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Auch die Tore waren architektonische Meisterwerke. Jedes Tor war mit Doppelminaretten versehen, die sich mutig über hundert Meter hoch in der Luft erstreckten. In die Alte Mauer waren ausdrucksvolle Bilder gemeißelt, die die Geschichte Palanthas während des Zeitalters der Träume erzählten. Hinter der Alten Stadtmauer lag die Neue Stadt. Sorgfältig geplant, um mit dem ursprünglichen Entwurf übereinzustimmen, erstreckte sich die Neue Stadt von der Alten Stadtmauer aus im gleichen kreisförmigen Muster mit den gleichen breiten, baumgesäumten Prachtstraßen. Jedoch zog sich um die Neue Stadt keine Stadtmauer. Die Palanthianer mochten eigentlich keine Mauern (Mauern ruinierten den gesamten Entwurf), und in dieser Zeit wurde weder in der Alten noch in der Neuen Stadt gebaut, ohne das allgemeine Muster unberücksichtigt zu lassen. Am Abend war die Silhouette von Palanthas am Horizont so lieblich anzusehen wie die Stadt selbst – mit einer Ausnahme. Tolpans Gedanken wurden jäh unterbrochen.

»Was ist denn mit dir los?« fragte der Kender und sah den Zwerg an, der ihn gestoßen hatte.

»Wo sind wir?« fragte Flint griesgrämig.

»Nun, wir sind…«, Tolpan sah sich um. »Uh… das heißt, ich glaube, wir sind… dann wieder, vielleicht sind wir auch nicht.«

Er musterte Flint mit einem kühlen Blick. »Wie hast du es geschafft, daß wir uns verlaufen konnten?«

»Ich!« explodierte der Zwerg. »Du bist der Führer! Du bist der Kartenleser. Du bist der Kender, der diese Stadt wie sein eigenes Haus kennt!«

»Aber ich habe nachgedacht«, erwiderte Tolpan hochmütig.

»Worüber denn?« brüllte Flint.

»Ich hegte tiefsinnige Gedanken«, gab Tolpan verletzt zurück.

»Ich… oh, laß dich nur nicht stören«, murmelte Flint und begann sich in der Straße umzusehen. Was er sah, schien ihm nicht zu gefallen.

»Es ist gewiß merkwürdig«, sagte Tolpan fröhlich und sprach damit Flints Gedanken aus. »Es ist so leer hier – ganz anders als in den anderen Straßen Palanthas.« Er starrte sehnsüchtig auf die Reihe stummer, leerer Gebäude. »Ich frage mich…«

»Nein«, sagte Flint. »Auf keinen Fall. Wir gehen den Weg zurück, den wir gekommen sind…«

»Ach, komm schon!« sagte Tolpan und steuerte auf die verlassenen Gebäude zu. »Nur ein bißchen, um zu sehen, was es da gibt. Du weißt doch, Laurana hat uns gesagt, wir sollten uns umsehen und die Befesti- Befesta… Dingsbums begutachten.«

»Befestigungen«, murrte Flint, der widerstrebend hinter dem Kender herstapfte. »Hier gibt es keine. Dies ist der Stadtkern! Sie meinte die Mauern um die Stadt.«

»Es gibt keine Mauern um die Stadt«, sagte Tolpan triumphierend. »Jedenfalls nicht um die Neue Stadt. Und wenn dies der Stadtkern sein soll, warum ist er dann so ausgestorben? Ich finde, wir sollten es herausfinden.«

Flint schnaubte verächtlich. Es klang plausibel, was der Kender gesagt hatte.

Die beiden gingen einige Minuten schweigend tiefer in den Stadtkern hinein. Auf einer Seite erhob sich, nur einige Blöcke entfernt, die palastartige Villa des Herrschers von Palanthas. Sie konnten die hohen Türme erkennen. Aber vor ihnen war nichts zu sehen. Alles verschwand in Schatten unter…

Tolpan sah in Fenster und steckte seine Nase in Türen der Gebäude, an denen sie vorbeikamen. Der Kender sprach erst, als sie das Ende des Blocks erreicht hatten.

»Weißt du, Flint«, sagte Tolpan unruhig, »diese Gebäude sind alle leer.«

»Aufgegeben«, sagte Flint heiser. Der Zwerg legte seine Hand an die Streitaxt und zuckte bei Tolpans schriller Stimme nervös zusammen.

»Über diesem Ort liegt etwas Unheimliches«, sagte Tolpan, während er näher zum Zwerg trat. »Ich bin nicht ängstlich, aber…«

»Ich aber«, unterbrach ihn Flint eindringlich. »Laß uns hier verschwinden!«

Tolpan sah zu den hohen Gebäuden auf beiden Seiten der Straße. Sie befanden sich in gutem Zustand. Offenbar waren die Palanthianer so stolz auf ihre Stadt, daß sie sogar Geld ausgaben, um leerstehende Gebäude in Schuß zu halten. Es gab Geschäfte und Häuser jeder Art. Die Straßen waren sauber und ohne Abfälle. Aber es war alles ausgestorben. Das muß einst eine wohlhabende Gegend gewesen sein, dachte der Kender. Mitten im Herzen der Stadt. Warum jetzt nicht mehr? Warum sind alle verschwunden? Er hatte ein unheimliches Gefühl, und es gab nur wenig Dinge auf Krynn, die einem Kender ein unheimliches Gefühl einflößten.

»Es gibt hier nicht einmal Ratten!« murrte Flint. Er faßte Tolpan am Arm und zog ihn mit sich. »Wir haben genug gesehen.«

»Oh, komm schon«, sagte Tolpan. Er zog seinen Arm weg, bekämpfte das merkwürdig unheimliche Gefühl, richtete seine schmalen Schultern auf und ging weiter. Dann hielt er wütend inne und sah zurück. Der Zwerg stand auf der Straße und blickte ihn finster an.

»Ich will nur bis zu diesem Wäldchen am Ende der Straße gehen«, erklärte Tolpan. »Sieh mal – es ist ein ganz gewöhnliches Wäldchen mit ganz gewöhnlichen Eichen. Wahrscheinlich ein Park oder so etwas. Vielleicht können wir dort ein Picknick machen…«

»Mir gefällt dieser Ort nicht!« sagte Flint dickköpfig. »Er erinnert mich an… an… Düsterwald -, wo Raistlin mit den Gespenstern gesprochen hat.«

»Ach, das einzige Gespenst hier bist du!« sagte Tolpan ärgerlich, entschlossen, die Tatsache zu ignorieren, daß er ihn auch daran erinnerte. »Es ist hellichter Tag. Wir sind im Zentrum einer Stadt, um Reorx’ Liebe willen…«

»Und warum ist es dann so eisig kalt?«

»Es ist Winter!« rief der Kender und fuchtelte mit seinen Armen. Er verstummte plötzlich und blickte sich um, beunruhigt über die unheimliche Art, wie seine Worte durch die stummen Straßen hallten. »Kommst du jetzt?« fragte er flüsternd.

Flint holte tief Luft. Knurrend seine Streitaxt umklammernd, marschierte er auf den Kender zu und hielt ein wachsames Auge auf die Gebäude, als ob jeden Moment ein Geist auf ihn zuspringen würde.

»Es ist nicht Winter«, murmelte der Zwerg. »Nur hier.«

»Es wird erst in einigen Wochen Frühling sein«, gab Tolpan zurück, erfreut, über etwas streiten zu können, damit er sich von dem ablenkte, was sich in seinem Magen abspielte – Knoten und ähnliches.

Aber Flint wollte nicht streiten – ein schlechtes Zeichen. Schweigend schlichen die beiden die leere Straße entlang, bis sie das Ende des Blocks erreichten. Hier endeten die Gebäude abrupt an jenem Wäldchen. Wie Tolpan gesagt hatte, schienen es ganz gewöhnliche Eichen zu sein – obwohl es sicherlich die größten Eichen waren, die der Zwerg und der Kender jemals auf ihren Reisen auf Krynn gesehen hatten.

Aber als die zwei näher traten, spürten sie das seltsame eisige Gefühl stärker werden, bis es schlimmer wurde als jede Kälte, die sie je erlebt hatten, selbst die Kälte der Gletscher von Eismauer. Es war schlimmer, weil die Kälte aus dem Innern kam und keinen Sinn ergab! Warum sollte es ausgerechnet in diesem Teil der Stadt so kalt sein? Die Sonne schien. Am Himmel hing keine Wolke. Aber bald waren ihre Finger taub und steif. Flint konnte seine Streitaxt nicht mehr festhalten und war gezwungen, sie mit zitternden Händen am Rücken zu befestigen. Tolpans Zähne klapperten, er hatte jedes Gefühl in seinen spitzen Ohren verloren und zitterte heftig.

»L…laß u…uns h…hier ver…schwinden…«, stammelte der Zwerg durch blaugefrorene Lippen.

»W…wir stehen i…im Seh…Schatten ei…eines Geb…bäudes.« Tolpan biß sich fast auf die Zunge. »We…wenn wir w…wieder in d…die So…sonne treten, w…wird u…uns w…wieder w…warm.«