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»Er ist der Schlüssel!« erinnerte sich Tanis an Kitiaras Worte.

»Wenn wir ihn gefangennehmen, wird Krynn der Dunklen Königin zufallen. Dann wird uns keine Kraft im Lande mehr besiegen können!«

Zitternd, mit sich hebendem Magen starrte Tanis den Mann ehrfürchtig an. Berem wirkte so – so abgesondert von allem, so über allen Dingen stehend, als würden ihn die Probleme der Welt überhaupt nicht berühren. War er halb verrückt, wie Maquesta sagte? fragte sich der Halb-Elf. Er erinnerte sich an Berem, wie er ihn in jenen kurzen Sekunden inmitten des Entsetzens in Pax Tarkas erlebt hatte. Er erinnerte sich an den Blick des Mannes, als er sich von dem Verräter Eben in einem verzweifelten Fluchtversuch wegführen ließ. Er war nicht angsterfüllt oder teilnahmslos oder gleichgültig gewesen. Er war wie gewesen? Resigniert? Das war es! Als ob er um das Schicksal wüßte, das ihn erwartete, und direkt darauf losginge. Gerade als Berem und Eben die Tore erreicht hatten, waren Hunderte Tonnen Gestein heruntergestürzt und hatten die beiden unter sich begraben. Nur ein Drache hätte das Gestein heben können. Beide schienen verloren. Zumindest Ebens Körper war auch verloren. Kurze Zeit darauf, auf der Hochzeit von Goldmond und Flußwind, hatten Tanis und Sturm Berem wiedergesehen – lebend! Bevor sie ihn aufhalten konnten, war der Mann in der Menge untergetaucht. Und sie hatten ihn nicht mehr wiedergesehen. Erst vor drei, nein, vor vier Tagen fand Tanis ihn dann auf diesem Schiff. Berem hielt das Schiff auf seinem Kurs, sein Gesicht war von Frieden erfüllt. Tanis lehnte sich über die Reling und übergab sich.

Maquesta sagte der Mannschaft nichts von Berem. Ihre Erklärung für die plötzliche Abfahrt war, daß sie Nachricht erhalten hätte, der Drachenfürst wäre ein wenig zu sehr an ihrem Schiff interessiert – es wäre klüger, in See zu stechen. Niemand bezweifelte das. Sie hatten für die Fürsten nichts übrig, und die meisten waren lang genug in Treibgut gewesen und hatten ihr ganzes Geld ausgegeben.

Auch Tanis enthüllte seinen Freunden nicht den Grund ihrer Eile. Die Gefährten kannten alle die Geschichte von dem Mann mit dem Grünen Juwel. Aber obwohl sie alle zu höflich waren, um es zu sagen (mit Ausnahme von Caramon), wußte Tanis, daß sie dachten, er und Sturm wären auf der Hochzeit zu betrunken gewesen. Sie fragten nicht nach den Gründen, warum sie ihr Leben aufs Spiel setzten. Sie vertrauten ihm völlig. An Seekrankheit wie auch an beißenden Schuldgefühlen leidend, krümmte sich Tanis elend auf dem Deck und starrte auf das Meer. Goldmonds Heilkräfte linderten ein wenig sein Leiden, aber offenbar konnten selbst Kleriker wenig gegen den Aufruhr in seinem Magen ausrichten. Und der Aufruhr in seiner Seele überstieg ihre Kräfte.

Er saß auf dem Deck und starrte aufs Meer, ständig in Furcht, die Segel eines Schiffs am Horizont zu sehen. Die anderen litten weniger unter den chaotischen Bewegungen des Schiffes, das sich durch das unruhige Gewässer stürzte, vielleicht weil sie ausgeruhter waren. Sie waren nur bis auf die Knochen durchnäßt von den hohen Wellen, die gelegentlich über das Schiff brachen.

Selbst Raistlin schien sich recht wohl zu fühlen, wie Caramon erstaunt feststellte. Der Magier kauerte abseits von den anderen unter einem Segel, das ein Matrose aufgespannt hatte, damit die Passagiere einigermaßen trocken bleiben sollten. Der Magier war nicht mehr krank. Er hustete kaum noch. Er schien nur in Gedanken verloren; seine goldenen Augen glitzerten heller als die Morgensonne, die zuweilen hinter den Sturmwolken auftauchte. Maquesta zuckte die Schultern, als Tanis seine Befürchtung über eine Verfolgung äußerte. Die Perechon war schneller als die massiven Schiffe der Fürsten. Sie waren in der Lage gewesen, sich sicher aus dem Hafen davonzuschleichen; die einzigen Schiffe, die ihre Abreise bemerkt hatten, waren Piratenschiffe gewesen. Und in dieser Bruderschaft stellte niemand Fragen. Das Meer wurde ruhiger und bei gleichbleibender Brise flach. Den ganzen Tag über hingen die Sturmwolken bedrohlich tief, wurden aber von dem auffrischenden Wind weggeblasen. Die Nacht war klar und sternenhell. Maquesta konnte noch mehr Segel setzen. Das Schiff flog über das Wasser. Als die Gefährten am nächsten Morgen erwachten, bot sich ihnen ein entsetzlicher Anblick. Sie befanden sich am äußersten Rand des Blutmeers von Istar. Die Sonne war eine riesige goldene Kugel, die über dem östlichen Horizont balancierte, als die Perechon durch Wasser segelte, das so rot war wie die Robe des Magiers, rot wie Blut, das seine Lippen näßte, wenn er hustete.

»Der Name trifft zu«, sagte Tanis zu Flußwind, als sie an Deck standen und auf das rote, trübe Wasser starrten. Sie konnten nicht weit sehen. Wieder herrschte stürmischer Wind, der das Wasser mit einem bleigrauen Vorhang überzog.

»Ich habe es nicht geglaubt«, sagte Flußwind ehrfürchtig und schüttelte den Kopf. »William hat uns davon erzählt, und ich habe zugehört, so wie ich seinen Geschichten über Meerdrachen zugehört habe, die Schiffe und Frauen verschlingen und Fischflossen anstelle von Beinen haben. Aber das…« Der Barbar schüttelte den Kopf und betrachtete unbehaglich das blutfarbene Wasser.

»Glaubst du, daß dies hier wirklich das Blut all jener ist, die in Istar gestorben sind, als das feurige Gebirge den Tempel des Königspriesters zerstörte?« fragte Goldmond, die sich zu ihrem Gatten gesellt hatte.

»Was für ein Unsinn!« knurrte Maquesta, während sie auf die Gefährten zuging.

»Ihr habt dem Schweinsgesicht William zugehört!« lachte sie.

»Er ängstigt gern Landratten. Das Wasser hat seine Farbe von der ausgewaschenen Erde. Vergeßt nicht, der Meeresboden hier besteht nicht aus Sand. Hier war einst Festland – die Hauptstadt von Istar und das umgebende fruchtbare Gebiet. Als das Feuergebirge herabfiel, wurde das Land gespalten. Der Ozean stürzte in diese Spalte und schuf ein neues Meer. Jetzt liegt der Reichtum von Istar tief unter den Wellen begraben.«

Maquesta starrte mit verträumten Augen über die Reling, als ob sie das unruhige Wasser durchdringen und den sagenhaften Reichtum der verlorenen Stadt sehen könnte. Sie seufzte sehnsüchtig auf. Goldmond warf der dunkelhäutigen Kapitänin einen verächtlichen Blick zu, in ihren Augen standen Traurigkeit und Entsetzen bei dem Gedanken an die furchtbare Zerstörung und die unzähligen Todesopfer.

»Warum wird die Erde so aufgewühlt?« fragte Flußwind stirnrunzelnd. »Selbst bei der Bewegung der Wellen und den Gezeiten müßte die schwere Erde doch zur Ruhe kommen.«

»Da hast du recht, Barbar.« Maquesta musterte den hochgewachsenen, gutaussehenden Mann von den Ebenen mit Bewunderung. »Aber soviel mir bekannt ist, seid ihr Barbaren Bauern und wißt eine Menge über den Erdboden. Wenn du deine Hand in das Wasser tauchst, kannst du die groben Erdkörner fühlen. Es heißt, daß im Blutmeer ein Mahlstrom die Erde mit gewaltiger Kraft aufwirbelt. Aber ich kann nicht sagen, ob es stimmt oder ob es nur eine der vielen Geschichten von Schweinsgesicht ist. Ich habe ihn nie erlebt, noch kenne ich jemanden, der ihn erlebt hat, und ich fahre seit meiner Kindheit über die Meere und habe alles von meinem Vater gelernt. Niemand, den ich kenne, war dumm genug, in einen Sturm zu segeln, der mitten über dem Meer hängt.«