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GESCHLOSSEN.

Wie schade, dachte Tolpan. Aber ich bin mir sicher, es wird ihn nicht stören, wenn ich einen Blick auf seine Karten werfe. Fachmännisch ruckte er an dem Schloß, dann lächelte er glücklich. Noch ein paar Rucke, und es würde sich mühelos öffnen. Bei solch einem primitiven Schloß ist es bestimmt nicht seine Absicht, Leute fernzuhalten. Ich gehe nur schnell hinein und kopiere einige seiner Karten, um meine Sammlung auf den neusten Stand zu bringen…

Plötzlich spürte Tolpan eine Hand auf seiner Schulter. Wütend, daß jemand ihn gerade jetzt stören wollte, blickte sich der Kender um und sah auf eine seltsame Gestalt, die aber vertraut wirkte. Sie war trotz des warmen Frühlingstages in schwere Umhänge und Gewänder gekleidet. Sogar die Hände waren in Bandagen gewickelt. Ein Kleriker, dachte der Kender verärgert und besorgt.

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Tolpan zu dem Kleriker, der ihn fest im Griff hatte. »Ich will ja nicht grob sein, aber ich war gerade…«

»Barfuß?« unterbrach der Kleriker mit kalter, lispelnder Stimme. »Der Kender, der mit dem Goldenen General reitet?«

»Nun ja«, sagte Tolpan, geschmeichelt, daß ihn jemand erkannt hatte. »Das bin ich. Ich reite mit Laurana – dem Goldenen General – seit langer Zeit. Laß mich nachdenken, ich glaube, seit dem letzten Herbst. Ja, wir lernten uns in Qualinesti kennen, direkt nachdem wir aus den Gefängniswagen der Hobgoblins entkommen waren, und das war kurz bevor wir einen schwarzen Drachen in Xak Tsaroth getötet hatten. Das ist die wunderbarste Geschichte…« Tolpan vergaß die Karten.

»Weißt du, wir waren in dieser alten, alten Stadt, die zu einer Höhle verfallen und von Gossenzwergen bewohnt war. Wir lernten eine Zwergin kennen, Bupu, die von Raistlin verzaubert wurde…«

»Halt den Mund!« Die bandagierte Hand des Klerikers fuhr von Tolpans Schulter zu seinem Hemdkragen. Der Kleriker packte ihn fachmännisch, drehte ihn mit einem plötzlichen Ruck und hob den Kender in die Luft. Obwohl Kender im allgemeinen keine Angst haben, empfand Tolpan es als äußerst unangenehm, kaum atmen zu können.

»Hör mir gut zu«, zischte der Kleriker und schüttelte den sich sträubenden Kender heftig, so wie ein Wolf einen Vogel durchschüttelt, um ihm den Hals zu brechen. »So ist es gut. Halt still, dann schmerzt es weniger. Ich habe eine Nachricht für den Goldenen General.« Seine Stimme klang tödlich sanft. »Hier ist sie.« Tolpan spürte, wie eine grobe Hand etwas in seine Westentasche steckte. »Sieh zu, daß du ihr die Botschaft heute Abend zuspielen kannst, wenn sie alleine ist. Verstanden?«

Tolpan, der unter dem Würgegriff des Klerikers weder sprechen noch nicken konnte, blinzelte zweimal mit den Lidern. Der vermummte Kopf nickte, dann ließ der Kleriker den Kender auf den Boden fallen und verschwand eilig in der Menge. Der benommene Kender rang nach Atem und starrte der Gestalt nach, deren lange Robe im Wind flatterte. Tolpan griff geistesabwesend nach der Schriftrolle, die in seiner Westentasche steckte. Der Klang dieser Stimme brachte sehr unangenehme Erinnerungen zurück: der Überfall auf der Straße von Solace, schwervermummte Gestalten… wie Kleriker… nur, daß es keine Kleriker waren! Tolpan schauderte. Ein Drakonier! Hier! In Kalaman!

Der Kender wandte sich kopfschüttelnd wieder der Bude des Kartographen zu. Aber das Vergnügen des Tages war ihm vergangen. Er konnte nicht einmal Aufregung empfinden, als sich das Schloß in seinen kleinen Händen öffnete.

»He, du!« kreischte eine Stimme. »Kender! Verschwinde von hier!«

Ein Mann rannte auf ihn zu, keuchend und rot im Gesicht. Vermutlich der Kartograph.

»Du brauchst nicht so zu rennen«, sagte Tolpan teilnahmslos.

»Wegen mir brauchst du nicht extra zu öffnen.«

»Öffnen!« Der Kiefer des Mannes sackte runter. »Nun, du kleiner Dieb! Ich komme gerade rechtzeitig…«

»Trotzdem vielen Dank.« Tolpan ließ das Schloß in die Hand des Mannes fallen und ging davon. Geistesabwesend wich er dem aufgebrachten Kartographen aus, der versuchte, ihn festzuhalten. »Ich gehe jetzt. Ich fühle mich nicht wohl. Oh, nebenbei bemerkt, wußtest du, daß das Schloß kaputt ist? Nutzlos. Du solltest vorsichtiger sein. Man weiß nie, wer sich einschleichen könnte. Nein, danke mir nicht. Ich habe keine Zeit. Auf Wiedersehen.«

Tolpan zog davon. »Dieb! Dieb!« tönte es hinter ihm. Ein Wachmann erschien, und Tolpan war gezwungen, sich in einem Metzgerladen zu verstecken, um nicht überrannt zu werden. Über die Schlechtigkeit der Welt den Kopf schüttelnd, blickte sich der Kender in der Hoffnung um, den Missetäter zu entdecken. Da nichts Interessantes zu sehen war, setzte er seinen Weg fort und fragte sich plötzlich gereizt, wie Flint es schon wieder geschafft hatte, ihn zu verlieren.

Laurana schloß die Tür, drehte den Schlüssel im Schloß um und lehnte sich dankbar dagegen, genoss den Frieden und die Ruhe und die Einsamkeit ihrer Kammer. Nachdem sie den Schlüssel auf einen Tisch geworfen hatte, ging sie müde zu ihrem Bett, zündete nicht einmal eine Kerze an. Die Strahlen des silbernen Mondes flossen durch die verbleiten Scheiben ihres langen, schmalen Fensters. Von den untersten Räumen des Schlosses konnte sie noch die Geräusche des Festes hören, das sie gerade verlassen hatte. Es war fast Mitternacht. Sie hatte zwei Stunden lang versucht zu entkommen. Fürst Michaels Eingreifen in ihrem Namen – daß sie von den Schlachten erschöpft sei – hatte schließlich die Herrschaften der Stadt Kalaman bewogen, sie gehen zu lassen. Ihr Kopf schmerzte von der stickigen Luft, dem Duft starken Parfüms und dem vielen Wein. Sie wußte, sie hätte nicht soviel trinken dürfen. Sie konnte Wein nicht gut vertragen, und außerdem schmeckte er ihr nicht. Aber der Schmerz in ihrem Kopf war einfacher zu ertragen als der Schmerz in ihrem Herzen.

Sie warf sich aufs Bett und dachte kurz, aufzustehen und die Fensterläden zu schließen, aber das Mondlicht war beruhigend. Laurana haßte es, im Dunkeln zu liegen. Wesen lauerten in den Schatten, bereit, sie anzuspringen. Ich sollte mich ausziehen, dachte sie, ich zerknittere das Kleid… und es ist nur geliehen…

Es klopfte an der Tür.

Laurana erwachte erschrocken. Dann erinnerte sie sich, wo sie war. Seufzend lag sie ruhig da und schloß wieder die Augen. Sicherlich würden sie bemerken, daß sie schlief, und weggehen. Wieder klopfte es, diesmal hartnäckiger als beim ersten Mal.

»Laurana…«

»Sag es mir morgen, Tolpan«, entgegnete Laurana, versuchte, den Ärger aus ihrer Stimme zu halten.

»Es ist wichtig, Laurana«, rief Tolpan. »Flint ist bei mir.«

Laurana hörte ein schlurfendes Geräusch vor der Tür.

»Komm schon, erzähl es ihr…«

»Das werde ich nicht! Es ist deine Sache!«

»Aber er hat gesagt, es wäre wichtig, und ich…«

»In Ordnung, ich komme!« seufzte Laurana. Sie taumelte aus dem Bett, tastete nach dem Schlüssel auf dem Tisch und schloß die Tür auf.

»Hallo, Laurana!« grüßte Tolpan fröhlich, während er hereinspazierte. »War das nicht ein wundervolles Fest? Ich habe noch nie soviel gebratenen Pfau gegessen…«

»Was ist los, Tolpan?« fragte Laurana und schloß die Tür. Als Flint ihr blasses, abgespanntes Gesicht sah, stieß er den Kender in den Rücken. Tolpan warf dem Zwerg einen vorwurfsvollen Blick zu, dann griff er in seine Westentasche und holte die mit einem blauen Band verschnürte Schriftrolle hervor.

»Ein Kleriker, oder so etwas Ähnliches, sagte mir, ich soll dir das geben, Laurana«, erklärte Tolpan.

»Ist das alles?« fragte Laurana ungeduldig und riß die Rolle dem Kender aus der Hand. »Wahrscheinlich ein Heiratsantrag. In der letzten Woche habe ich zwanzig davon bekommen. Ganz zu schweigen von den eindeutigen Angeboten.«

»O nein«, sagte Tolpan plötzlich ganz ernst. »So etwas ist es nicht, Laurana. Es ist von…« Er verstummte.