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Sie versuchte zu rufen, brachte aber kein Wort heraus. Auf ihren unartikulierten Aufschrei hin drehten sich jedoch Goldmond und Flußwind um. Als Flußwind Tanis mit seiner Last stolpern sah, sprang er ihm zu Hilfe. Caramon torkelte wie ein volltrunkener Mann, seine Augen waren glasig und ausdruckslos. Flußwind konnte Caramon gerade noch in dem Moment festhalten, als Tanis’ Beine nachgaben.

»Mit mir ist alles in Ordnung«, antwortete Tanis auf Flußwinds besorgten Blick. »Goldmond, Caramon braucht deine Hilfe.«

»Was ist los, Tanis?« Tikas Angst ließ sie wieder sprechen.

»Was ist los? Wo ist Raistlin? Hat er…«, sie hielt inne. Die Augen des Halb-Elfen waren düster in Erinnerung dessen, was er gesehen und gehört hatte.

»Raistlin ist verschwunden«, sagte Tanis knapp.

»Verschwunden? Wohin?« fragte Tika und blickte sich wild um, als ob sie erwartete, seinen Körper im wirbelnden, blutigen Wasser zu sehen.

»Er hat uns belogen«, antwortete Tanis und half Flußwind, Caramon auf den Boden zu legen. Der Krieger sagte nichts. Er schien sie nicht zu sehen, er starrte nur über das blutrote Meer.

»Erinnert ihr euch, daß er immer wieder darauf bestand, daß wir nach Palanthas müßten, um zu lernen, wie man die Kugel der Drachen anwendet? Er wußte bereits, wie man die Kugel anwendet. Und jetzt ist er verschwunden, nach Palanthas vielleicht. Es spielt wohl keine Rolle mehr.« Er sah auf Caramon und schüttelte traurig den Kopf, dann drehte er sich abrupt um und ging zur Reling.

Goldmond legte ihre sanften Hände auf den Mann, murmelte seinen Namen so leise, daß die anderen bei dem Heulen des Windes nichts hören konnten. Bei ihrer Bewegung jedoch rührte sich Caramon, begann heftig zu zittern. Tika kniete sich zu ihm und hielt seine Hand. Immer noch auf das Meer starrend, begann Caramon leise zu weinen, Tränen liefen über seine Wangen aus weit aufgerissenen, starrenden Augen. Goldmonds Augen glitzerten von ihren eigenen Tränen, aber sie streichelte seine Stirn und rief ihn weiter, wie eine Mutter nach einem verlorenen Kind ruft.

Flußwind, dessen Gesicht vor Zorn streng und düster war, gesellte sich zu Tanis.

»Was ist geschehen?« fragte der Barbar grimmig.

»Raistlin hat gesagt… ich kann nicht darüber sprechen. Nicht jetzt!« Tanis schüttelte den Kopf. Er lehnte über die Reling und starrte in das trübe Wasser, während er leise in der Elfensprache fluchte – eine Sprache, die der Halb-Elf selten benutzte. Betrübt über die Pein seines Freundes, legte Flußwind tröstend seine Hand auf die Schulter des Halb-Elfen.

»So ist es am Ende doch eingetreten«, sagte der Barbar. »So wie wir es in dem Traum gesehen haben, ist der Magier verschwunden und läßt seinen Bruder sterbend zurück.«

»Und wie wir es in dem Traum erlebt haben, habe ich euch enttäuscht«, murmelte Tanis mit zitternder Stimme. »Was habe ich nur getan? Es ist meine Schuld! Ich habe dieses Entsetzen über uns gebracht!«

»Mein Freund«, sagte Flußwind, von Tanis’ Leiden bewegt.

»Es steht uns nicht zu, die Wege der Götter in Frage zu stellen…«

»Verdammt seien die Götter!« schrie Tanis böse. Er hob seinen Kopf, um seinen Freund anzusehen. »Ich war es! Meine Entscheidung! Wie oft in jenen Nächten, wenn ich mit ihr zusammen war und sie in meinen Armen hielt, wie oft habe ich mir gesagt, es wäre so einfach, dort zu bleiben, bei ihr, für immer! Ich kann Raistlin nicht verurteilen! Wir sind uns sehr ähnlich, er und ich. Beide zerstört von einer verzehrenden Leidenschaft!«

»Du bist nicht zerstört, Tanis«, sagte Flußwind. Der streng aussehende Barbar packte den Halb-Elfen mit seinen starken Händen an den Schultern und zwang Tanis, ihn anzusehen. »Du bist deiner Leidenschaft nicht zum Opfer gefallen, so wie der Magier. Wenn das so wäre, dann wärst du bei Kitiara geblieben. Du hast sie verlassen, Tanis…«

»Ich habe sie verlassen«, sagte Tanis bitter. »Ich habe mich wie ein Dieb weggeschlichen! Ich hätte ihr gegenübertreten müssen. Ich hätte ihr die Wahrheit über mich sagen müssen! Sie hätte mich dann getötet, aber ihr wäret in Sicherheit gewesen. Du und die anderen hätten entkommen können. Wie einfacher wäre mein Tod doch gewesen… Aber ich hatte nicht den Mut. Jetzt habe ich dies über uns gebracht«, sagte der Halb-Elf und entzog sich Flußwinds Griff. »Ich habe nicht nur mich, sondern euch alle enttäuscht.«

Er sah sich um. Berem stand noch immer am Steuer und hielt das nutzlos gewordene Rad, einen seltsamen Ausdruck der Resignation in seinem Gesicht. Maquesta versuchte immer noch, ihr Schiff zu retten, und kreischte Befehle. Aber ihre Mannschaft, vor Entsetzen gelähmt, gehorchte nicht mehr. Einige weinten. Einige fluchten. Die meisten waren still und starrten nur mit entsetzter Faszination auf den riesigen Wirbel, der sie unerbittlich in die Dunkelheit der Tiefe zog. Tanis spürte wieder Flußwinds Hand an seiner Schulter. Fast wütend versuchte er, sich zu entziehen, aber der Barbar gab nicht nach.

»Tanis, mein Bruder, du hast deine Entscheidung, auf dieser Straße zu gehen, im Wirtshaus Zur letzten Bleibe gefällt, als du Goldmond zur Hilfe gekommen bist. In meinem Stolz wollte ich deine Hilfe ablehnen, und sie und ich wären gestorben. Weil du dich nicht von unserer Not abgewendet hast, brachten wir das Wissen über die alten Götter in die Welt zurück. Wir brachten die Heilkunst zurück. Wir brachten Hoffnung. Erinnerst du dich, was der Herr der Wälder uns gesagt hat? Wir trauern nicht um jene, die ihren Zweck im Leben erfüllt haben. Wir haben unseren Zweck erfüllt, mein Freund. Wer weiß, wie viele Leben wir berührt haben? Wer weiß auch, ob diese Hoffnung zu einem großen Sieg führen wird? Für uns hat offenbar die Schlacht geendet. So ist es. Wir legen unsere Schwerter nieder, damit andere sie aufheben und weiterkämpfen können.«

»Deine Worte sind nett, Barbar«, schnappte Tanis, »aber sag mir die Wahrheit. Kannst du in den Tod sehen und keine Bitterkeit empfinden? Du hast alles, wofür es sich lohnt zu leben -Goldmond, die Kinder, die noch nicht geboren sind…«

Ein Schmerz zuckte flüchtig in Flußwinds Gesicht auf. Er drehte seinen Kopf weg, aber Tanis, der ihn scharf beobachtete, sah den Schmerz und verstand plötzlich. Auch das hatte er also zerstört! Der Halb-Elf schloß voller Verzweiflung die Augen.

»Goldmond und ich wollten es dir nicht sagen. Du hattest genug Sorgen.« Flußwind seufzte. »Unser Kind wäre im Herbst zur Welt gekommen«, murmelte er, »in der Zeit, in der sich die Blätter der Vallenholzbäume goldrot färben, so wie Goldmond und ich sie gesehen haben, als wir mit dem blauen Kristallstab nach Solace kamen. An jenem Tag fand uns der Ritter Sturm Großklinge und führte uns zum Wirtshaus Zur letzten Bleibe…«

Tanis begann zu schluchzen, tiefe, gequälte, schluchzende Laute schnitten durch seinen Körper wie Messer. Flußwind legte seine Arme um seinen Freund.

»Die Vallenholzbäume, die wir kennen, sind jetzt tot, Tanis«, fuhr er mit besänftigender Stimme fort. »Wir hätten dem Kind nur verbrannte Stümpfe zeigen können. Aber jetzt wird das Kind die Vallenholzbäume so sehen, wie die Götter sie im Sinn hatten, in einem Land, wo solche Bäume ewig leben. Trauer nicht, mein Freund, mein Bruder. Du hast geholfen, das Wissen über die Götter den Völkern zurückzubringen. Du mußt zu diesen Göttern Vertrauen haben.«

Sanft schob Tanis Flußwind weg. Er konnte dem Barbaren nicht in die Augen sehen. Als er in seine eigene Seele schaute, sah Tanis sie so verzerrt und verkrümmt wie die entstellten Bäume in Silvanesti. Glaube? Er hatte keinen Glauben. Was bedeuteten ihm die Götter? Er hatte die Entscheidungen getroffen. Er hatte alles weggeworfen, was in seinem Leben wertvoll gewesen war – seine Elfenheimat, Lauranas Liebe. Und er war nahe daran gewesen, auch Freundschaften wegzuwerfen. Nur Flußwinds unwiderrufliche Treue – eine Treue, die völlig fehl am Platze war – hielt den Barbaren davon ab, ihn zu verurteilen. Selbstmord ist den Elfen verboten. Sie betrachten es als Gotteslästerung, denn das Geschenk des Lebens ist das wertvollste aller Geschenke. Aber Tanis starrte in das blutrote Meer mit Vorfreude und Sehnsucht. Laß den Tod schnell kommen, betete er. Laß dieses blutbefleckte Wasser über meinen Kopf spülen. Laß mich mich in den Tiefen verstecken. Und wenn es Götter gibt, wenn ihr mir zuhört, bitte ich nur um eins: Haltet das Wissen über meine Schande von Laurana fern. Ich habe Schmerzen gebracht über so viele…