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»Woher weißt du, von wem es ist?« Laurana musterte den Kender eindringlich.

»Ich… uh… vermute… irgendwie… sah ich darauf…«, gab Tolpan zu. Dann strahlte er auf. »Aber es ist nur, daß ich dich nicht gestört hätte, wenn es unwichtig gewesen wäre.«

Flint schnaubte verächtlich.

»Danke«, sagte Laurana. Sie öffnete die Schriftrolle und ging zum Fenster.

»Wir lassen dich jetzt allein«, sagte Flint schroff und drängte den protestierenden Kender zur Tür.

»Nein! Wartet!« würgte Laurana. Flint drehte sich um und starrte sie besorgt an.

»Ist alles in Ordnung?« fragte er und eilte zu ihr, als sie sich auf einen Stuhl neben dem Fenster sinken ließ. »Tolpan – hol Silvara!«

»Nein, nein. Holt niemanden. Es ist… alles in Ordnung. Wißt ihr, was hier steht?« fragte sie flüsternd.

»Ich habe versucht, es ihm zu sagen«, antwortete Tolpan mit verletzter Stimme, »aber er wollte mich nicht lassen.«

Mit zitternder Hand reichte Laurana Flint die Schriftrolle. Der Zwerg öffnete sie und las laut vor.

»Tanis, der Halb-Elf, wurde in der Schlacht an der Burg Vingaard verletzt. Obwohl es anfangs nur eine geringfügige Wunde zu sein schien, hat sie sich verschlimmert, so daß ihm nicht einmal die dunklen Kleriker helfen können. Ich ordnete an, ihn zur Burg Dargaard zu bringen, wo ich mich um ihn kümmern kann. Tanis weiß um den Ernst seiner Verletzung. Er bittet um die Erlaubnis, bei dir zu sein, wenn er stirbt, so daß er dir die Dinge erklären und mit leichterem Herzen sterben kann. Ich unterbreite dir folgendes Angebot. Du hältst meinen Offizier Bakaris gefangen. Ich bin bereit, Tanis, den Halb-Elfen, gegen Bakaris auszutauschen. Der Austausch kann morgen früh in einem Wald vor den Stadtmauern stattfinden. Bring Bakaris mit. Wenn du mir nicht traust, dürfen Tanis’ Freunde Flint Feuerschmied und Tolpan Barfuß dich begleiten. Aber sonst niemand! Der Überbringer dieser Nachricht wartet vor dem Stadttor. Treffe ihn morgen bei Sonnenaufgang. Wenn er sich überzeugt hat, daß alles in Ordnung ist, wird er dich zu dem Halb-Elfen führen. Wenn nicht, wirst du Tanis lebend nicht mehr sehen.

Ich mache dir diesen Vorschlag, weil wir zwei Frauen sind, die sich verstehen. Kitiara.«

Ein unbehagliches Schweigen entstand, dann schnaufte Flint verächtlich und rollte den Brief ein.

»Wie kannst du so ruhig und gelassen sein!« keuchte Laurana, die die Rolle aus der Hand des Zwerges riß. »Und du«, ihr Blick glitt wütend zu Tolpan, »warum hast du mir nicht früher davon erzählt? Wie lange weißt du schon davon? Ihr habt gelesen, daß er im Sterben liegt, und ihr seid so… so…«

Laurana stützte ihren Kopf in die Hände.

Tolpan starrte sie mit offenem Mund an. »Laurana«, sagte er nach einem Moment, »du glaubst doch nicht im Ernst, daß Tanis…«

Laurana hob ihren Kopf. Ihre dunklen, verzweifelten Augen gingen zu Flint, dann zu Tolpan. »Ihr glaubt nicht, daß diese Nachricht wahr ist, oder?« fragte sie ungläubig.

»Natürlich nicht!« sagte Flint.

»Nein«, spottete Tolpan. »Es ist ein Trick! Ein Drakonier gab sie mir! Außerdem ist Kitiara jetzt eine Drachenfürstin. Was sollte Tanis mit ihr zu tun haben…«

Laurana drehte abrupt ihr Gesicht weg. Tolpan stockte und blickte zu Flint, dessen Gesicht plötzlich zu altern schien.

»So ist das also«, sagte der Zwerg leise. »Wir haben dich gesehen, als du mit Kitiara auf der Mauer des Turms des Oberklerikers geredet hast. Ihr habt über mehr als über Sturms Tod geredet, nicht wahr?«

Laurana nickte stumm und starrte auf ihre Hände.

»Ich habe es euch nie erzählt«, murmelte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Ich konnte nicht… ich habe gehofft… Kitiara hat gesagt… sie hätte Tanis in… irgendeiner Stadt namens Treibgut zurückgelassen… weil sie nach dem Rechten sehen mußte.«

»Lügnerin!« sagte Tolpan prompt.

»Nein.« Laurana schüttelte den Kopf. »Wenn sie sagt, daß wir zwei Frauen sind, die sich verstehen, hat sie recht. Sie hat nicht gelogen. Sie hat die Wahrheit gesagt, das weiß ich. Und am Turm erwähnte sie den Traum.« Laurana hob ihren Kopf. »Ihr erinnert euch doch an den Traum?«

Flint nickte unbehaglich. Tolpan scharrte mit den Füßen.

»Nur Tanis hätte ihr über den Traum erzählen können, den wir alle teilten«, fuhr Laurana fort. »Ich habe ihn mit ihr in dem Traum gesehen, so wie ich Sturms Tod gesehen habe. Der Traum ist wahr geworden…«

»Nun halt mal ein«, unterbrach Flint grob, klammerte sich an die Wirklichkeit wie ein Ertrinkender an ein Holzstück. »Du hast selbst gesagt, daß du deinen eigenen Tod im Traum gesehen hast, direkt nach Sturms Tod. Und du bist nicht gestorben. Und Sturms Körper wurde auch nicht zerhackt.«

»Ich bin auch noch nicht gestorben, so wie in dem Traum«, fügte Tolpan hilfsbereit hinzu. »Und ich habe schon Unmengen von Schlössern geknackt, nun, nicht Unmengen, aber hin und wieder ein paar, und keins war vergiftet. Außerdem, Laurana, Tanis würde nicht…«

Flint warf Tolpan einen warnenden Blick zu. Der Kender verstummte sofort. Aber Laurana hatte den Blick bemerkt und verstand. Ihre Lippen zogen sich zusammen.

»Doch, er würde. Und das wißt ihr auch. Er liebt sie.«

Laurana schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Ich mache es. Ich werde Bakaris austauschen.«

Flint seufzte tief. Er hatte das kommen sehen. »Laurana…«

»Warte eine Minute, Flint«, unterbrach sie ihn. »Wenn Tanis eine Nachricht erhalten würde, daß du im Sterben liegst, was würde er tun?«

»Darum geht es nicht«, murmelte Flint.

»Selbst wenn er in die Hölle gehen müßte, an tausend Drachen vorbei, er würde zu dir kommen…«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte Flint mürrisch.

»Nicht, wenn er Anführer einer Armee wäre. Nicht, wenn er Verantwortung tragen müßte, wenn Leute von ihm abhängen würden. Er würde wissen, daß ich verstehen…«

Lauranas Gesicht hätte aus Marmor gemeißelt sein können, so unbeweglich und rein und kalt war ihr Ausdruck. »Ich habe um diese Verantwortung nie gebeten. Ich wollte sie nie. Wir könnten es so aussehen lassen, als wäre Bakaris geflohen…«

»Mach das nicht, Laurana!« bettelte Tolpan. »Er ist der Offizier, der Derek und Fürst Alfred zum Turm des Oberklerikers zurückgebracht hat, der Offizier, dem du einen Pfeil in den Arm geschossen hast. Er haßt dich, Laurana! Ich… ich habe gesehen, wie er dich angesehen hat, als wir ihn gefangengenommen haben!«

Flints Augenbrauen zogen sich zusammen. »Die Herrschaften und dein Bruder sind noch unten. Wir sollten mit ihnen besprechen, wie wir diese Angelegenheit am besten handhaben…«

»Ich bespreche nichts«, stellte Laurana klar und hob ihr Kinn in der alten gebieterischen Weise, die der Zwerg nur zu gut kannte. »Ich bin der General. Ich werde entscheiden.«

»Vielleicht solltest du jemanden um Rat fragen…«

Laurana musterte den Zwerg mit bitterer Belustigung. »Wen denn?« fragte sie. »Gilthanas? Was sollte ich ihm sagen? Daß Kitiara und ich Liebhaber austauschen? Nein, wir werden es niemandem sagen. Was würden die Ritter mit Bakaris anstellen? Ihn nach ritterlichem Ritual hinrichten. Sie schulden mir etwas für das, was ich für sie getan habe. Ich nehme Bakaris als Lohn.«

»Laurana«, Flint suchte verzweifelt nach einem Weg, ihre eisige Maske zu durchdringen, »es gibt ein Protokoll, das bei einem Austausch von Gefangenen befolgt werden muß. Du hast recht. Du bist der General, und darum solltest du wissen, wie wichtig das ist! Du hast lang genug am Hof deines Vaters gelebt…« Das war ein Fehler. Der Zwerg brach sofort ab, als es ihm klar wurde, und verfluchte sich.

»Ich bin nicht mehr am Hof meines Vaters!« fuhr Laurana ihn an. »Zur Hölle mit dem Protokoll!« Sie erhob sich und musterte Flint kühl, als ob sie ihn gerade erst kennengelernt hätte.

»Ich danke euch, mir die Nachricht überbracht zu haben. Ich muß vor Morgenanbruch noch eine Menge erledigen. Wenn ihr irgend etwas für Tanis übrig habt, dann geht bitte in eure Zimmer zurück und sagt niemandem etwas davon.«