Der Späher auf dem Felsen blieb hinter ihnen zurück. Loj winkte ihm sogar zu.
Die letzte Kurve.
»Da liegt Oros«, sagte Tel leise. Eine Bucht. Steinstrand, ganz ähnlich wie auf der Krim, etwa in Sudak oder Planerskoe. Am äußersten Ende der Mole, die weit hinter die
Dem Anschein nach gab es hier weit und breit kein lebendiges Wesen. Aber Viktor spürte deutlich die hundertfachen Blicke, die seine Brust durchbohrten. Wie rücksichtslose Hände, die ihn abtasteten, mit unsauberen Fingern an ihm herumzupften, versuchten, in ihn einzudringen, sein Gehirn in Stücke zu zerpflücken, sein Gedächtnis im Wind auszuschütteln und alles Schädliche, wie sie glaubten, auszutreiben.
So hört schon auf.
»Viktor, ich habe Angst«, vernahm er Lojs Flüstern, die sich von der Seite an ihn drückte. »Sie werden uns umbringen. Ritor ... er ist wahnsinnig geworden. Ich glaube, diesmal entkommen wir ihm nicht.«
»Na, hast du einen Schreck bekommen, Katze?«, schoss Tel augenblicklich los. »Keiner hat dich gezwungen mitzukommen. Du wolltest es selbst so.«
»Hier stehen fast hundert Magier. Und an die fünfhundert Krieger. Sowohl des Feuers als auch der Luft. Ritor hat alle versammelt, die er bekommen konnte. Und von seinem Clan hierher verlegt.« Loj schüttelte den Kopf. »Er hat keine unnötige Zeit mit der Jagd nach uns verloren, sondern ist gleich hierhergekommen. Wirklich clever. Alle Achtung.«
»Sei bitte still«, zischte Viktor, ohne sich nach ihr umzudrehen.
»Verzeih ...«, hörte er ihr Flüstern. Gott, wenn er auf der Anderen Seite so ein Flüstern hören würde, wäre er sicher, dass die Frau wahnsinnig verliebt ist.
Die drei standen an der Biegung des Bergwegs, so dass alle an den Abhängen vor ihnen versteckten Krieger sie gut sehen konnten. Sowohl Tel als auch Loj drückten sich an Viktor. Aber er stand da, versteinert wie ein Dummkopf, blickte nach unten und hatte nicht die leiseste Ahnung, was er tun sollte.
Nach strategischen Gesichtspunkten hätte ihre Position kaum schlechter sein können, sie stachen für jedermann sichtbar hervor. Andererseits konnte Viktor selbst, wie auf seiner Handfläche ausgebreitet, die ganze Stadt sehen, bis zu ihren äußersten Grenzen. Und es kam ihm in den Sinn, sie »zuzudecken«; das hätte er mit einem einzigen Handgriff vermocht.
Weder Loj noch Tel wagten es, ihm irgendwelche Ratschläge zu geben.
Was jetzt? Sie warteten also, bis die anderen angriffen. Viktor fühlte sich unerträglich dumm. Aber er wollte nicht gegen Tels Bitte handeln.
Leicht, ganz leicht fing der Wind an seinen Schläfen an zu heulen. Wie eine Vorwarnung. Wie ein Horn, das zum Duell aufruft. Schön ...
»Viktor!«, vernahm er Tels verzweifeltes Flüstern. Sie zitterte am ganzen Körper, hatte es sie, die Furchtlose, diesmal etwa auch erwischt? »Das ist eine Schlinge. Sie werfen eine Schlinge auf uns ... Viktor, versuch um Himmels willen nicht, eine von uns zu retten! Wenn du das Feuer bestehst, dann wird es dir auch gelingen, die Tür zu öffnen. Aber wenn du erst anfängst, mich oder Loj hier herauszuholen ...«
»Mich muss keiner rausholen«, unterbrach Loj das Mädchen wütend. »Und dich, Geheime, dich werde ich höchstpersönlich rauszerren. Selbst wenn ich dafür mit allen vier Elementen gleichzeitig vögeln muss!«
»Still, ihr beiden!«, fuhr Viktor ihnen über den Mund. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er in die Höhe, dort, wo sich, für das gewöhnliche Auge unsichtbar, langsam die graue Schlaufe des ungeheuren Lassos entfaltete. Das war nur der erste Schritt, das war noch nicht mal ein Angriff, sondern diente nur dazu, seine Verteidigung zu prüfen; sie wollten sehen, wie er sich verteidigen würde.
Unten im dichten Grün blinkten kleine Feuer. Dutzende kleiner Feuer. Winzige Flammenkronen, die über den Köpfen der kampfbereiten Krieger des Feuerclans hingen.
Und im nächsten Augenblick zog Ritor die Leine der Schlaufe fest an.
Tel kreischte auf. Loj hockte sich geschmeidig hin und warf den rechten Arm mit ausgefahrenen Krallen nach vorne in die Luft, nahm eine kriegerische Haltung an. Viktor stand tatenlos da und sah zu, wie die Welt um ihn herum immer grauer wurde, während sich die durchsichtigen Umrisse der Schlinge näherten, und er begriff, das dies das Ende war und ... unternahm nichts.
»Vi-ik-tor!« Loj kreischte auf. Die Schlaufe erfasste sie an Schulter und Hals, warf sie um und schleifte sie erbarmungslos über den Weg, so dass Kleid und Haut aufgerissen wurden.
Wie zauberte man im Kampf? Wie schuf man tödliche Magie? Wie lenkte man die dem eigenen Willen unterworfenen Elemente? Durch einen Wunsch? Mit einem direkten Befehl? Musste man ihnen gebieten?
»Vi-i-ik-tor!«
Tel warf sich auf Loj, packte sie im Fallen an der Schulter und drückte sie auf die Erde. Aber auch ihre Kräfte reichten nicht aus. Ein Mädchen allein, selbst eines vom Geheimen Clan, vermochte nicht mit fünfzig Zauberern fertig zu werden.
In der Luft über dem Städtchen ballte sich eine gewaltige graue Wolke zusammen. Viktor wusste, dass nur er sie sah. Er sah Ritors magische Formel, bereit zum Schlag, die ihn niederreißen würde, in den Staub des Weges drücken, die Felsen mit seinem Blut bespritzen, seinen zerschmetterten Körper über den Rand des Abgrunds reißen würde, auf die Steine und Dornen.
»Nein, Ritor!«, schrie er auf. Er gestikulierte mit den Händen, zielte mit der Faust auf das straff gespannte Seil, an dem die verzweifelt strampelnden Frauen über den Weg geschleift wurden.
Eine scharfe Wasserpeitsche raste mit der Geschwindigkeit eines Blitzes vorwärts. Dort, wo Wasser auf Luft prallte, flogen weiße Spritzer in alle Richtungen, wie magisches Blut. An den Stellen, wo die Spritzer auf der Erde aufkamen, wirbelten Staubfontänen in die Höhe, als hätte jemand eine Maschinengewehrsalve in den Sand gefeuert.
Das Luftseil wurde durchtrennt. Unten in der Stadt stürzte ein Baum um, als wäre er von einem mächtigen Orkan umgerissen worden.
»Gib es ihnen, Viktor«, kreischte Loj.
Die Antwort von unten ließ nicht auf sich warten. Viktor spürte, wie die Luft aus seinen Lungen gesaugt wurde und sich ihnen eine magische Peitsche näherte, die alle Hindernisse überwand; ohne nachzudenken, reagierte er mit dem Erstbesten, was ihm in den Sinn kam: Er streckte die Hand aus, zeigte nach unten, dorthin, wo sich das Herz des Widerstands
Das Heulen war so durchdringend, dass Loj und Tel sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Ohren zuhielten. Unten sauste die mächtige Luftfaust nieder, und es klang, als würden Hunderte von Ballons gleichzeitig platzen. Von den Felsen fielen die ersten Steine. Sie flogen hoch in die Luft, beschrieben einen Bogen und stürzten wie Flugzeugbomben auf das Städtchen nieder. Die ersten hundert explodierten noch in der Luft, denn die Feuerpfeile der Verteidiger rasten ihnen entgegen. Ein Teil wurde von einer eilig erschaffenen Welle aus Luft abgelenkt, aber die meisten Steine durchbrachen alle Barrieren.
Unterdrückte Schreie waren zu hören. Viktor sah, wie seine Luftfaust einen Baum nach dem anderen umstürzte, die Ziegel von den Dächern riss, wie die Säulen der Windhosen Staub aufwirbelten, Hausrat, Trümmer und menschliche Körper durch die Luft fegten.
Ein Feuer brach aus, aber natürlich konnte es seinen Gebietern nichts anhaben. Die Zungen der Flammen sprangen hoch und fielen dann wieder zusammen.
Dennoch, auch Ritor galt nicht umsonst als stärkster aller Magier. Er begriff schnell, was zu tun war. Viktor war allzu sehr mit seiner Attacke beschäftigt. Daher schickte Ritor seine eigene Verteidigung zum Teufel und stürzte sich seinerseits in den Angriff.
Sein Schlag warf Viktor hinterrücks zu Boden. Vor seinen Augen zogen bunte Kreise vorbei. Irgendwo aus fernster Ferne erklang Tels jämmerlicher Schrei; und sogleich rückte das Feuer vor. Der Schmerz bohrte sich in sein Hirn, aber Viktor gelang es, sich wieder auf die Knie zu setzen. Eine Welle trockener Hitze näherte sich, das Feuer vollführte