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»Aber heute ist dein Glückstag, Hazara«, sagte Assef. Er stand zwar mit dem Rücken zu mir, aber ich hätte wetten können, dass er grinste. »Ich bin in einer versöhnlichen Stimmung. Was haltet ihr davon, Jungs?«

»Du bist sehr großzügig«, platzte Kamal heraus. »Besonders nach dem unhöflichen Verhalten, das er uns gegenüber beim letzten Mal gezeigt hat.« Er versuchte wie Assef zu klingen, nur war da ein Zittern in seiner Stimme. Ich begriff: Er hatte keine Angst um Hassan, nein, er hatte Angst, weil er nicht wusste, was Assef vorhatte.

Assef vollführte eine abweisende Geste mit der Hand. »Bakhshida. Vergessen. Schnee von gestern.« Seine Stimme wurde ein wenig tiefer. »Natürlich ist nichts auf dieser Welt umsonst, und meine Begnadigung hat einen kleinen Preis.«

»Das ist nur fair«, sagte Kamal.

»Nichts ist umsonst«, fügte Wali hinzu.

»Du bist ein Glückskind, Hazara«, sagte Assef und trat einen Schritt auf Hassan zu. »Denn heute kostet es dich einzig und allein diesen blauen Drachen. Das ist doch ein faires Geschäft, oder, Jungs?«

»Mehr als fair«, erwiderte Kamal.

Selbst von der Stelle, wo ich kauerte, konnte ich sehen, wie die Furcht in Hassans Augen kroch, aber er schüttelte den Kopf. »Amir Aga hat das Turnier gewonnen, und ich habe den Drachen für ihn erlaufen. Alles ganz sauber. Dieser Drache hier gehört ihm.«

»Ein treuer Hazara. Treu wie ein Hund«, sagte Assef.

Kamals Lachen hatte einen schrillen, nervösen Klang.

»Aber bevor du dich für ihn opferst, denk einmal über Folgendes nach: Würde er das Gleiche für dich tun? Hast du dich nie gefragt, warum er dich nie mitspielen lässt, wenn er Gäste hat? Warum er nur mit dir spielt, wenn sonst keiner da ist? Ich werde dir sagen, warum, Hazara. Weil du für ihn nichts weiter bist als ein hässliches Haustier. Etwas, womit er spielen kann, wenn ihm langweilig ist, etwas, dem er einen Tritt versetzen kann, wenn er wütend ist. Mach dir nur nichts vor und glaube, dass du mehr für ihn bist.«

»Amir Aga und ich sind Freunde«, erklärte Hassan mit rotem Gesicht.

»Freunde?«, erwiderte Assef lachend. »Du bemitleidenswerter Narr! Was für eine Fantasie! Eines Tages wirst du schon noch merken, was für ein Freund er ist. Bas jetzt! Genug davon. Gib uns den Drachen.«

Hassan bückte sich und hob einen Stein auf.

Assef zuckte zurück. Er begann einen Schritt nach hinten zu weichen, hielt aber inne. »Letzte Chance, Hazara.«

Statt zu antworten, hob Hassan die Hand, in der er den Stein hielt.

»Wie du willst.« Assef knöpfte seinen Wintermantel auf, zog ihn aus, faltete ihn langsam und gründlich zusammen. Legte ihn an die Mauer.

Ich öffnete den Mund, hätte beinahe etwas gerufen. Aber nur beinahe. Mein Leben wäre vielleicht anders verlaufen, wenn ich es getan hätte. Aber ich tat es nicht. Ich sah nur zu. Wie gelähmt.

Assef vollführte eine Bewegung mit der Hand, und die beiden anderen Jungen lösten sich, traten zur Seite und formten dadurch einen Halbkreis, sodass Hassan in der Falle saß.

»Ich habe es mir anders überlegt«, erklärte Assef. »Du darfst den Drachen behalten, Hazara. Du darfst ihn behalten, damit er dich immer an das erinnern wird, was ich dir jetzt antun werde.«

Und dann stürmte er los. Hassan schleuderte den Stein. Traf Assef an der Stirn. Assef schrie auf, als er sich auf Hassan warf und ihn zu Fall brachte. Wali und Kamal folgten.

Ich biss mir in die Faust.

Schloss die Augen.

Eine Erinnerung:

Wusstest du, dass ihr, Hassan und du, von derselben Brust getrunken habt? Wusstest du das, Amir Aga? Sakina war ihr Name. Sie war eine hellhäutige, blauäugige Hazara-Frau aus Bamiyan, und sie hat dir alte Hochzeitslieder vorgesungen. Es heißt, es bestehe eine Brüderlichkeit zwischen Menschen, die von derselben Brust getrunken haben. Wusstest du das?

Eine Erinnerung:

»Eine Rupie für jeden, Kinder. Nur eine Rupie für jeden, und ich werde den Vorhang der Wahrheit für euch zur Seite schieben.« Der alte Mann lehnt mit dem Rücken an einer Lehmmauer. Seine blinden Augen gleichen zwei tiefen Kratern, angefüllt mit geschmolzenem Silber. Über seinen Stock gebeugt, lässt der Wahrsager eine knotige Hand über die Oberfläche seiner eingefallenen Wangen gleiten. Hält uns die hohle Hand hin. »Eine Rupie für jeden ist doch für die Wahrheit nicht zu viel verlangt?«

Hassan lässt eine Münze in die lederne Handfläche fallen. Ich folge seinem Beispiel. »Im Namen Allahs, überaus wohltätig, überaus gnädig«, flüstert der alte Wahrsager. Er ergreift zuerst Hassans Hand, lässt seinen hornartigen Fingernagel über dessen Handfläche kreisen, immer und immer wieder. Dann schwebt der Finger zu Hassans Gesicht hinauf und verursacht ein trockenes, kratzendes Geräusch, als er langsam der Wölbung seiner Wangen folgt, dem Umriss seiner Ohren. Die schwielige Haut seiner Fingerspitzen streicht über Hassans Augen. Die Hand erstarrt. Verharrt dort. Das Gesicht des alten Mannes verdüstert sich. Hassan und ich schauen uns an. Der alte Mann nimmt Hassans Hand und legt die Rupie zurück in dessen Handfläche. Er wendet sich mir zu. »Was ist mit dir, junger Freund?«, sagt er. Auf der anderen Seite der Mauer kräht ein Hahn. Der alte Mann greift nach meiner Hand, und ich ziehe sie weg.

Ein Traum:

Ich habe mich in einem Schneesturm verirrt. Der Wind pfeift, bläst mir das stechende Schneegestöber in die Augen. Ich stolpere durch Schichten von sich wandelndem Weiß. Ich rufe um Hilfe, aber der Wind erstickt meine Schreie. Ich falle und liege keuchend im Schnee, verloren im Weiß, und der Wind heult in meinen Ohren. Ich sehe, wie der Schnee meine frischen Fußspuren auslöscht. Jetzt bin ich ein Geist, denke ich, ein Geist, der keine Spuren hinterlässt. Ich rufe wieder, doch die Hoffnung schwindet wie meine Fußspuren.

Aber dieses Mal ist da eine gedämpfte Antwort. Ich versuche meine Augen vor dem fallenden Schnee zu schützen und schaffe es, mich aufzusetzen. Inmitten des wilden Schneegestöbers entdecke ich eine Bewegung, das Aufblitzen von Farbe. Eine vertraute Gestalt erscheint. Eine Hand streckt sich mir entgegen. Ich erkenne tiefe, parallel verlaufende Schnitte in der Handfläche, aus denen Blut tropft, das den Schnee rot färbt. Ich ergreife die Hand, und plötzlich ist der Schnee verschwunden. Wir stehen auf einer Wiese mit apfelgrünem Gras, über uns ziehen zarte Wolkenfetzen hinweg. Ich blicke auf und sehe, dass der Himmel voller Drachen ist — grün, gelb, rot, orange sind sie, und sie schimmern im Nachmittagslicht.

Ein Chaos aus Abfall, Schrott und Schutt übersäte die Gasse. Abgefahrene Fahrradreifen, Flaschen mit abgezogenen Etiketten, zerrissene Hefte, vergilbte Zeitungen, und all das verstreut zwischen einem Haufen Ziegelsteinen und einigen Zementplatten. Ein verrosteter, gusseiserner Ofen mit einem klaffenden Loch an der Seite war gegen eine Mauer gekippt worden. Aber es gab zwei Dinge inmitten dieses Mülls, die meinen Blick magisch anzuziehen schienen: Das eine war der blaue Drachen, der an der Mauer, ganz in der Nähe des gusseisernen Ofens lehnte, und das andere Hassans braune Cordhose, die achtlos hingeworfen auf einem Haufen bröckeliger Ziegelsteine lag.

»Ich weiß nicht«, sagte Wali gerade. »Mein Vater sagt, es ist eine Sünde.« Er klang unsicher, aufgeregt und ängstlich zugleich. Sie hatten Hassan bäuchlings zu Boden geworfen und hielten ihn dort nieder. Kamal und Wali hatten jeweils einen Arm gepackt und ihn am Ellbogen nach oben gedreht, sodass Hassans Hände auf seinen Rücken gepresst wurden. Assef stand über ihnen und quetschte den Absatz seines Schneestiefels in Hassans Nacken.