Выбрать главу

Berem saß vor Tanis auf einem Holzstuhl. Der Stuhl war mit Vögel- und Tierabbildungen reich verziert in einem bei den Elfen beliebten Stil. In der Tat wurde Tanis stark an Loracs Thron in dem verdammten Elfenkönigreich Silvanesti erinnert. Die Ähnlichkeit konnte ihn jedoch keineswegs beruhigen, und Berem krümmte sich unter den wütenden Blicken des Halb-Elfen. Die Hände, die für den Körper des älteren Mannes zu jung waren, zupften an seiner schäbigen Hose. Er hob seinen Blick und musterte nervös die seltsame Umgebung.

»Verdammt noch mal! Antworte mir!« tobte Tanis. Er warf sich auf Berem, packte ihn an seinem Hemd und riß ihn aus dem Stuhl. Dann fuhren seine Hände zur Kehle des Mannes.

»Tanis!« Goldmond erhob sich schnell und legte eine Hand auf seinen Arm. Aber der Halb-Elf war wie von Sinnen. Sein Gesicht war vor Furcht und Wut verzerrt, sie erkannte ihn kaum wieder. Hektisch riß sie an den Händen, die Berem festhielten.

»Flußwind, halte ihn auf!«

Der große Mann von den Ebenen packte Tanis an den Handgelenken und zog ihn von Berem weg.

»Laß ihn in Ruhe, Tanis!«

Einen Moment lang sträubte sich Tanis, dann erschlaffte er und holte tief und zitternd Luft.

»Er ist stumm«, sagte Flußwind streng. »Selbst wenn er dir etwas erzählen wollte, könnte er es nicht. Er kann nicht sprechen…«

»Doch, ich kann.«

Die drei hielten erschrocken inne und starrten Berem an.

»Ich kann sprechen«, sagte er ruhig in der Umgangssprache. Geistesabwesend rieb er an seiner Kehle, wo sich Tanis’

Fingerabdrücke rot auf der gebräunten Haut abzeichneten.

»Warum gibst du dann vor, es nicht zu können?« fragte Tanis schwer atmend.

Berem rieb sich den Hals, seine Augen waren auf Tanis gerichtet. »Einem Mann, der nicht sprechen kann, werden keine Fragen gestellt.«

Tanis zwang sich zur Ruhe, um im Kopf klar zu werden. Er warf Flußwind und Goldmond einen Blick zu. Flußwind schüttelte nur den Kopf. Goldmond hob die Schultern. Tanis zog einen anderen Holzstuhl heran und setzte sich vor Berem. »Berem«, Tanis sprach langsam, seine Ungeduld zügelnd, »du redest mit uns. Bedeutet das, daß du unsere Fragen beantworten willst?«

Berem starrte Tanis an, dann nickte er einmal.

»Warum?« fragte Tanis.

»Ich… ihr müßt mir helfen, hier zu verschwinden… Ich kann hier nicht bleiben…«

Tanis wurde es trotz der stickigen und warmen Luft in dem Zimmer eiskalt. »Bist du in Gefahr? Sind wir in Gefahr? Was ist das hier für ein Ort?«

»Ich weiß es nicht!« Berem sah sich hilflos um. »Ich weiß nicht, wo wir sind. Ich weiß nur, daß ich hier nicht bleiben kann. Ich muß zurück!«

»Warum? Die Drachenfürsten jagen dich. Einer von d…den Fürsten…«, Tanis hustete, dann sprach er heiser weiter. »Einer von ihnen erzählte mir, daß du der Schlüssel zum endgültigen Sieg der Dunklen Königin bist. Warum, Berem? Was wollen sie von dir?«

»Ich weiß es nicht!« schrie Berem und ballte seine Fäuste.

»Ich weiß nur, daß sie mich jagen… daß ich vor ihnen fliehe… seit… seit Jahren! Kein Frieden… keine Ruhe!«

»Wie lange, Berem?« fragte Tanis leise. »Seit wann jagen sie dich?«

»Jahre!« antwortete Berem mit erstickter Stimme. »Jahre… ich weiß nicht mehr, wie lange.« Seufzend schien er in seine gelassene Zufriedenheit zurückzusinken. »Ich bin dreihundertzweiundzwanzig Jahre alt. Vielleicht dreiundzwanzig? Vierundzwanzig?« Er zuckte mit den Schultern. »Die meiste Zeit hat mich die Königin gesucht.«

»Dreihundertzweiundzwanzig!« wiederholte Goldmond erstaunt. »Aber… du bist ein Mensch! Das ist unmöglich!«

»Ja, ich bin ein Mensch«, sagte Berem und richtete seine blauen Augen auf Goldmond. »Ich weiß, daß es unmöglich ist. Ich bin gestorben. Viele Male.« Sein Blick fuhr zu Tanis. »Du hast mich sterben sehen. Es war in Pax Tarkas. Ich habe dich erkannt, als du das erste Mal auf dem Schiff warst.«

»Du bist gestorben, als die Felsen auf dich gefallen sind!« rief Tanis aus. »Aber wir haben dich lebendig auf der Hochzeit gesehen, Sturm und ich…«

»Ja, da habe ich euch auch gesehen. Darum bin ich geflohen. Ich wußte… es würden Fragen kommen.« Berem schüttelte den Kopf. »Wie hätte ich dir mein Überleben erklären können? Ich weiß ja selbst nicht, wie ich überlebe! Ich weiß nur, daß ich sterbe und wieder lebendig werde. Immer wieder.« Er ließ seinen Kopf in seine Hände sinken. »Ich will nichts als Frieden finden!«

Tanis war völlig verwirrt. Er kratzte sich am Bart, während er den Mann musterte. Daß er log, schien festzustehen. Oh, nicht wegen des Sterbens und Wiederlebendigwerdens. Tanis hatte das selbst gesehen. Aber er wußte genau, daß die Königin der Finsternis fast alle ihre Kräfte, die sie im Krieg entbehren konnte, auf die Suche nach diesem Mann verwendete. Er mußte einfach den Grund wissen!

»Berem, wie ist der Grüne Juwel in dein Fleisch gekommen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Berem so leise, daß man ihn kaum hören konnte. Unsicher fuhr seine Hand zur Brust, als ob er Schmerzen hätte. »Er ist Teil meines Körpers, wie meine Knochen und mein Blut. Ich… ich glaube, er ist es, der mich immer wieder ins Leben zurückbringt.«

»Kannst du ihn entfernen?« fragte Goldmond sanft und ließ sich auf ein Kissen neben Berem sinken. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm.

Berem schüttelte heftig den Kopf, sein graues Haar fiel über seine Augen. »Ich habe es versucht!« murmelte er. »Viele Male habe ich versucht, ihn herauszureißen! Genausogut könnte ich versuchen, mein Herz herauszureißen!«

Tanis erbebte, dann stöhnte er verzweifelt. Das brachte sie auch nicht weiter! Er hatte immer noch keine Vorstellung davon, wo sie sich befanden. Er hatte gehofft, Berem könnte es ihnen sagen… Wieder sah sich Tanis in ihrer seltsamen Umgebung um. Sie waren in einem Zimmer eines offensichtlich uralten Gebäudes. Es wurde von einem sanften, schaurigen Licht beleuchtet, das von an den Wänden wie Tapeten hängendem Moos herrührte. Die Möbel waren so alt wie das Gebäude und in angeschlagenem, schäbigem Zustand, obwohl sie einst wertvoll gewesen sein mußten. Es gab kein Fenster. Von draußen war nichts zu hören. Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie schon hier waren. Sie hatten jegliches Zeitgefühl verloren, aßen zuweilen von den seltsamen Pflanzen und schliefen unruhig. Tanis und Flußwind hatten das Gebäude erforscht, aber weder einen Ausgang noch ein lebendes Wesen entdeckt. Tanis fragte sich, ob über dem Ganzen nicht ein magischer Zauber hing, ein Zauber, der sie nicht hinausließ. Denn jedes Mal, wenn sie sich vorwärts wagten, führten die engen, kaum beleuchteten Korridore sie unausweichlich in dieses Zimmer zurück. Sie erinnerten sich kaum an die Ereignisse, nachdem das Schiff im Mahlstrom versunken war. Tanis hatte die Holzplanken splittern hören. Die Mäste waren niedergestürzt, die Segel zerrissen. Er hatte Schreie gehört. Er hatte gesehen, wie Caramon von einer gigantischen Welle über Bord gespült wurde. Er hatte Tikas rote Locken im Wasser wirbeln sehen, dann war auch sie verschwunden. Der Drache war dagewesen… und Kitiara… Er hatte noch Kratzer von den Krallen des Drachen am Arm. Dann war eine andere Welle gekommen… er hatte den Atem angehalten, bis er sicher war, daß seine Lungen bersten würden. Er hatte gedacht, daß der Tod einfach und willkommen wäre. Er trieb an die Oberfläche des wirbelnden Gewässers, nur um wieder hinabgezogen zu werden und zu wissen, daß es das Ende war…

Und dann war er an diesem seltsamen Ort in durchnäßten Kleidern wach geworden und hatte Flußwind, Goldmond und Berem vorgefunden.

Zuerst schien Berem Angst vor ihnen zu haben. Er hatte sich in eine Ecke verkrochen und sie nicht an sich herangelassen. Geduldig hatte Goldmond auf ihn eingeredet und ihm Essen gebracht. Allmählich hatte sie ihn mit ihrer Warmherzigkeit für sich gewonnen. Das und, wie Tanis nun erkannte, sein starkes Verlangen, diesen Ort zu verlassen, hatten den Ausschlag gegeben, sein Verhalten zu ändern.