklich zu machen.«
Caramon knurrte tief in seiner Brust. Sturm blickte finster drein und hatte seine Hand am Schwert. Als Tanis das bemerkte, sagte er eilig: »Hört beide auf! Wir sind in einer besetzten Stadt! Seid vernünftig. Es ist nicht die Zeit für Ritterlichkeit! Auch du, Caramon! Tika kann das selber regeln.«
Und er hatte recht: Tika entzog sich geschickt dem Griff des Drakoniers und stürzte wütend in die Küche.
»Nun, was machen wir jetzt?« murrte Flint. »Wir sind wegen Vorräten nach Solace gekommen und finden nichts außer Drakoniern. Mein Haus ist wenig mehr als ein paar ausgeglühte Kohlestücke. Tanis hat noch nicht einmal einen Vallenholzbaum, geschweige denn ein Zuhause. Wir haben nur diese Scheiben von irgendeiner alten Göttin und einen kranken Magier mit einigen neuen Zaubersprüchen.« Er ignorierte Raistlins wütenden Blick. »Wir können die Scheiben nicht essen, und der Magier hat nicht gelernt, ein Essen herbeizuzaubern; also selbst wenn wir wüßten, wohin wir gehen sollten, würden wir unterwegs verhungern!«
»Sollen wir immer noch nach Haven gehen?« fragte Goldmond und sah zu Tanis auf. »Was ist, wenn es dort genauso ist wie hier? Und woher wissen wir, ob die Versammlung der Sucher überhaupt noch existiert?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Tanis und seufzte. »Aber ich denke, wir sollten versuchen, Qualinesti zu erreichen.«
Tolpan, von der Unterhaltung gelangweilt, gähnte und lehnte sich zurück. Es war ihm egal, wohin sie gehen würden. Er schaute mit großem Interesse durch die Schankstube. Am liebsten hätte er sich die alte Küche angesehen, aber Tanis hatte ihn zuvor schon gewarnt, kein Aufsehen zu erregen. Also begnügte sich der Kender damit, die anderen Gäste genauer zu mustern.
Sofort fiel ihm der Fremde mit der Kapuze im vorderen Teil der Wirtsstube auf, der sie aufmerksam beobachtet hatte, als sich die Unterhaltung der Gefährten erhitzt hatte. Tanis hob seine Stimme, und das Wort »Qualinesti« ertönte noch einmal. Der Fremde setzte seinen Krug Bier mit einem Krachen ab. Tolpan wollte gerade Tanis’ Aufmerksamkeit auf ihn lenken, als Tika aus der Küche trat und die Drakonier bediente. Dann kam sie wieder zu den Gefährten.
»Kann ich noch mehr Kartoffeln haben?« fragte Caramon.
»Natürlich.« Tika lächelte ihn an und nahm die Bratpfanne, um Nachschub zu holen. Caramon spürte Raistlins Blick auf sich ruhen. Er errötete und begann, mit seiner Gabel zu spielen.
»In Qualinost…« wiederholte Tanis, seine Stimme war lauter geworden, da er sich mit Sturm stritt, der in den Norden wollte.
Tolpan sah den Fremden in der Ecke aufstehen und auf sie zukommen. »Tanis, wir kriegen Gesellschaft«, sagte der Kender leise.
Die Unterhaltung erstarb. Die Augen auf ihre Krüge gerichtet, konnten sie alle das Nahen des Fremden spüren und hören. Tanis verfluchte sich, daß er ihn nicht schon früher bemerkt hatte.
Aber die Drakonier hatten ihn entdeckt. Als er den Tisch der Kreaturen erreichte, streckte ein Drakonier seinen Klauenfuß aus, und der Fremde stolperte und fiel mit dem Kopf gegen einen Tisch. Die Kreaturen lachten laut. Dann erhaschte ein Drakonier einen flüchtigen Blick auf das Gesicht des Fremden.
»Elf!« zischte der Drakonier und riß ihm die Kapuze weg, um die mandelförmigen Augen und die männlichzarten Gesichtszüge eines Elfenlords zu enthüllen.
»Laßt mich vorbei«, sagte der Elf mit erhobenen Händen. »Ich möchte nur ein Wort mit diesen Reisenden dort reden.«
»Du wirst ein Wort mit dem Truppführer reden, Elf«, fauchte der Drakonier. Er sprang auf, packte den Fremden am Kragen und drückte ihn gegen die Theke. Die zwei anderen Drakonier lachten laut.
Tika, die mit der Bratpfanne auf dem Weg zur Küche war, ging auf die Drakonier zu. »Hört auf«, schrie sie und faßte einen Drakonier am Arm. »Laßt ihn in Ruhe. Er ist ein Gast, so wie Ihr auch.«
»Kümmere dich um deine Angelegenheiten, Mädchen!« Der Drakonier schob Tika beiseite, ergriff mit einer Klauenhand den Elf und schlug ihn zweimal ins Gesicht. Der Elf fing zu bluten an. Als der Drakonier ihn losließ, taumelte er und schüttelte benommen den Kopf.
»Ach, mach Schluß mit ihm«, rief einer der Männer aus dem Norden. »Bring ihn zum Kreischen wie die anderen!«
»Ich werde ihm seine Schlitzaugen aus dem Kopf schneiden, das werde ich tun!« Der Drakonier zog sein Schwert.
»Jetzt reicht’s aber!« Sturm eilte vor, die anderen hinterher, obwohl alle fürchteten, daß sie den Elfen kaum retten konnten – sie waren zu weit von ihm entfernt. Jemand anders kam ihnen zuvor. Mit einem schrillen Wutschrei ließ Tika Waylan ihre schwere gußeiserne Bratpfanne auf den Kopf des Drakoniers sausen.
Der Drakonier starrte Tika einen Moment stumpfsinnig an und glitt dann auf den Boden. Der fremde Elf sprang nach vorn und zog ein Messer, als die anderen zwei Drakonier sich auf Tika stürzten. Sturm erreichte sie und schlug einen Drakonier mit seinem Schwert nieder. Caramon fing den anderen in seinen riesigen Armen auf und schlug ihn gegen die Theke.