Als der Drakonier sich verbeugte und den Thronsaal verließ, begann Pyros wieder auf und ab zu schreiten und rieb sich lächelnd die Hände.
12
Das Gleichnis vom Edelstein. Verräter entlarvt. Tolpans Dilemma
»Hör auf damit, du Frechdachs!« Caramon lächelte geziert und schlug Eben auf die Finger, als dieser seine Hand verstohlen über Caramons Hemd gleiten ließ.
Die Frauen im Raum lachten so herzlich über die Possen der beiden Krieger, daß Tanis nervös zur Zellentür blickte, ängstlich, daß die Wachen Verdacht schöpfen könnten.
Maritta sah seinen beunruhigten Blick. »Mach dir wegen der Wachen keine Sorgen!« sagte sie mit einem Schulterzucken. »Hier unten sind nur zwei, und die Hälfte der Zeit sind sie betrunken, besonders jetzt, da die Armee ausgerückt ist.« Sie blickte von ihrer Näharbeit auf die Frauen und schüttelte den Kopf: »Es tut mir gut, sie lachen zu hören, die Armen«, sagte sie leise. »In diesen Zeiten haben sie wahrlich wenig Gelegenheit dazu.«
Vierunddreißig Frauen waren in einer Zelle zusammengepfercht – Maritta berichtete, daß in der Nachbarzelle sechzig Frauen leben würden – unter derart schockierenden Bedingungen, daß sogar die abgehärteten Gefährten entsetzt waren. Grobe Strohmatten bedeckten den Boden. Die Frauen besaßen nichts, außer einigen wenigen Kleidungsstücken. Jeden Morgen durften sie für eine kurze Zeit auf dem Hof Gymnastikübungen machen. Den Rest des Tages waren sie gezwungen, Drakonieruniformen zu nähen. Obwohl erst seit einigen Wochen eingesperrt, waren ihre Gesichter bleich und blaß, ihre Körper dünn und abgemergelt vom schlechten Essen.
Tanis entspannte sich. Obwohl er Maritta erst seit wenigen Stunden kannte, verließ er sich auf ihr Urteil. Sie war es gewesen, die die verängstigten Frauen beruhigt hatte, als die Gefährten in ihre Zelle eingedrungen waren. Sie war es gewesen, die ihrem Plan zugehört und gemeint hatte, daß er erfolgreich sein könnte.
»Unsere Männer werden sich euch anschließen«, sagte sie zu Tanis. »Aber die Sucherfürsten werden euch Schwierigkeiten bereiten.«
»Die Sucherfürsten?« fragte Tanis erstaunt. »Sind sie hier? Gefangen?«
Maritta nickte stirnrunzelnd. »Das war der Preis dafür, daß sie dem schwarzen Kleriker glaubten. Aber sie werden nicht gehen wollen, und warum auch? Sie müssen nicht in den Minen arbeiten – der Drachenfürst persönlich kümmert sich darum! Aber wir sind mit euch.« Sie blickte zu den anderen, die entschlossen nickten. »Unter einer Bedingung – daß ihr die Kinder keinen Gefahren aussetzt.«
»Dafür kann ich nicht garantieren«, sagte Tanis. »Ich möchte jetzt nicht grob klingen, aber wir müssen wohl gegen einen Drachen kämpfen, um zu ihnen zu gelangen und…«
»Gegen einen Drachen kämpfen? Flammenschlag?« Maritta sah ihn verblüfft an. »Pah! Es besteht keine Notwendigkeit, gegen diese erbarmungswürdige Kreatur zu kämpfen. Ganz im Gegenteil, wenn ihr sie verletzt, werdet ihr die Hälfte der Kinder gegen euch haben. Sie lieben ihn.«
»Einen Drachen?« fragte Goldmond. »Was hat er angestellt, einen Zauber auf sie geworfen?«
»Nein. Ich glaube nicht, daß Flammenschlag überhaupt noch einen Zauber auf irgend jemand werfen kann.« Maritta lächelte traurig. »Diese arme Kreatur ist mehr als halbverrückt. Ihre eigenen Kinder wurden in einem großen Krieg getötet, und nun hat sich in ihrem Kopf festgesetzt, daß unsere Kinder ihre Kinder wären. Ich weiß nicht, wo Ihre Lordschaft sie ausgegraben hat, aber er hat sich selbst damit keinen guten Dienst erwiesen, und ich hoffe, daß er irgendwann dafür bezahlen wird!« Sie durchbiß boshaft einen Faden.
»Es ist nicht schwierig, die Kinder zu befreien«, fügte sie hinzu, als sie Tanis’ besorgten Blick bemerkte. »Flammenschlag schläft immer sehr lange. Wir geben den Kindern Frühstück, nehmen sie zur Gymnastik mit nach draußen, und sie rührt sich nie. Sie wird erst merken, daß sie weg sind, wenn sie erwacht, das arme Ding.«
Die Frauen, zum ersten Mal voller Hoffnung, begannen alte Kleidungsstücke für die Gefährten abzuändern. Alles lief glatt, bis es zur Anprobe kam.
»Rasieren?« brüllte Sturm in solcher Wut, daß die Frauen zurückschreckten. Sturm hatte von der Verkleidungsidee nur eine undeutliche Vorstellung gehabt, sich aber dazu bereit erklärt. Es schien die beste Methode zu sein, den freien, offenen Hof zwischen der Festung und den Minen zu überqueren. Aber er hatte angekündigt, daß er lieber hundert Tode sterben würde, als sich seinen Schnurrbart abzurasieren. Er beruhigte sich erst, als Tanis vorschlug, sein Gesicht mit einem Schal zu bedecken.
Als dieses Problem gelöst war, tauchte ein weiteres auf. Flußwind erklärte kategorisch, daß er keine Frauenkleider anziehen würde, und nichts könnte ihn überzeugen, es doch zu tun. Goldmond nahm Tanis schließlich beiseite und erklärte, daß in ihrem Stamm jeder Krieger, der sich in einer Schlacht feige verhalten hatte, gezwungen wurde, Frauenkleider zu tragen, bis er seine Ehre wiederhergestellt hatte. Tanis war verblüfft über diese Sitte. Aber Maritta hatte sich sowieso gefragt, was für Kleider sie dem großen Mann überhaupt geben sollten.
Nach langer Diskussion wurde entschieden, daß Flußwind einen langen Umhang überziehen und wie eine alte Frau an einem Stock gebückt gehen sollte. Alles lief danach glatt – zumindest eine Zeitlang.
Laurana ging zu Tanis hinüber, der einen Schal um sein Gesicht schlang.
»Warum rasierst du dich nicht?« fragte Laurana und starrte auf Tanis’ Bart. »Oder genießt du es wirklich, mit deiner menschlichen Seite zu prahlen, wie Gilthanas sagt?«
»Ich prahle nicht damit«, erwiderte Tanis ruhig. »Ich bin nur zu müde, zu versuchen, sie zu leugnen, das ist alles.« Er holte tief Atem. »Laurana, es tut mir leid, wie ich im Sla-Mori mit dir gesprochen habe. Ich hatte nicht das Recht…«
»Du hattest das Recht«, unterbrach Laurana. »Ich habe mich verhalten wie ein liebeskrankes Mädchen. Ich habe auf törichte Weise euer Leben gefährdet.« Ihre Stimme versagte, dann faßte sie sich wieder. »Es wird nicht noch einmal passieren. Ich werde beweisen, daß ich für die Gruppe von Wert sein kann.«
Laurana war sich nicht sicher, wie sie das genau meinte. Obwohl sie schlagfertig über ihre Fähigkeiten als Kriegerin geredet hatte, hatte sie bis dahin nicht mehr als einen Hasen getötet. Sie war inzwischen so verängstigt, daß sie ihre Hände hinter ihrem Rücken verbarg, damit Tanis ihr Zittern nicht bemerkte. Sie hatte Angst, ihre Schwäche zuzugeben und Trost in seinen Armen zu suchen. Angst sich gehenzulassen. Also ging sie zu Gilthanas und half ihm bei seiner Verkleidung.
Tanis sagte sich, daß er auf Laurana stolz war, die endlich Zeichen von Reife zeigte. Er weigerte sich strikt zuzugeben, daß es ihm fast den Atem verschlug, wenn er in ihre großen strahlenden Augen sah.
Der Nachmittag verging schnell, und bald war es Abend und Zeit für die Frauen, das Essen in die Minen zu bringen. Die Gefährten warteten angespannt auf die Wachen. Es hatte nach allem noch ein Problem gegeben. Raistlin, der bis zur Erschöpfung gehustet hatte, erklärte, er wäre zu schwach, um sie zu begleiten. Als sein Bruder anbot, bei ihm zu bleiben, sah Raistlin ihn ärgerlich an und sagte, er wäre ein Dummkopf.
»In dieser Nacht brauchst du mich nicht«, flüsterte der Magier. »Laß mich allein. Ich muß schlafen.«
»Mir gefällt es nicht, ihn hierzulassen…«, begann Gilthanas, aber bevor er den Satz beenden konnte, hörten sie das Geräusch von Klauenfüßen und dann das Klappern von Töpfen. Die Zellentür sprang auf, und zwei Drakonierwachen, die stark nach Alkohol rochen, traten ein. Einer von ihnen taumelte ein wenig, als er mit trüben Augen die Frauen anstarrte.
»Bewegt euch«, sagte er grob.
Als die›Frauen‹in einer Reihe hintereinander nach draußen gingen, sahen sie sechs Gossenzwerge im Korridor stehen, die riesige Töpfe mit abscheulichem Eintopf hinter sich herzerrten. Caramon schnupperte hungrig, rümpfte dann aber angeekelt die Nase. Die Drakonier schlugen die Zellentür zu und verschlossen sie. Caramon blickte zurück und sah seinen Zwillingsbruder, von Decken verhüllt, in einer dunklen Ecke liegen.