»Schneller! Ritor wird gleich hier sein!«, rief Tel. Ihre Stimme brach.
Trotzdem neigte sich Viktor doch zu dem leblosen Mädchen vom Feuerclan, berührte mit unsichtbaren Fingern ihr stilles Herz ... und von seiner Berührung erzitterte es, pumpte das Blut, einmal, zweimal - und das Mädchen stöhnte auf.
Sie wird leben, dachte er ganz banal.
Viktor wandte sich zu Tel. Hinter ihm schoss ein mächtiger Schlammstrom heran, bis zum Kochen aufgeheizt von den Anstrengungen der Feuermagier; der Strom wälzte sich aufs Meer zu und begrub unterwegs Häuser, als wären sie Spielzeugschachteln; die Verteidigung der beiden Clans war zusammengebrochen, und sie waren nur noch dazu imstande,
Aus dem Rauch, aus Dampf- und Staubwolken trat noch eine weitere menschliche Gestalt hervor. Der Magier der Erde, Herr Andrzej, er sprang mit Anlauf aufs Ufer.
»Aha«, rief er böse aus. Voller Abscheu packte er die Schöße seines verdreckten Umhangs und watete ins Wasser. Bis zur Brust schritt er hinein und erreichte die Tür; sein Gesicht war von Schmerz verzerrt, aber dennoch folgte der Magier seinem Vorgänger.
Ganz zum Schluss erschien der nicht sehr groß gewachsene Magier des Wassers mit Namen Torn. Er tauchte aus den Wellen auf und lächelte zufrieden über das Chaos, das der Drachentöter angerichtet hatte; dann trat auch er auf die Bruchstelle zu.
Das Wasser schloss sich über dem Brunnen und verschluckte die Tür, die bereits wieder hermetisch verschlossen war.
19
Vermutlich war es kein Traum im eigentlichen Sinne des Wortes. Eher eine Art Ohnmacht. Viktor fiel lange ins Dunkel und kam schließlich von jenem Dämmerlicht umgeben wieder zu sich, das er schon aus seinen Alpträumen kannte.
Viktor wunderte sich kein bisschen, als der Fresssack auftauchte. Verwunderlich war nur, dass er sich nicht wie bisher an der Küste wiederfand. Zum ersten Mal war Viktor geradewegs an den Fuß der Berge versetzt worden. Als wäre er von einer geheimen Kraft dorthin geschleppt worden. Die matten, durchsichtigen Hänge leuchteten von innen heraus, die Luft roch nach Schwefel und Benzin.
Nein, bestimmt nicht. Sein Körper fühlte sich auf bekannte Weise leicht und fast trunken an. Weder Tel noch Loj waren zu sehen ...
Der Herr seiner Träume gab mit einem Blick auf Viktor ein zustimmendes Nicken von sich. Und dann sah er zu einem riesenhaften Krater hinüber, über dessen Öffnung eine dichte milchig-weiße Rauchwolke hing. Er flüsterte: »Die Zeit wird knapp. Ich wundere mich selbst, wie knapp ...«
Viktor antwortete nicht. Auch er blickte dorthin, wo sich die weiße Wolke über die Ränder aus durchsichtigem,
»Der Brei ist fertig.« Der Fresssack hüstelte. Seine Stimme hatte einen träumerischen Klang angenommen, er sprach ein bisschen schleppend und langsam, wie ein verweichlichter Adeliger, der in Erinnerungen an seine Heldentaten auf dem gesellschaftlichen Parkett schwelgt. »Wie viel Kraft es gekostet hat! Nein, du würdest es nicht glauben ... Der Auszug, ja, der ist schon lange her. In jenen Zeiten ... du verstehst schon.«
»Nein.«
Der Fresssack warf ihm einen schnellen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Lüg nicht, du verstehst alles. Als sich der Blick der Menschen veränderte ... als die Welten sich voneinander trennten. Glaubst du, dass das allen leichtfiel? Glaubst du, dass das Alte in Vergessenheit geriet? Mag es auch am Anfang so ausgesehen haben, als sei es für immer. Ach nein! Alles ist eng miteinander verbunden, Viktor.«
Er wunderte sich nicht, dass der Fresssack seinen Namen kannte.
»Wie viele Jahre, wie viele Jahrhunderte ...« Wieder änderte sich der Ton des Fresssacks, diesmal nahm er einen melodischen, gemessen melancholischen Klang an. »Und immer ist es ein und dasselbe! Als damals die Magier fortgingen, das Ufer einnahmen und das Völkchen der Elfen zur Ordnung riefen - da hat sich nichts geändert! Ja, schön, es war ihre Zeit. Das verstehe ich! Aber man muss wissen,
Viktor schwieg. Der weiße Rauch wallte immer dichter und dichter. Die Erde unter seinen Füßen zitterte leicht.
»Herrscher und Sklaven, Helden und Hasenfüße, großartige Ritter und gemeine Verräter. Liebe und Hass, Gut und Böse ...« Der Fresssack spuckte zu Boden. »Es reicht. Wie lange noch? Du, als du noch auf der Anderen Seite lebtest ... ich weiß es, ich weiß alles, na, schau mich nicht so an! Weißt du noch, wie es da war? Sag selbst! Hast du an Märchen geglaubt?«
»Nein.«
»Tatsächlich?«
»Ich habe an nichts geglaubt.«
»Genau darum geht es!« Der Fresssack verschränkte die Arme. »So kann es nicht mehr weitergehen, so nicht! Neue Zeiten brechen an, Viktor!«
»Bist du sicher?«
»Und wie!« Der Fresssack legte die Arme auf seinem Wanst zusammen. Zufrieden starrte er in den brodelnden Rauch. »Wenn du wüsstest, wie viel in die Sache investiert wurde, wie viel zusammengeklaubt, auf den Futterböden zusammengescharrt, bis zum Boden ausgekratzt wurde, noch das kleinste Krümelchen.«
»Ist da ein Drache drin?«, fragte Viktor.
Der Fresssack schwieg, dann nickte er unwillig. »Er ... ist aus der Heimat ...«
»Und alles für einen Krieg mit der Mittelwelt? Für eine Handvoll Magier, die sich sowieso gegenseitig ausrotten?«
»Ein Drache ist kein Panzer, der gegen das Fußvolk vorrückt, Viktor. Ein Drache ist auch ein Symbol. Ein Zeichen. Der Inbegriff der Kraft. Es gab einmal eine Zeit, da glaubte
»Wir alle?«
»Das weiß ich nicht.« Die Stimme des Fresssacks wurde plötzlich weicher. »Manchmal denke ich, alle haben es getan! Niemand braucht sie mehr, jene Fähigkeit, ein Schwert zu erheben und gegen den Machthaber zu kämpfen. Na gut, dann ist sie eben beim Teufel! Wozu auch? Alle haben es doch schon verstanden: Auf dem Schlachtfeld ist der Krieger nicht allein, und dem Schicksal die Wahl zu überlassen ist eine scheußliche Sache; dann schon besser, sich im sicheren Grüppchen zusammenrotten, die Zähne fletschen, als Truppe durch die Gegend ziehen ... Und sie stampfen und stampfen, jene ... und wenn sie wieder fort sind, stehen die Häuser leer, die Herzen sind tot und die Städte brennen; und des Nachts schreien sie, wissen aber selbst nicht, warum ... Sie haben keinen Drachen im Herzen, keinen Feind, gegen den sie ihr Schwert erheben könnten ...«
Der Fresssack hustete und fügte etwas verwirrt hinzu: »Schwert, das meine ich im übertragenen Sinn ... du weißt schon.«
»Aber wie ist euer Drache? Der Erschaffene Drache?«
»Oho!« Der Fresssack drohte Viktor mit erhobenem Zeigefinger. »Da hast du was aufgeschnappt, hä? Hast also die
Viktor lächelte nur.
Der Fresssack atmete tief ein. »Du willst sagen, dass sich trotzdem welche finden werden, die gegen ihn sind, welche mit einem Drachen im Herzen?«
»Ja.«
»Aber sag mal ...« Der Fresssack blickte Viktor neugierig ins Gesicht. »Sag, ist es einfach, einen Drachen zu töten?«
»Es ist schwer. Man ... man muss dafür beinahe selbst ein Drache sein.«
»Richtig.« Der Fresssack nickte zustimmend. »Es ist keine einfache Aufgabe, die Verkörperung der Kraft zu sein. Man muss dem Drachen wenigstens ebenbürtig sein. Und was noch ... hast du verstanden, was man noch braucht?«
»Hass.« Das Wort kam Viktor schwer und gezwungen über die Lippen.
»Genau!« Der Fresssack hob den Finger. »Man kann sagen, was man will, aber darin waren die Drachen unterlegen. Ihr Zorn war ungeheuerlich und ungestüm ... aber vor der reinen Zerstörung fürchteten sie sich doch. Und sie liebten das Leben. Liebten es sehr ...«
»Und dieser hier?«
Der Fresssack dachte nach. »Wie soll ich es am besten erklären ... dass du es verstehst. Nimm eine Pferdeherde. Und dazu Wölfe. Das eine oder andere Tier werden sie reißen, und von dem einen oder anderen Tier bekommen sie einen Huf an die Stirn. Und jetzt nimm eine Schafherde und ...«