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Goldmond zögerte, über diese Frage verstört, da sie selbst nach der Antwort suchte. Flußwind stand neben ihr, wie immer streng und schweigend seine Gedanken verbergend.

»Ich habe mir diese Frage oft gestellt«, stammelte Goldmond. Sie trat näher zu Flußwind, berührte seinen Arm mit ihrer Hand, als ob sie sich vergewissern wollte, daß er in der Nähe war.

»Einst wurde ich in einem Traum bestraft für meine Fragen, für meinen fehlenden Glauben. Bestraft mit dem Verlust desjenigen, den ich liebe.« Flußwind legte seinen starken Arm um sie und zog sie eng an sich. »Aber immer wenn ich mich wegen meiner Fragen schäme, werde ich daran erinnert, daß es ebendiese Fragen waren, die mich zu den alten Göttern geführt haben.«

Einen Moment lang schwieg sie. Flußwind streichelte über ihr silbergoldenes Haar, und sie sah lächelnd zu ihm hoch. »Nein«, sagte sie leise zu Zebuiah, »ich kenne die Lösung dieses Rätsels nicht. Ich frage immer noch. Ich brenne immer noch vor Zorn, wenn ich die Unschuldigen leiden und die Schuldigen belohnt sehe. Aber ich weiß jetzt, daß mein Zorn wie ein Schmiedefeuer sein kann. In seiner Hitze wird der unbehandelte Erzklumpen, das heißt meine Seele, erwärmt und geformt zu dem glänzenden, stählernen Stab, der mein Glaube ist. Dieser Stab stützt mein schwaches Fleisch.«

Zebuiah musterte Goldmond schweigend, als sie mitten in den Ruinen von Istar stand, ihr silbergoldenes Haar glänzte wie das Sonnenlicht, das niemals die zerstörten Gebäude berühren würde. Die vollendete Schönheit ihres Gesichts war gezeichnet von den Erlebnissen in den dunklen Straßen, durch die sie gereist war. Jedoch beeinträchtigten diese Spuren des Leidens und der Verzweiflung keineswegs ihre Schönheit, sondern verstärkten sie nur noch. In ihren Augen lag Weisheit, jetzt bereichert von der großen Freude ihres Wissens, daß sie in ihrem Leib ein neues Leben trug.

Der Blick des Magiers wanderte zu dem Mann, der die Frau so sanft in seinen Armen hielt. Auch sein Gesicht trug die Spuren eines langen, qualvollen Weges. Auch wenn dieses Gesicht immer streng und gleichmütig aussehen würde, seine tiefe Liebe zu dieser Frau zeigte sich deutlich in den dunklen Augen des Mannes und in seiner sanften Berührung.

Vielleicht habe ich einen Fehler begangen, so lange hierzubleiben, dachte Zebuiah, der sich plötzlich alt und traurig fühlte. Vielleicht hätte ich helfen können, wenn ich oben geblieben wäre und meinen Zorn gebraucht hätte – so wie diese beiden -, um Antworten zu finden. Statt dessen habe ich meinen Zorn an meiner Seele nagen lassen, bis es leichter schien, ihn hier unten zu vergessen.

»Wir sollten nicht länger warten«, sagte Flußwind abrupt.

»Caramon wird schnell auf die Idee kommen, uns zu suchen, wenn er es nicht bereits tut.«

»Ja«, sagte Zebuiah. »Wir sollten gehen, obwohl ich nicht glaube, daß der junge Mann und die Frau schon aufgebrochen sind. Er war sehr schwach…«

»War er verletzt?« fragte Goldmond besorgt.

»Nicht am Körper«, erwiderte Zebuiah, während sie ein baufälliges Gebäude betraten. »In seiner Seele war er verletzt. Ich konnte das erkennen, schon bevor mir das Mädchen von seinem Zwillingsbruder erzählte.«

Eine dunkle Linie bildete sich zwischen Goldmonds Augenbrauen, ihre Lippen preßten sich zusammen.

»Entschuldige mich, Dame von den Ebenen«, sagte Zebuiah mit einem leichten Lächeln, »aber ich sehe, daß das Schmiedefeuer, von dem du gesprochen hast, in deinen Augen lodert.«

Goldmond errötete. »Ich habe dir gesagt, daß ich immer noch schwach bin. Ich sollte in der Lage sein, Raistlin und das, was er seinem Bruder angetan hat, ohne weiteres zu akzeptieren. Ich sollte den Glauben haben, daß dies alles Teil des größeren Guten ist, das ich nicht begreifen kann. Aber leider kann ich es nicht. Ich kann nur beten, daß die Götter ihn aus meinem Weg halten.«

»Ich nicht«, sagte Flußwind plötzlich mit barscher Stimme.

»Ich nicht«, wiederholte er grimmig.

Caramon starrte in die Dunkelheit. Tika, in seine Arme gekuschelt, war schnell eingeschlafen. Er spürte ihr Herz schlagen, er hörte sie leise atmen. Er fuhr mit seiner Hand durch ihre roten Locken, die über seine Schulter flossen, aber Tika bewegte sich bei seiner Berührung, und er hörte sofort auf, aus Angst, sie zu wecken. Sie soll sich ausruhen. Nur die Götter wissen, wie lang sie nicht geschlafen und über ihn gewacht hatte. Sie würde ihm das niemals erzählen, das wußte er. Als er sie gefragt hatte, hatte sie nur gelacht und ihm erklärt, daß er schnarchen würde.

Aber in ihrem Lachen war ein Beben gewesen, und sie hatte nicht in seine Augen sehen können.

Caramon streichelte besänftigend ihre Schulter, und sie schmiegte sich eng an ihn. Beruhigt stellte er fest, daß sie tief schlief, dann seufzte er. Vor nur wenigen Wochen hatte er Tika geschworen, daß er niemals ihre Liebe annehmen würde, bis er sich ihr mit Körper und Seele völlig hingeben könnte. Er konnte immer noch seine Worte hören: Meine erste Verpflichtung gilt meinem Bruder. Ich bin seine Stärke.

Jetzt war Raistlin verschwunden, er hatte seine eigene Stärke gefunden. So wie er ihm, Caramon, erklärte hatte: Ich brauche dich nicht mehr.

Ich sollte froh sein, sagte sich Caramon, während er in die Dunkelheit starrte, ich liebe Tika, und sie liebt mich. Und jetzt sind wir frei, um diese Liebe zu leben. Ich kann jetzt diese Bindung mit ihr eingehen. Jetzt kann sie die erste in meinen Gedanken sein. Sie liebt, sie gibt. Sie verdient es, geliebt zu werden.

Raistlin hatte es nicht verdient. Zumindest dachten alle so. Wie oft habe ich Tanis Sturm fragen hören, wenn er dachte, ich hörte es nicht, warum ich mich mit dem Sarkasmus, den bitteren Beschuldigungen, den unverschämten Befehlen abfinde. Ich habe ihre mitleidigen Blicke gesehen. Ich weiß, sie denken, daß ich manchmal langsam denke, und es stimmt – verglichen mit Raistlin. Ich bin der Ochse, der sich dahinschleppt, die Last klaglos erträgt. Das denken sie von mir.

Sie verstehen es nicht. Sie brauchen mich nicht. Nicht einmal Tika braucht mich – nicht so, wie Raist mich gebraucht hat. Sie haben ihn niemals gehört, wenn er nachts schreiend aufgewacht ist, als er noch klein war. Man hat uns so oft allein gelassen, ihn und mich. Es war niemand da in der Dunkelheit, der ihn gehört und getröstet hat, nur ich. Er konnte sich nie an diese Träume erinnern, aber sie waren entsetzlich. Sein schmächtiger Körper zitterte vor Angst. Seine Augen waren vom Anblick der furchtbaren Dinge, die nur er sehen konnte, verstört. Er hat sich schluchzend an mich geklammert. Und ich habe ihm Geschichten erzählt oder Schattenspiele an der Wand gemacht, um das Entsetzen zu vertreiben.

»Schau, Raist«, habe ich gesagt, »Häschen…«, und ich habe dann zwei Finger hochgehalten und sie wie Hasenohren bewegt. Nach einer Weile hat er dann mit dem Zittern aufgehört. Er hat nicht gelächelt oder gelacht. Das hat er nie getan, auch nicht, als wir klein waren. Aber er entspannte sich.

»Ich muß schlafen. Ich bin so müde«, hat er geflüstert und meine Hand festgehalten. »Aber du bleibst wach, ja, Caramon? Beschütze meinen Schlaf. Halte sie fern. Sie dürfen mich nicht kriegen.«

»Ich bleibe wach. Niemand wird dir weh tun, Raist!« habe ich versprochen.

Dann hat er fast gelächelt und erschöpft seine Augen geschlossen. Ich hielt mein Versprechen. Ich bin wach geblieben, während er schlief. Und es war schön. Vielleicht hat es sie ferngehalten, denn solange ich wach blieb und aufpaßte, hatte er keine Alpträume.

Und auch als er älter wurde, schrie er immer noch manchmal in der Nacht und griff nach mir. Und ich war da. Aber was wird er jetzt tun? Was wird er ohne mich tun, wenn er in der Finsternis ist, allein, verloren und verängstigt? Was wird er ohne mich tun?