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Er beugte sich über den Tisch und betrachtete die Miniaturen eingehender. Um den Stadtkern standen große Pavillons und säulengestützte Paläste. Gläserne Kuppeln beschützten Sommerblumen vor dem Winterschnee. Mitten im Herzen der Stadt erhob sich ein Gebäude, das Tanis vertraut vorkam, obwohl er wußte, daß er in seinem Leben niemals in dieser Stadt gewesen war. Dennoch erkannte er es wieder. Noch während er das Gebäude aufmerksam betrachtete und sich zu erinnern versuchte, sträubten sich seine Haare.

Es schien ein Tempel für die Götter zu sein. Und es war das schönste Bauwerk, das er je gesehen hatte, schöner als der Sonnenturm und der Sternenturm in den Elfenkönigreichen. Sieben Türme erstreckten sich in den Himmel, als ob sie die Götter für ihre Erschaffung priesen. Der mittlere Turm war höher als die übrigen, als ob er nicht die Götter pries, sondern mit ihnen im Wettstreit lag. Verwirrte Erinnerungen an seine Elfenlehrer kehrten zurück, brachten ihm Geschichten über die Umwälzung, Geschichten über den Königspriester…

Tanis schrak zurück, ihm stockte der Atem. Berem starrte ihn beunruhigt an, das Gesicht des Halb-Elfen war leichenblaß geworden.

»Was ist denn?« krächzte er ängstlich und klammerte sich an Tanis.

Der Halb-Elf schüttelte den Kopf. Er konnte nicht sprechen. Die entsetzliche Erkenntnis, wo sie waren und was vor sich ging, schlug über ihm zusammen wie die roten Wellen des Blutmeeres.

Verwirrt sah Berem auf die Karte. Die Augen des Mannes weiteten sich, dann kreischte er, ein Kreischen, so wie es Tanis noch nie in seinem Leben gehört hatte. Plötzlich warf Berem sich mit seinem Körper auf die Kristallkuppel und schlug auf sie, als ob er sie zerbrechen wollte.

»Die Stadt der Verdammung!« stöhnte Berem. »Die Stadt der Verdammung.«

Tanis versuchte ihn zu beruhigen, als er Flußwinds schrilles Pfeifen hörte. Er packte Berem und zog ihn vom Tisch weg.

»Ich weiß«, sagte er. »Komm, wir müssen hier raus.«

Aber wie? Wie sollte man aus einer Stadt herauskommen, die angeblich vom Angesicht Krynns verschwunden war? Wie sollte man aus einer Stadt herauskommen, die am Grund des Blutmeeres liegen mußte? Wie sollte man aus…

Als er Berem durch die Tür des Kartenraums schob, blickte Tanis nach oben. Worte waren in Marmor eingemeißelt. Worte über eines der Wunder der Welt. Worte, deren Buchstaben nun schon fast unleserlich und mit Moos bedeckt waren. Aber er konnte sie entziffern.

Willkommen, o edler Besucher, in unserer schönen Stadt. Willkommen in der von den Göttern geliebten Stadt.

Willkommen, geehrter Gast, in Istar.

14

Ich habe ihn einst getötet…

»Ich habe gesehen, was du mit ihm getan hast! Du hast versucht, ihn zu töten!« schrie Caramon Par-Salian an. Als Oberhaupt des Turms der Erzmagier – des letzten Turms der Erzmagier im unheimlichen Wald von Wayreth – war Par-Salian der Ranghöchste des Ordens der Zauberkundigen auf Krynn. Der junge Krieger hätte den verhutzelten alten Mann mit bloßen Händen erschlagen können. Er hatte sich in den vergangenen zwei Tagen eine Menge gefallen lassen müssen, aber nun war er mit seiner Geduld am Ende.

»Mord ist nicht unser Geschäft«, erwiderte Par-Salian mit seiner sanften Stimme. »Dein Bruder wußte, was ihn erwartet, wenn er sich einverstanden erklärt, sich diesen Prüfungen zu unterziehen. Er wußte, daß der Tod die Strafe für Versagen ist.«

»Er wußte es nicht wirklich«, murmelte Caramon und fuhr sich mit einer Hand über die Augen. »Und wenn er es wußte, kümmerte es ihn nicht. Manchmal trübt seine… seine Liebe zur Magie seine Vernunft.«

»Liebe? Nein.« Par-Salian lächelte traurig. »Ich glaube nicht, daß man es als Liebe bezeichnen kann.«

»Nun gut, was auch immer«, murrte Caramon. »Ihm war nicht bewußt, was du mit ihm vorhattest! Es ist alles so verdammt ernst…«

»Natürlich«, sagte Par-Salian nachsichtig. »Was würde mit dir geschehen, Krieger, wenn du in eine Schlacht treten würdest, ohne zu wissen, wie man mit dem Schwert umgeht?«

Caramon blickte finster.

»Versuche nicht, dich herauszuwinden…«

»Was würde geschehen?« fragte Par-Salian hartnäckig.

»Es wäre mein Tod«, antwortete Caramon mit der umständlichen Geduld, die man im Gespräch mit einer älteren, senilen Person an den Tag legt. »Jetzt…«

»Nicht nur du würdest sterben«, fuhr Par-Salian fort, »sondern auch deine Kameraden, die von dir abhängen, könnten aufgrund deiner Unfähigkeit sterben.«

»Ja«, sagte Caramon ungeduldig und wollte seine Schimpferei fortsetzen. Dann hielt er jedoch inne und schwieg.

»Du verstehst, was ich sagen will«, sagte Par-Salian freundlich. »Wir verlangen die Prüfung nicht von allen, die Magie anwenden. Es gibt viele mit der Gabe, die durch das Leben gehen und mit den ersten grundlegenden Zaubersprüchen zufrieden sind, die in den Schulen unterrichtet werden. Als Hilfe im Alltagsleben sind sie ausreichend, und mehr wollen sie auch nicht. Aber manchmal kommt jemand wie dein Bruder. Für ihn ist die Gabe mehr als ein Werkzeug, um durch das Leben zu kommen.

Für ihn ist die Gabe das Leben. Er strebt nach Höherem. Er sucht Wissen und Macht, die gefährlich werden können – nicht nur für den Anwender, sondern auch für andere. Darum zwingen wir alle Zauberkundigen, die in die Bereiche der wahren Macht vorstoßen wollen, sich der Prüfung zu unterziehen. So können wir die Unfähigen aussondern…«

»Du hast dein Bestes getan, um Raistlin auszusondern!« knurrte Caramon. »Er ist nicht unfähig, sondern zerbrechlich, und jetzt ist er verletzt, vielleicht liegt er im Sterben!«

»Nein, er ist nicht unfähig. Ganz im Gegenteil. Dein Bruder war sehr gut, Krieger. Er hat all seine Feinde besiegt. Er hat ausgesprochen gekonnt gehandelt. Fast zu gekonnt.« Par-Salian wirkte nachdenklich. »Ich frage mich, ob jemand ein besonderes Interesse an deinem Bruder hat.«

»Ich weiß es nicht.« Caramons Stimme wurde hart. »Und es interessiert mich auch nicht. Ich weiß nur, daß ich dem ein Ende bereiten werde. Und zwar sofort.«

»Das kannst du nicht. Es ist dir nicht gestattet. Er liegt nicht im Sterben…«

»Du kannst mich nicht aufhalten!« erklärte Caramon kühl.

»Magie! Tricks, um Kinder zum Lachen zu bringen! Wahre Macht! Pah! Dafür zu sterben lohnt sich nicht…«

»Dein Bruder glaubt daran«, entgegnete Par-Salian sanft.

»Soll ich dir zeigen, wie sehr er an seine Magie glaubt? Soll ich dir wahre Macht zeigen?«

Par-Salian nicht beachtend, trat Caramon einen Schritt vor, entschlossen, das Leiden seines Bruders zu beenden. Dieser Schritt war sein letzter – zumindest für eine Zeit. Er stand unbeweglich, auf der Stelle festgefroren, als wären seine Füße im Eis gefangen. Caramon wurde von Furcht ergriffen. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er unter einem Zauber stand, und das hilflose Gefühl, völlig unter der Kontrolle eines anderen zu sein, war schrecklicher, als sechs axtschwingenden Goblins gegenüberzustehen.

»Paß auf.« Par-Salian begann seltsame Worte zu singen. »Ich werde dir jetzt eine Vision geben…«

Plötzlich sah Caramon sich selbst den Turm der Erzmagier betreten. Er blinzelte erstaunt. Er geht durch die Türen und durch die schaurigen Korridore! Das Bild war so real, daß Caramon voller Beunruhigung und Angst auf seinen eigenen Körper schaute, ob er auch wirklich hier wäre. Aber er war da. Er schien zur gleichen Zeit an zwei Orten zu sein. Wahre Macht. Der Krieger begann zu schwitzen, dann erbebte er vor Kälte.

Caramon – der Caramon in dem Turm – sucht seinen Bruder. Er wandert durch die leeren Korridore und ruft Raistlins Namen. Und schließlich findet er ihn.

Der junge Magier liegt auf dem kalten Steinboden. Blut fließt aus seinem Mund. Neben ihm liegt der Körper eines dunklen Elfen, tot – durch Raistlins Magie. Aber der Preis dafür ist schrecklich. Der junge Magier scheint selbst dem Tod nahe zu sein.